27.01.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 14 / Tagesordnungspunkt 5

Gunther KrichbaumCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zur Konferenz zur Zukunft Europas

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunftskonferenz ist schon jetzt ein Erfolg; denn sie sorgt für einen positiven Schub bei den Bürgerinnen und Bürgern in Europa. Man debattiert, man diskutiert über Europa quer durch die Republik, quer durch Europa hindurch. Auch in meiner Heimatstadt, in Pforzheim, einer Stadt mit einem sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, debattiert und streitet man leidenschaftlich über und für die europäischen Themen. Das Thema Europa findet so auch Eingang in die Schulen. Aber bei Lichte besehen müssen wir auch sagen: Es ist noch mächtig Luft nach oben. Hier würde ich mir zum Beispiel gerade von den Ländern wünschen, dass dieses Thema noch stärker über die Kultusministerkonferenz in die Schulen eingespeist wird, sodass wir gerade bei der jungen Generation hier für einen positiven Aufschlag sorgen.

Wir müssen uns mit den Vorschlägen, die die Bürger machen, ernsthaft auseinandersetzen. Frau Staatsministerin Lührmann hat es gerade angesprochen: Einer der Wünsche aus der Bürgerschaft heraus ist beispielsweise der Wunsch nach mehr strategischer Autonomie Europas. Wir müssen uns in der Tat kritisch die Frage stellen, ob wir noch weltpolitikfähig sind.

Das bedeutet, beispielsweise mit Blick auf China zu erkennen, dass China sehr wohl eine Strategie für Europa und auch für Afrika hat, aber wir umgekehrt keine für China. Auch hier lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Verhältnisse. Wir debattieren leidenschaftlich in Deutschland und in Europa, ob wir Huawei auf den europäischen Markt lassen sollen, ja oder nein. Bei Lichte besehen geht es hier aber gar nicht um Huawei. Das Problem liegt vielmehr darin, dass wir keine europäische Antwort haben, dass wir keinen European oder, besser gesagt, Global Player haben, der Huawei das Wasser reichen könnte.

Überdies: Wir debattieren darüber, ob wir es zulassen dürfen, dass wir Züge gemeinsam mit Alstom und Siemens bauen, und versperren uns über das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union wertvolle Wege, die wir brauchen, um hier in der Globalisierung bestehen zu können. Auch das ist wichtig, wenn wir eine strategische Autonomie anstreben wollen.

Eine andere Entwicklung, die wir in Deutschland eigentlich kaum wahrnehmen, jedenfalls eine Diskussion, die wir nicht führen, ist die Konzentration auf dem Finanzdienstleistungsmarkt. Schauen wir auf die zehn größten Banken, gemessen am Börsenwert, dann findet sich darunter keine einzige europäische Bank. Fünf kommen aus China, fünf kommen aus den USA. Noch brutaler und dramatischer sieht es aus, wenn wir auf die Bilanzsumme schauen. Die vier größten Banken kommen alle aus China. Was bedeutet das jetzt für uns in Europa? Jeder – jede Bürgerin und jeder Bürger –, der schon einmal eine Finanzierung machen musste, weiß, dass, bevor das Geld fließt, die Daten fließen müssen. Das heißt: Jedes Unternehmen muss, wenn China in den europäischen Markt investiert, Daten liefern und ermöglicht damit den Einblick in die Herzkammer eines Unternehmen. Das heißt: Auch an dieser Stelle müssen wir aufpassen, dass wir uns strategisch klug genug aufstellen; denn es geht nicht nur um die Unternehmen, sondern auch um die Volkswirtschaften. Der Einfluss Chinas in der Welt und vor allem in Europa steigt beharrlich.

Wenn wir über die Weltpolitikfähigkeit reden und den Wunsch nach mehr strategischer Autonomie, dann geht es natürlich auch um die Ukraine. Die Ukraine war gerade Debattengegenstand; deswegen möchte ich mir dazu weitere Ausführungen sparen. Aber es fällt natürlich schon auf, dass in Genf aktuell die Gespräche über zentrale europäische Sicherheitsfragen laufen, aber Europa dort nicht mit am Tisch sitzt und mitverhandelt. Für uns ist klar: Die Ukraine ist ein souveränes Land, und es ist zunächst einmal die Entscheidung dieser Länder, ob sie sich den Standards der Europäischen Union annähern wollen oder nicht. Aber wenn das, wie im Fall der Ukraine, erfolgt ist, dann kann es nicht sein, dass Russland hier ein Mitspracherecht für sich reklamiert – das sollte auch Herrn Gysi eigentlich klar sein –; denn würde man das zubilligen wollen, wäre das ein Revival, eine Wiederbelebung der Breschnew-Doktrin. Aber Breschnew ist genauso tot, wie die Breschnew-Doktrin es sein sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir auf Russland schauen, dann sehen wir: Wir werden an einem Punkt immer auseinanderliegen. Das, was wir als unsere Werte betrachten – Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie –, sind aus Sicht von Herrn Putin reale Bedrohungslagen. Er kann mit Freiheit genauso wenig anfangen wie mit Demokratie.

Eine der Forderungen – Frau Lührmann, Sie wissen das, weil Sie mit dabei waren – betrifft auch die Frage einer europäischen Armee. Dabei wird ein Stück weit übersehen, dass wir im Prozess der verstärkten Zusammenarbeit PESCO auf den Weg gebracht haben. Willige Länder, die hier vorangehen wollen, können das also tun und machen es dann auch. Aber bis zu einer europäischen Armee ist es noch ein sehr, sehr weiter Weg; denn das würde zunächst einmal bedeuten, dass wir schon beim Beschaffungswesen einheitliche Standards bekommen. Aber auch hier gibt es keine europaweiten Ausschreibungen, weil – mit Blick auf Frankreich – sich einzelne Mitgliedsländer dagegen wehren.

Aber an die eigene Adresse gesprochen: Wenn wir tatsächlich den Verteidigungsbereich europäisieren möchten, dann heißt das im Klartext auch, dass wir von den weltweit strengsten Rüstungsexportgesetzen, die wir nun einmal haben, Abstriche machen müssen. Sonst kommen wir hier zu keiner echten Europäisierung.

Ich möchte damit schließen, dass die Zukunftskonferenz sehr, sehr viele gute Ideen liefert, auch Positionen vermittelt, die uns zu einer Rückbesinnung verpflichten. Wir müssen jetzt schauen, dass wir dieser Zukunftskonferenz eine Zukunft geben. Ich möchte da ausdrücklich die Projektpartner ermutigen, weiterzumachen. Frau Hartung von Pulse of Europe beispielsweise steckt enorm viel Engagement hinein. Wenn wir als Parlamentarier – Europäisches Parlament, nationale Parlamente – diese Ideen nicht aufgreifen und diskutieren, dann würde sehr viel Enttäuschung zurückbleiben, und das wäre fatal. Das können wir nicht wollen. Ich freue mich deswegen auf eine Fortsetzung dieses Prozesses im Mai. Noch während der französischen Ratspräsidentschaft wird dann wohl der Abschlussbericht vorgelegt werden. Aber, wie gesagt: Weitermachen ist sinnvoll, weil wir dann viele weitere Menschen für das europäische Projekt begeistern können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Thomas Hacker [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533396
Wahlperiode 20
Sitzung 14
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zur Konferenz zur Zukunft Europas
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