17.02.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 17 / Zusatzpunkt 2

Johann WadephulCDU/CSU - Haltung des Westens zur Politik Russlands

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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es droht Krieg in Europa. Wir haben uns das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, auch nach den dramatischen Ereignissen des Jahres 2014, als Russland die Krim rechtswidrig annektierte und in einem hybriden Ansatz bewaffnete Konflikte im Osten der Ukraine initiierte, die bis heute andauern, nicht vorstellen können. Russische Streitkräfte in einem Ausmaß, dass sie ohne Weiteres in der Lage sind – nach wie vor, bedauerlicherweise –, die Ukraine zu überfallen, dort eine militärische Invasion durchzuführen, befinden sich an den Grenzen dieses zweitgrößten europäischen Landes. Das Modell einer Ukraine, die demokratisch, parlamentarisch funktioniert, in der es freie Presse und unabhängige Gerichte gibt, wird von der russischen Führung offensichtlich als Bedrohung angesehen.

Friedrich Merz hat in der letzten Debatte hier schon darauf hingewiesen, welche Entwicklung es in Russland gegeben hat: Nachdem Wladimir Putin hier noch 2001 dem Westen eine Zusammenarbeit anbot – die wir auch nicht vollständig angenommen haben –, hat er 2008 auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Zusammenbruch der Sowjetunion als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Hier sieht man offenkundig die Motive der russischen Führung. Das ist nur eine Erklärung, keine Legitimierung und keine Legalisierung des russischen Vorgehens, was wir in und um die Ukraine sehen. Einem solchen Vorgehen, das Russland seit 2014 in der Ukraine zeigt und jetzt wieder durch diese Truppenmassierung androht, muss die freie Welt entgegenstehen; hier muss Deutschland gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten für Frieden, für die Einhaltung der regelbasierten Ordnung und für die internationale Rechtsordnung einstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Sinne hat die Bundesregierung in den letzten Wochen gehandelt. Ich danke der Außenministerin ausdrücklich, auch für ihre Reise an die Kontaktlinie, für ihre Reise nach Kiew, für ihre klaren Aussagen dort. Ich danke auch dem Bundeskanzler, der jetzt in Kiew und dann auch im Beisein von Wladimir Putin nach einem ausführlichen Gespräch klargemacht hat, dass Deutschland dieses Verhalten nicht akzeptiert, dass wir diesem gemeinsam, geschlossen mit den Vereinigten Staaten, mit unseren europäischen Partnern, mit den baltischen Staaten, mit Polen, mit allen Anrainerstaaten dort entgegenstehen. Dieses verantwortungsvolle Handeln der Bundesregierung unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir haben allerdings zu der Form des Vorgehens und zu Ihrer Kommunikation Anmerkungen zu machen. Die erste Anmerkung betrifft das Fehlen des Bundeskanzlers in dieser Debatte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es droht nicht weniger als Krieg. Und der Bundeskanzler hat zu Recht in Moskau gesagt, es sei die „verdammte Pflicht“, politisch dagegenzuarbeiten. Aber ich sage auch: In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist es die erste Pflicht des Bundeskanzlers, seine Politik in dieser Krise hier vor dem Deutschen Bundestag zu erläutern. Wo sind Sie, Herr Scholz?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat ja deutlich gemacht, dass er die Verfassungsordnung kennt, und darauf hingewiesen, dass er und nicht Gerhard Schröder der aktuelle Bundeskanzler ist. Aber unser Verfassungsrecht regelt ja nicht nur die Funktionsweise der Exekutive, sondern das Parlament ist der erste Ort, wo Politik erklärt, gerechtfertigt und dargelegt werden muss, und ich muss sagen: Ich begrüße sehr, dass die Frau Bundesaußenministerin jetzt hier ist. Aber das Fehlen des Bundeskanzlers ist nicht zu rechtfertigen. Und er hätte auch früher klare Worte finden müssen. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für seine Rede auf der Bundesversammlung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Er hat klargemacht – das wäre die Aufgabe des Bundeskanzlers gewesen –, wo Deutschland steht.

(Zuruf von der AfD: Widerlich war die Rede!)

Der Bundeskanzler ist unklar geblieben – bedauerlicherweise – an der Seite eines amerikanischen Präsidenten, der – angefochten insbesondere durch die Republikaner, die derzeit wieder vor dem Sprung stehen, mehr Einfluss zu bekommen in den USA – wie kein anderer in Amerika an der Seite Europas steht und betont, er wolle gemeinsam mit Deutschland Politik machen. Aber sich dorthinzustellen und es dem amerikanischen Präsidenten zu überlassen, zu erklären, dass Nord Stream 2 zu einem Sanktionspaket natürlich dazugehört, das war eine Situation, die schon demütigend für den deutschen Bundeskanzler war und den amerikanischen Präsidenten – der an unserer Seite steht – in den USA in zusätzliche politische Schwierigkeiten gebracht hat, die wir einmal bereuen könnten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das war ein großer Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Verhalten ist auch gegenüber der Ukraine rechtfertigungsbedürftig. Natürlich gehört Deutschland nicht zu den ersten Ländern, die Waffen liefern; das ist vollkommen klar. Dass man dabei Zurückhaltung übt, ist gute deutsche Tradition. Aber verstehen wir nicht, wie es auf die Ukrainer, die einer derartigen militärischen Aggression gegenüberstehen, wirken muss, wenn die erste Zusicherung, die wir ankündigen, Lazarette sind? Verstehen wir nicht, dass das in der Ukraine fast als zynisch verstanden wird? Wenn wir dann noch unseren NATO-Partnern wie den Esten in den Arm fallen, die ein paar veraltete Artilleriesysteme liefern wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das keine Position der Solidarität mit der Ukraine. Das war und das bleibt ein großer Fehler der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu Herrn Vizekanzler Habeck muss man sagen: Wer als Parteivorsitzender Defensivwaffen für richtig hält, der darf sich, wenn er dann ein Staatsamt innehat, nicht ein Schweigegelübde auferlegen. Das passt nicht zu dem politischen Anspruch, den wir von ihm kennen.

Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt: Die Souveränität der Ukraine ist unantastbar. – Aber auch die Entscheidung der Ukraine und des Bündnisses selber, irgendwann über einen Eintritt der Ukraine in die NATO zu entscheiden, muss unantastbar bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das sage ich nicht nur mit Blick auf die Ukraine – denn da steht das nicht auf der Tagesordnung –; das sage ich auch – ich komme aus Schleswig-Holstein, einem Ostseeanrainer – mit Blick auf Schweden und Finnland. Wir dürfen uns von Russland nicht vorschreiben lassen, wer sich unseren defensiven, friedlichen Bündnissen anschließt; das muss klare deutsche Position sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf des Abg. Petr Bystron [AfD] – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Friedlich ist die NATO nicht!)

Abschließend ein Wort zu Russland: Friedrich Merz hat öffentlich richtigerweise gesagt: „Russland ist nicht unser Feind.“ Das, glaube ich, sehen wir hier alle auch so. Insbesondere das russische Volk steht uns eher nahe aufgrund einer langen Historie und der langen kulturellen Beziehungen. Durch den letzten Krieg hat Deutschland eine besondere Verantwortung, dass das russische Volk nicht erneut in kriegerische Handlungen verstrickt wird; aber diese Verantwortung hat Deutschland auch für das ukrainische Volk. Denn dort haben die schlimmsten Kriegshandlungen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg stattgefunden.

Wir müssen in der Lage sein, zwischen dem russischen Volk und denjenigen, die die Führung dort innehaben, einer kleptokratischen Clique, zu unterscheiden. Wir stehen an der Seite des russischen Volkes. Wir sind ein Freund Russlands. Gerade Deutschland – bei aller Realpolitik, die natürlich verlangt, mit der Regierung zu verhandeln – muss beachten: Wir haben in Russland viel Schuld auf uns geladen, und wir sind dem russischen Volk und dem ukrainischen Volk verpflichtet, jeden Einsatz für Frieden in dieser Region zu leisten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, begrüße ich auf der Tribüne Seine Exzellenz Herrn Dr. Andrij Melnyk für die Botschaft der Ukraine. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist Dr. Ralf Stegner, den ich zu seiner ersten Rede hier im Hause begrüße.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7533679
Wahlperiode 20
Sitzung 17
Tagesordnungspunkt Haltung des Westens zur Politik Russlands
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