Helge LindhSPD - Aktuelle Stunde - Straßenblockaden und unangemeldete Demonstrationen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich las den Titel der Aktuellen Stunde und ging davon aus, es sei ein Antrag der AfD-Fraktion. Dann sah ich, dass er von der Union kam. Das sagt, glaube ich, viel über den Hintergrund dieser Aktuellen Stunde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Sie nutzen diese ja, um im McCarthy-Stil einen Angriff wegen eines Artikels von Nancy Faeser im Magazin „antifa“ zu reiten. Dazu stelle ich Folgendes fest:
Erstens. Ich habe selbst unlängst mit dem VVN-BdA gegen die Instrumentalisierung und Leugnung des Holocaust von Querdenkern in meiner Stadt Wuppertal demonstriert. Und ich habe das bewusst und stolz gemacht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Ich machte das in der Tradition von Esther Bejarano, die in der Vergangenheit, bevor sie starb, dort immer Stellung bezog und das zusammen mit Microphone Mafia machte. Ich frage mich: Wo war bei diesen Demonstrationen gegen die Leugnung des Holocaust die Union? Nicht da.
Zweiter Punkt. Das wurde schon erwähnt: Richtigerweise finden sich die Namen von Finanzminister Boddenberg, Altoberbürgermeisterin Roth und vom Antisemitismusbeauftragten Becker auf der Frankfurter Erklärung zusammen mit der Unterschrift des VVN-BdA. Recht so und gut so! Wie reagieren Sie darauf? Parteiausschluss, Ordnungsverfahren, Sanktionen gegen diese Personen, weil sie sich solidarisch mit VVN-BdA für eine demokratische Gesellschaft einsetzen?
Dritte Frage, die ich aufwerfe: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat sehr deutlich seine Irritation zum Ausdruck gebracht, als zeitweilig dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen war. Er hielt das für nicht nachvollziehbar und ein falsches Signal. Und im Übrigen ermahnte er die CDU, weil Herr Maaßen auffalle durch Antisemitismus und Volksverhetzung. „ Ist nun Josef Schuster ein Propagandist, ein Apologet des Linksextremismus?“, frage ich.
Ich fasse zusammen. Ihr Antrag ist vor allem eines – und das im doppelten Sinne –: Er ist trampelig, er ist tumb, dumm, und er ist zugleich in schierer Manier populistisch und trumpistisch.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Er ist ein Ablenkungsmanöver von genug Skandalen, die ein Anlass für Aktuelle Stunden wären: Maskenskandal, Maskenbeschaffungsskandal, Augustus Intelligence, anderes fragwürdiges Finanzgebaren. Das alles ist interessant und diskussionswürdig, auch zum Beispiel das Organ „The Republic“, von dem das Mitglied des Zukunftsteams von Armin Laschet, Peter Neumann, sagte, das sei AfD-affiner Ramsch. Recht hat er!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Martina Renner [DIE LINKE])
Und ich erwähne noch etwas an dieser Stelle: Sie lenken nicht nur ab – das ist schon schlimm genug –, sondern machen das auch noch zwei Tage vor dem Tag des Gedenkens an Hanau und einen Tag nach Beginn des Prozesses um NSU 2.0. Und weil das noch nicht der Gipfel der Geschmacklosigkeit, Anstandslosigkeit, Pietätlosigkeit und Ruchlosigkeit – alles vier zusammen – ist, haben Sie die gestrige Debatte zu Hanau missbraucht, um ein Ablenkungsmanöver mit dem typischen Reizreflex gegen Linksextremisten zu fahren und Nancy Faeser zu attackieren. Das ist jenseits von jedem Anstand.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Wenn Sie Anstand im Leib hätten, dann würden Sie diese Energien einsetzen, um Peter Beuth zur Rede zu stellen; denn Peter Beuth, Innenminister in Hessen, sagt ja auf seiner Internetseite, seine Kernaufgabe sei die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Sagen Sie ihm doch, dass er seinen Job machen muss! Denn es gibt nirgendwo eine solche Gefährdung der Sicherheit, wie es bei den Opfern von Rassismus und Rechtsextremismus der Fall ist. Herr Beuth, machen Sie Ihren Job! Es ist Ihre verdammte Aufgabe, ihn dazu aufzufordern oder seinen Rücktritt zu fordern.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt, über den wir hier eigentlich sprechen müssten. Vor wenigen Tagen erschien ein Video der Berlinerin Dilan Sözeri, in dem sie folgenden Satz sagte: Ich wurde zusammengeschlagen, weil ich Ausländerin bin. – In dem Satz steckt alles, die entscheidende Wahrheit, die wir viel zu selten aussprechen, weil wir uns in Betroffenheitsfloskeln flüchten – manchmal gutmeinend –, weil wir von Versöhnung und allem anderen sprechen. Wir sprechen nicht das Entscheidende aus, und das Entscheidende – das sollten Sie sich wirklich ins Stammbuch schreiben lassen – heißt: Solingen, Hoyerswerda, Rostock, NSU, Kassel, Chemnitz und Hanau. Das ist die Linie. Das sind keine Versehen der Geschichte, keine Ausbrüche, keine Einzelfälle; das ist das entscheidende Problem in diesem Land.
Wir haben nicht ein Antifa-Problem in diesem Land. Wenn wir mehr Antifaschismus in allen Strukturen hätten, wäre es nicht zu diesen Taten gekommen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nein, wir haben ein Faschismusproblem in diesem Land. Und mit solchen Anträgen vermindern Sie dieses Problem nicht; Sie tragen eher dazu bei, es zu verstärken.
Demut fehlt Ihnen. Versuchen Sie es aber einmal selber! Hören Sie in sich hinein, überlegen Sie, dass in Ihren eigenen Reihen Menschen sitzen, die wissen, was Rassismus bedeutet und was Rassismus, Bedrohung und Gewalt aus Menschen machen!
Herr Kollege.
Erweisen Sie sich eine Sekunde lang denen würdig, die in zwei Tagen in Hanau sitzen werden und die erleben mussten, wie ihre Kinder ermordet wurden, die dann noch erleben mussten, wie sie selber mitsterben, weil die Ursachen nicht aufgeklärt werden, und die ein weiteres Mal ermordet werden, weil im Nachhinein so dilettantisch und unerträglich verschleiert wird, was geschehen ist! Es wäre Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Aktuelle Stunden dazu zu beantragen, nichts anderes.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Philipp Amthor das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7533865 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 17 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Straßenblockaden und unangemeldete Demonstrationen |