15.12.2021 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 8 / Tagesordnungspunkt 1

Christian DürrFDP - Regierungserklärung durch den Bundeskanzler

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie haben es eingangs Ihrer Rede gesagt: Die Coronapandemie hält unser Land nach wie vor in Atem. Wir sind in einer vierten Welle. Aber anders als vor einem Jahr reden wir in Deutschland zurzeit nicht über eine flächendeckende Schließung des Einzelhandels. Anders als vor einem Jahr haben wir in Deutschland derzeit keine nächtlichen Ausgangssperren. Anders als vor einem Jahr haben wir in Deutschland glücklicherweise keine flächendeckenden Schulschließungen. Wir haben in Deutschland seit einigen Tagen die erfolgreichste Boosterkampagne in der Europäischen Union. In diesen Tagen wird in Deutschland so viel geimpft wie noch nie seit Beginn der Impfkampagne. Es waren in der letzten Woche 6,4 Millionen Dosen. Die Impfbereitschaft der Menschen in Deutschland – und dafür will ich einmal Danke sagen – ist da. Deswegen – auch das sage ich zu Beginn meiner Rede – bin ich dem Bundesgesundheitsminister dankbar, dass er sich jetzt explizit darum kümmern wird, dass das nicht abreißt. Es darf nicht passieren, dass die Impfstoffbeschaffungspläne jetzt nicht eingehalten werden können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man muss auch – mit Verlaub, Herr Brinkhaus, da bin ich nach Ihrer Rede in Teilen etwas überrascht – etwas selbstkritisch mit der eigenen Regierungsarbeit umgehen. Was die Schwierigkeiten bei der Impfstoffbeschaffung anbetrifft, haben wir das heute bedauerlicherweise den Tageszeitungen entnehmen müssen. Aber Sie haben auch von Stil gesprochen. Diese Koalition hat bereits vor Regierungsbeginn einen anderen Stil gezeigt, wie man miteinander umgeht. Ich fand es spannend, dass Sie, Herr Brinkhaus, zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, dass Sie keine beleidigte Opposition sein wollen und dass Sie dem Bundeskanzler Scholz Respekt aussprechen. Das freut uns. Aber der allererste Punkt Ihrer Rede, Herr Brinkhaus, betraf die Sitzordnung im Deutschen Bundestag. Für mich jedenfalls klingt das, als wären Sie beleidigt. Ich glaube, Sie sollten an der Stelle noch an sich arbeiten, lieber Kollege Brinkhaus.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Jetzt werden sofort die Ärmel hochgekrempelt; denn es geht bereits in den kommenden Wochen und Monaten um ganz wichtige Entscheidungen in Deutschland. Es geht um die Frage, ob wir es schaffen, Deutschland nach dieser coronabedingten Wirtschaftskrise auf den Wachstumspfad zurückzubringen. Dabei geht es nicht um irgendwelche volkswirtschaftlichen Statistiken, sondern um die Lebenschancen und Lebensträume der Menschen in unserem Land. Deswegen hat sich diese Koalition sehr klar auf die Fahnen geschrieben, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Die Menschen in Deutschland sollen nicht stärker belastet werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Damit wir sie auch in Zukunft nicht stärker belasten müssen, hat sich diese Koalition auf die Fahnen geschrieben, dass wir finanzielle Solidität walten lassen und an der grundgesetzlichen Schuldenbremse festhalten.

An dieser Stelle will ich noch etwas in Richtung der heutigen Oppositionsparteien der Union sagen – Sie hatten es in Ihrer Rede erwähnt, Herr Brinkhaus –: Mit Verlaub, Sie sind die falschen Stichwortgeber. Es war der aktuelle Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz, Helge Braun, der die Schuldenbremse schleifen wollte.

(Beifall bei der FDP)

Es waren, mit Verlaub, im Bundestagswahlkampf Armin Laschet und insbesondere Markus Söder, die die Schuldenbremse im Grundgesetz ändern wollten. Die Union ist hier für uns der falsche Ratgeber.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist grundfalsch, was Sie da reden!)

Damit die wirtschaftliche Dynamik, die die Lebensträume erst verwirklichen lässt, wieder in Gang kommt, werden wir die Wachstumspotenziale unseres Landes stärken müssen. Dabei werden wir – der Bundeskanzler hat es gesagt – Planungsbeschleunigung betreiben. Unsere Nachbarländer in der Europäischen Union sind teilweise doppelt so schnell. Deswegen ist es ein richtiges Ziel dieser Regierung, dass wir die Planungszeiten in Deutschland halbieren, meine Damen und Herren. Das ist ein ganz wichtiges Signal an Unternehmerinnen und Unternehmer, an Gründer in Deutschland, die einen Traum verwirklichen und Arbeitsplätze für unser Land schaffen wollen.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Superabschreibungen einführen, damit gerade jetzt, während dieser Krise, in Deutschland investiert wird, damit wir in Zukunft in Wohlstand leben und Arbeitsplätze schaffen können. Ein ganz, ganz wichtiges Ziel dieser Regierungskoalition auch für den deutschen Mittelstand, gerade weil die Energiekosten in den letzten Jahren gestiegen sind, besteht darin, dass wir ab dem Jahr 2023 die EEG-Umlage abschaffen werden. Das schafft Wachstum und Wohlstand für Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zuallererst ist unser Ziel, mehr private Investitionen zu erreichen; das haben Sie richtigerweise gesagt, Herr Bundeskanzler. Damit das gelingt und auch öffentliche Investitionen, beispielsweise in die Infrastruktur, finanziert werden können, hat die Bundesregierung dem Bundestag einen Nachtragshaushalt zugeleitet, mit dem bereits bewilligte Kreditermächtigungen in den zukünftigen Klima- und Transformationsfonds überführt werden sollen. Das Ziel – das ist ganz klar – ist die schnelle Beseitigung der Haushaltsnotlage in Deutschland. Ich habe vorhin über Solidität gesprochen. Das Ziel muss sein, dass wir ab 2023 nicht mehr den Notfallmechanismus der Schuldenbremse ziehen müssen. Deswegen werden wir mit diesem Nachtragshaushalt gerade keine neuen Schulden machen.

Besonders gewundert habe ich mich über die angekündigte Normenkontrollklage der CDU/CSU-Fraktion; denn anders als die Ampelkoalition bei diesem Nachtragshaushalt, lieber Herr Kollege Brinkhaus, haben Sie mit Ihrer Stimme im Jahr 2020 einem Nachtragshaushalt zugestimmt, mit dem zusätzliche Schulden gemacht wurden, um das Ganze dann in ein Sondervermögen zu überführen. Wenn Sie jetzt gegen diese Regierung klagen wollen, müssen Sie zuallererst gegen sich selbst klagen, Herr Brinkhaus.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Volksmund nennt so etwas Heuchelei, um das mit Verlaub zu sagen.

Ich habe vorhin über Zukunftschancen gesprochen. Besonders gelitten in den letzten 16 Jahren einer unionsgeführten Bundesregierung hat in Wahrheit das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft. Die Chancen vor allem junger Menschen hängen in Deutschland zu sehr von der Herkunft, zu sehr vom Elternhaus ab. Deswegen haben wir uns vorgenommen, massiv in Bildung zu investieren. 4 000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Kinder werden wir besonders fördern. Wir werden einen DigitalPakt 2.0 auf den Weg bringen. Wir werden das BAföG in Deutschland endlich elternunabhängiger machen.

Meine Damen und Herren, dazu gehört selbstverständlich auch bezahlbares Wohnen. Das gelingt aber nur, wenn in Deutschland schneller und mehr Wohnungen gebaut werden. Der bisherige Innenminister von der CSU, Herr Seehofer, der dafür zuständig war, hat verdammt viele Wohngipfel gemacht, aber es wurden verdammt wenig Wohnungen in Deutschland gebaut. Diese Koalition will es genau umgekehrt machen, meine Damen und Herren, um das Aufstiegsversprechen zu gewährleisten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden die Menschen dabei entlasten. Die Abschaffung der EEG-Umlage für die Unternehmen in Deutschland – ich erwähnte es vorhin – gilt natürlich ganz genauso für die privaten Haushalte. Wir werden eine vollständige Abzugsfähigkeit der Rentenbeiträge bereits ab dem Jahr 2023 durchsetzen. Das ist eine Entlastung in Milliardenhöhe für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir werden den Sparerpauschbetrag und den Ausbildungsfreibetrag erhöhen. Und – das ist mir besonders wichtig –: Wir werden in Deutschland ein Bürgergeld einführen. Wir werden die Hinzuverdienstmöglichkeiten massiv ausweiten. Wir werden die Anrechnung von Schüler- und Studentenjobs auf Sozialleistungen der Eltern vollständig abschaffen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Menschen, die es im Leben besonders schwer haben, aber trotzdem die Arme hochkrempeln und etwas leisten wollen, die sollten dafür auch belohnt werden. Ich weiß, dass genau das, dass diese Menschen belohnt werden, ein Herzensanliegen unseres verstorbenen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle war. Es erfüllt mich mit Stolz, dass diese Ampelkoalition das jetzt umsetzen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will zum Schluss ein Thema ansprechen, das mir besonders am Herzen liegt: Deutschland ist mit einem massiven demografischen Wandel konfrontiert. Der erfordert beherztes Handeln auch der neuen Bundesregierung. Damit ist insbesondere die Tatsache verbunden, dass immer weniger Menschen ins Erwerbsleben eintreten, während immer mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das ist eine große Gefahr für Wachstum und Wohlstand in unserem Land. Deswegen braucht Deutschland gezielte Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt.

Herr Brinkhaus, Sie haben es eben und in einem Interview vom letzten Wochenende erwähnt. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem strammen Linkskurs und offenen Grenzen. Das sind Worte, die normalerweise Rechtspopulisten verwenden, um Ängste zu schüren. Ich weiß, dass das nicht Ihre Haltung ist; aber Ihnen muss klar sein, welche Wirkung diese Worte entfalten. Ich sage ganz klar, Herr Brinkhaus: Das ist nicht konservativ. Das ist einfach nur dumm.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn seit 16 Jahren blockiert hier die Union die deutsche Wirtschaft. Die Start-ups in Deutschland, die Bauwirtschaft, die Logistikbranche, der Pflegebereich – ich könnte die Liste unendlich fortsetzen –, sie alle suchen händeringend kluge Köpfe und fleißige Hände. Die Konservativen haben hier seit vielen Jahren eine moderne und eine unideologische Einwanderungspolitik verhindert. Diesen historischen Fehler werden wir korrigieren.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Ampel hat es sich zum Herzensanliegen gemacht, dass Deutschland endlich Platz nimmt in der Mitte der Länder der Welt, die ein Einwanderungsland moderner Natur sein wollen. Wir wollen ein modernes Einwanderungsland werden! Das ist die Botschaft der Ampelkoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Es steht als Titel auf dem Koalitionsvertrag: „Mehr Fortschritt wagen“. Ich habe eben über Demografie gesprochen. Wir werden beispielsweise den Einstieg in eine Aktienrente schaffen. Wir wollen dekarbonisieren und bis 2045 klimaneutral sein; dazu brauchen wir Technologieoffenheit. Den europäischen Emissionshandel haben Sie erwähnt. Und wir wollen ein digitalisiertes Deutschland, einen unkomplizierten Staat, in dem das Versprechen eines sozialen Aufstiegs endlich wieder gilt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7532722
Wahlperiode 20
Sitzung 8
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung durch den Bundeskanzler
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta