17.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 7

Jens SpahnCDU/CSU - Sichere Energieversorgung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Herrn Präsidenten Selenskyj ausdrücklich danken für seine eindrückliche Schilderung und seine klaren Worte heute Morgen. Putin hat gestern und auch heute wieder zivile Ziele bombardiert. Das ist barbarisch. Das Schicksal der Ukraine bewegt uns tief, der Kampf um Freiheit und Sicherheit, ja ums nackte Überleben. Deswegen trifft uns eine Verantwortung, uns in diesem Konflikt zu positionieren: gegen den Aggressor Putin und zur Ukraine und zu ihrem Präsidenten Selenskyj.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es wäre gut gewesen, wenn sich die Bundesregierung hier nach der Rede des Präsidenten erklärt hätte, wie sie zu seinen Worten und auch Forderungen steht,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und wenn dieses Parlament darüber hier im Anschluss debattiert hätte. Dazu waren Sie nicht bereit. Dies bedauern wir ausdrücklich.

Nun debattieren wir dank unseres Antrags wenigstens über einen Teilbereich, in dem es gilt, unsere eigenen deutschen und europäischen Interessen in diesem Krieg zu formulieren und Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen so schnell wie möglich Putin-frei werden in unserer Energieversorgung. Deutschland braucht eine sichere und souveräne Energieversorgung. Wir können nicht leugnen: Wir haben uns in eine Situation zu großer Abhängigkeit begeben.

(Karsten Hilse [AfD]: Die CDU! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das nur passiert? Ganz plötzlich!)

Als einziges Industrieland der Welt steigen wir gleichzeitig aus Kohle- und Kernenergie aus und versuchen währenddessen, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaneutralität bis 2045 zu gewährleisten.

Auf diesem Weg zur Energiewende sollte Gas noch über viele Jahre die Brückentechnologie bilden und Russland als Lieferant von möglichst viel günstigem Gas dienen. Putins Invasion erschüttert diese Brücke in ihren Grundfesten. Ich möchte daher klar sagen: Wir müssen als demokratische Parteien in diesem Parlament anerkennen, dass wir nahezu alle den Weg dieser Energiewende mit gleichzeitigem, doppeltem Ausstieg gegangen sind und ihn mitgetragen haben

(Stephan Brandner [AfD]: Alle den falschen Weg, Herr Spahn! Sagen Sie mal was dazu!)

und – ja – dass man manche Entscheidungen

(Stephan Brandner [AfD]: Alle den falschen Weg gegangen! Die gesamte nationale Front der Altparteien! Alle den falschen Weg! Sagen Sie mal was dazu! – Gegenruf des Abg. Michael Kruse [FDP]: „Nationale Front“? Sagen Sie mal, geht’s bei Ihnen noch? Geht’s bei Ihnen eigentlich noch?)

– beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich! – heute anders treffen würde.

(Stephan Brandner [AfD]: Alle im Gleichschritt marschiert! Alle!)

– Ganz ruhig, ganz ruhig!

(Kathrin Vogler [DIE LINKE], an den Abg. Stephan Brandner [AfD]: gewandt: Ruhig, Brauner!)

Deswegen will ich ausdrücklich auch das, was Sie, Herr Minister Habeck, in der Korrektur vieler eigener Positionen gesagt und angestoßen haben, anerkennen und unterstützen.

(Stephan Brandner [AfD]: Ja, kein Wunder!)

Wir fordern in unserem Antrag einen schlüssigen Plan der Bundesregierung zur Sicherstellung der Energieversorgung, insbesondere der Gas- und Stromversorgung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der umfassende Plan der Bundesregierung muss drei unterschiedliche Komponenten berücksichtigen: Was ist, wenn Russland morgen seinerseits alle Lieferungen kürzt oder stoppt? Was bedeutet das für Deutschland, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Industrie? Wie können wir ein Ende der Gasimporte über Nord Stream 1 ermöglichen? Wie werden wir spätestens bis zum Winter 2023/24 unabhängig von russischen Importen?

(Stephan Brandner [AfD]: Niemals!)

Wer unter diesen Voraussetzungen kurz-, mittel- und langfristig die Energieversorgung sicherstellen möchte, wird harte Entscheidungen treffen müssen, und diese muss er darlegen, herleiten und erklären. Deswegen, Herr Minister Habeck, ist es gut, dass Sie heute hier zur Impfpflicht gesprochen haben; aber ich hätte es noch besser gefunden, wenn Sie zu diesem Thema heute hier im Deutschen Bundestag auch etwas sagen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einmal mehr sagt die Bundesregierung nichts zu einem entscheidenden Thema für Deutschland.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch mittlerweile ein Muster hier im Deutschen Bundestag. Jetzt wird gerade eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers gegeben, wo er sich wahrscheinlich zur Rede von Selenskyj verhält. Es kann doch nicht sein, dass die Bundesregierung sich hier im Deutschen Bundestag nicht verhält zu vielen wichtigen Fragen, aber ständig draußen irgendwo Interviews gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So funktioniert das nicht!

(Timon Gremmels [SPD]: Sie haben ja nie Interviews gegeben als Gesundheitsminister!)

– Ich war in jeder Debatte hier; überhaupt kein Thema.

Dazu zählen auch schnelle Entscheidungen bei der Kohle. Es geht darum, Kohleimporte zu diversifizieren und Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen. Jeder Tag, den die Ampel bei der Aktivierung von Kohlekraftwerken zögert, gefährdet die Energieversorgung im nächsten Winter; denn aktive Kohlekraftwerke tragen dazu bei, dass jetzt die Gasspeicher schneller gefüllt werden können.

Dazu gehört auch eine umfassende Prüfung in Sachen Kernenergie und Weiterbetrieb der Kernkraftwerke.

(Stephan Brandner [AfD]: Aha! Bravo! Aktivieren!)

Wer jetzt schon ideologisch Möglichkeiten ausschließt, ohne Lösungen gefunden zu haben, handelt der Lage nicht angemessen. Und es ist auch nicht gut im Sinne der CO2-Neutraltität, wenn wir die Energieformen, die CO2-neutral sind, ausschließen, auch und gerade nicht von einem grünen Wirtschaftsminister.

(Stephan Brandner [AfD]: Was sagt denn Frau Merkel dazu?)

Wir wollen eine offene, ideologiefreie Prüfung aller Optionen für die Energieversorgung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Dazu zählen auch Maßnahmen, die den LNG-Import steigern. Wir unterstützen insoweit alle diese Bemühungen. Bei alldem darf die Bundesregierung aber keine falschen Vorstellungen vermitteln. Wir brauchen kurzfristige Lösungen, um Putin-frei zu werden in unserer Energieversorgung. Vieles, worüber wir aktuell debattieren, trägt aber höchstens mittel- und langfristig dazu bei. Vor allem braucht es Entschlossenheit in der Umsetzung. Pipelines, Leitungen, Terminals, die bauen sich eben nicht nur durch Absichtserklärungen, sondern da muss die Regierung mit Nachdruck dranbleiben.

Ein letztes, ein wichtiges Thema: Ent- und Geschlossenheit fehlt der Koalition ganz offensichtlich auch bei den hohen Energiepreisen. Vorab: Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung nunmehr einige der Forderungen, die wir hier vor einem Monat erhoben haben, auch umsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damals haben Sie noch alles abgewehrt, heute handeln Sie – gut so, aber leider viel zu spät.

(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Wir begrüßen es, dass Sie hier eine regelrechte Kehrtwende hinlegen.

(Michael Kruse [FDP]: Ihre Politik ist eine Kehrtwende!)

Jetzt soll es angesichts der steigenden Spritpreise, die der Finanzminister vor einer Woche noch ausgeschlossen hat, doch eine Entlastung geben. „ Mindestens deutlich unter 2 Euro“, das hat er gesagt. An dieser Ankündigung werden wir die Bundesregierung messen.

Bevor die Koalition eigene Vorschläge auf den Tisch gelegt hat, arbeitet sie sich an unseren Vorschlägen ab – seit Tagen. Das ist okay.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen einen Regierungsauftrag gegeben haben und nicht uns.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glücklicherweise!)

Deswegen, Herr Scholz, Herr Habeck, Herr Lindner, erwarten wir, erwarten vor allem die Pendler, die Familien, die Lkw-Fahrer, all diejenigen, die jeden Tag an der Zapfsäule zahlen müssen, dass Sie hier endlich Lösungen auf den Tisch legen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

damit wir zu Entlastungen kommen, die schnell wirksam sind und einen Unterschied machen.

(Stephan Brandner [AfD]: Warum schämen Sie sich eigentlich nicht für diese Heuchelei?)

Die Entlastung muss schnell wirken, unbürokratisch sein und mindestens 40 Cent pro Liter ausmachen. Eine Tankfüllung kostet bei 50 Litern mittlerweile 110 Euro, 120 Euro. Wie sollen wir das alles noch bezahlen? Diese Frage stellen sich viele Menschen im Land, und deswegen bitte so schnell wie möglich – denn das wirkt auch sofort – die Mineralöl- oder Energiesteuer auf den Sprit senken. Die Sanktionen sollen Putin und seine Oligarchen treffen und nicht die Pendler.

(Michael Kruse [FDP]: Das tun sie genau nicht!)

Deswegen braucht es hier deutliche Entlastungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Kollege Spahn, Sie können gern weitersprechen, tun das aber auf Kosten Ihrer Kollegen.

Ich komme ja auch schon zum Schluss, Frau Präsidentin. Vielen Dank. – Wenn es dann heißt, dass das in Brüssel schwer wäre, sage ich: Ja, das mag sein; man muss sich dann in Brüssel einsetzen für dieses Thema. Andere Länder in Europa tun das ebenfalls, und diese Erwartung haben wir auch an die Bundesregierung.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir eine Putin-freie Energieversorgung und dafür einen Plan der Bundesregierung, wie das gelingen soll. Wir brauchen eine technologieoffene, ideologiefreie Prüfung aller Optionen. Aber vor allem haben es die Familien und Pendler verdient, dass die Spritpreise endlich sinken. Tun Sie was!

(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Dass Sie sich nicht schämen für eine solche Heuchelei, Herr Spahn! Das ist erbärmlich! – Gegenruf von der CDU/CSU: Erbärmlich ist was anderes!)

Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534252
Wahlperiode 20
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Sichere Energieversorgung
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