Dennis RohdeSPD - Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021
Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Wir sind mitten in der Pandemie, und auch für die Haushaltspolitik gilt weiterhin: Wir werden nicht beim Gesundheitsschutz der Bevölkerung sparen. Der Schutz von Leib und Leben wird auch für die neue Koalition allerhöchste Priorität haben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Neben dem Gesundheitsschutz haben wir uns aber in den letzten anderthalb Jahren auch sehr intensiv mit den wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie beschäftigen müssen. Dafür haben wir vielfältig Brücken gebaut. Wir haben Brücken gebaut für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere durch das Kurzarbeitergeld, damit diejenigen, die vor der Krise einen Job hatten, ihn auch nach der Krise haben. Wir haben Brücken gebaut für Unternehmerinnen und Unternehmer, die vor der Krise erfolgreich waren, damit sie durch Soforthilfe, durch Brückenhilfe, durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch nach der Krise erfolgreich sein können. Wir haben Brücken über diese Krise gebaut.
Aber jetzt geht es um die Frage: Wohin führen eigentlich diese Brücken? Denn die Welt um uns herum ist ja nicht stehen geblieben. Es ist ja nicht nur das Thema Corona, womit sich Politik zu beschäftigen hat. Wir erleben, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen müssen: Landen die Brücken in der Welt, wie sie vorher aussah, oder schlagen wir diese Brücken jetzt in die Zukunft? Wir erleben weltweit, dass die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Transformation zugenommen hat. Viele andere Länder setzen darauf, CO2-neutral zu werden, ihre Produktion weg von CO2 zu führen. Und uns muss klar sein: Wenn dieser Aufschwung, den wir gerade gestalten, wenn diese Brücken in die Zukunft führen sollen, dann geht das nur, wenn wir möglichst schnell in diesem Land die Voraussetzungen schaffen, auch hier CO2-neutral zu produzieren und auch an dieser Stelle wettbewerbsfähig zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Natürlich: Das kostet eine Menge Geld. Auch die Brücken der letzten eineinhalb Jahre haben eine Menge Geld gekostet. Aber hätten wir weggesehen, hätten wir jeden sich selbst überlassen, hätten wir nicht gehandelt, dann wäre das alles viel teurer geworden, und der Schaden für unser Land wäre immens viel größer geworden. Deshalb ist es richtig, zu handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wie dringend mit Blick auf die Zukunft kluges Handeln ist, sehen wir ja schon, wenn große deutsche Unternehmen jetzt Entscheidungen treffen, dass sie Stahl zukünftig bei fremdländischen Unternehmen einkaufen, weil der CO2-neutral ist und wir das Angebot noch nicht so vorhalten können. Gerade deswegen ist es zwingende Voraussetzung für die nachhaltige Sicherung der Arbeitsplätze und des wirtschaftlichen Wohlstandes dieses Landes, dass die Brücken in der Zukunft ankommen, dass sie in der CO2-Neutralität ankommen. Das ist unsere Aufgabe im Hier und Jetzt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Genau das ist der Grund, weswegen wir den Energie- und Klimafonds zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickeln wollen. Damit kommen wir auch – der Bundesfinanzminister hat es angesprochen – dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach, den Übergang zur Klimaneutralität jetzt zügig in Angriff zu nehmen, und wir kommen damit unserer Verpflichtung, der Verpflichtung des Staates nach, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wer das negiert, wer das bestreitet, der möge sich doch noch mal die Bilder aus dem Ahrtal angucken.
(Zuruf von der AfD: Falsches Beispiel!)
Ja, wir brauchen die wirtschaftliche Transformation schnell, um den Wohlstand unseres Landes zu sichern, aber wir brauchen sie eben auch zum Erhalt des natürlichen Lebensraums auf dieser Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Den machen Sie doch kaputt!)
Darum sage ich in aller Deutlichkeit in Richtung Union: Wer davon spricht, wir wollten mit diesem Transformationsfonds nur irgendwelche Ampelprojekte finanzieren, der ist noch immer nicht im Hier und Jetzt und der ist noch immer nicht in der Realität dieses Landes angekommen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wer dann sagt, er will wegen dieser Rücklage für diese unbedingt notwendige wirtschaftliche Transformation dieses Landes nach Karlsruhe gehen und dagegen klagen, der macht sich aus Opportunismus zum Kämpfer gegen den Wohlstand in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Und zum Kämpfer für Recht!)
Aber gehen Sie! Sie werden scheitern. Zum einen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass man eine Krise auch nachhaltig verlassen muss – das machen wir mit diesem Klima- und Transformationsfonds –, und zum anderen, weil wir uns sehr intensiv mit dem Urteil des Staatsgerichtshofs in Hessen auseinandergesetzt haben und uns angeguckt haben, welche Leitplanken da eigentlich gezeichnet werden. Da konnten wir schnell feststellen: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen sind sehr unterschiedlich; denn der Hauptkritikpunkt des hessischen Staatsgerichtshofs war die fehlende parlamentarische Beteiligung und die Verletzung des Budgetrechts des Landtages.
Ich sage Ihnen: Das würde bei uns ins Leere laufen. Wir, der Deutsche Bundestag, sind verantwortlich für die konkrete Verwendung der Mittel der Sondervermögen. Wir beraten jedes Jahr den Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds. Der Haushaltsausschuss setzt sich regelmäßig in vielen Sitzungen mit konkreten Fragen des Energie- und Klimafonds auseinander. Wir schaffen kein Sondervermögen, mit dem eine Regierung frei hantieren kann. Wir beschließen kein Sondervermögen der Bundesregierung; wir beschließen ein Sondervermögen,
(Christian Görke [DIE LINKE]: Schattenhaushalt!)
über dessen konkreten Einsatz zur nachhaltigen Bekämpfung der Pandemie wir als Deutscher Bundestag entscheiden werden.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir reden also nicht von einem Sondervermögen der Exekutive, sondern von einem der Legislative. Das ist der Unterschied zu Hessen.
Vielleicht das auch noch einmal an ein paar wenigen Zahlen verdeutlicht: Das hessische Sondervermögen findet sich auf einer halben Seite zusammengefasst, zwei Einnahmepunkte, sieben Ausgabepunkte für 12 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsplan des Energie- und Klimafonds umfasst im Entwurf 2022 85 Seiten. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und wir werden sie auch weiterhin machen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und: Ein Sondervermögen für dringend notwendige Transformationsprozesse zu nutzen, ist im Deutschen Bundestag nichts Neues. Genau dasselbe haben wir in der letzten Koalition auch gemacht.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das macht es ja nicht besser!)
Wir haben mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 28 Milliarden Euro ebenfalls für Transformationsaufgaben in den Energie- und Klimafonds überführt. Wir haben das nicht nur mit den Stimmen der Union gemacht, sondern die Union war auch noch voll des Lobes.
So hat der damalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Jung in der Debatte am 2. Juli 2020 an diesem Rednerpult von einer „Vitaminspritze für die Zukunft unseres Landes“ gesprochen.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Der Kollege Brandl sprach in derselben Debatte an diesem Rednerpult davon, dass es nicht nur der Anspruch sein müsse, nach der Krise in einem Deutschland anzukommen, das wie davor ist, sondern – Zitat – „unser Anspruch ist, Deutschland damit besser zu machen“. Sie erkennen also die Notwendigkeit, zu handeln. Sie haben die Instrumente, die wir nutzen, selbst miterdacht. Sie sprachen von Vitaminspritzen, davon, Deutschland besser zu machen, und heute verleugnen Sie Ihre eigene Politik. Ich frage: Wer soll Ihnen das eigentlich abnehmen?
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Bundesminister Lindner hat es angesprochen: Helge Braun hat ja selbst einen Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse auf den Weg gebracht. Die Begründung dafür, die Herleitung, ist genauso interessant. Ich zitiere Helge Braun aus dem „Handelsblatt“ vom 26. Januar 2021:
Sollte eine solche strategische Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung getroffen werden, ist das mit erheblichen Belastungen für den Bundeshaushalt verbunden. Konkret: Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin
– die Sie, Herr Haase, gerade gefordert haben –
nicht einzuhalten.
Helge Braun sagt also ebenfalls, dass es einer strategischen Entscheidung zur wirtschaftlichen Erholung bedarf und dass diese enorme Kosten mit sich bringt. Trotzdem wurde sein Vorschlag insbesondere von Ihrer Fraktions- und Parteiführung vehement zurückgewiesen. Ihr Credo war: Keine neuen Schulden! Keine zusätzlichen Einnahmen! – „Kein Geld für Transformationsaufgaben!“ kommt heute noch dazu. Und was machen Sie? Sie machen Helge Braun, der all das erkannt hat, zu Ihrem Gesicht für die Haushaltspolitik im Deutschen Bundestag, zum Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Was gilt jetzt eigentlich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Abschließend: Was ist der Preis des Nichtstuns? Die Brücken nicht in die Zukunft zu schlagen, würde den wirtschaftlichen Aufschwung unseres Landes massiv gefährden. Da es die stärkste Volkswirtschaft in Europa ist, würde das die ökonomische Erholung des gesamten Kontinents gefährden. Heute nicht zu handeln, würde den Preis in der Zukunft um ein Vielfaches erhöhen, weil unsere Wirtschaft abgehängt ist und weil Katastrophen wie die im Ahrtal Milliarden Euro an Schäden mit sich bringen.
Diese Krise ist nicht beendet. Sie stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir sind bereit, diese Herausforderungen anzugehen. Der Nachtragshaushalt ist der erste richtige Schritt in die richtige Richtung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Boehringer.
(Beifall bei der AfD)
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Electoral Period | 20 |
Session | 9 |
Agenda Item | Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 |