23.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 04

Jürgen HardtCDU/CSU - Bundeskanzleramt (einschl. Ostdeutschland, Integration und Kultur)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu den außen- und sicherheitspolitischen Themen sprechen; aber zunächst möchte ich an das anknüpfen, was von den Kulturpolitikern des Bundestages gerade gesagt wurde. Ich finde, wir haben ein leistungsfähiges Instrument, eine starke Stimme der freien Welt, die von uns aus, von Deutschland aus, im Ausland die freie Meinung pflegt und unsere Position und die Position der freien Welt verkündet – das ist die Deutsche Welle. Ich glaube, eine Konsequenz aus der Erfahrung der letzten Monate – mit der wachsenden Unfreiheit auch hier bei uns in Europa, mit der Aggression durch Russland, aber auch mit dem, was in China vorgeht – ist, dass wir alle gemeinsam dafür sorgen müssen, dass die Deutsche Welle ihren Auftrag noch besser erfüllen kann, als sie das schon tut.

Ich finde, dass wir darüber hinaus auch darüber nachdenken müssen, wie wir den Falschinformationen und den Fake Facts, die auch in unser Land hineinstrahlen, zum Beispiel in russischer Sprache, konsequent etwas entgegenhalten, damit nicht etwa diejenigen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die aus alter Gewohnheit und wegen ihrer Sprachkompetenz doch stark russische Medien konsumieren, mit diesen falschen Behauptungen überhäuft werden und eben keine Chance haben, ihr Bild richtigzurücken. Deswegen brauchen wir, glaube ich, in Deutschland auch eine nationale Anstrengung zur Überwindung von Fake Facts.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist mein Beitrag zum Kulturteil der heutigen Debatte.

Ansonsten möchte ich anknüpfen an das, was zu Russlands Überfall auf die Ukraine gesagt wurde. Wir haben gegenüber dem Bundeskanzler, der Bundesregierung erklärt – es wurde durch unseren Fraktionsvorsitzenden heute bekräftigt und wiederholt –, dass wir die notwendige Politik als Konsequenz aus der Zeitenwende, die wir erleben, unterstützen. Das bedeutet aber nicht, dass wir bereit sind, alles kritiklos hinzunehmen, sondern, dass wir konstruktiv unsere eigenen Vorschläge dazu machen.

Und es gibt eine Frage, die für mich über allen Debatten dieser Tage steht. Das ist die Frage: Tun wir genug, um die Ukraine zu unterstützen? Das ist die Frage, die auch letzten Donnerstag, als der ukrainische Präsident Selenskyj zu uns gesprochen hat, hier im Raum stand. Er kam zu der bitteren Aussage, dass wir aus seiner Sicht, aus der Sicht der Ukraine, nicht genug tun, um die Ukraine zu unterstützen. Jetzt kann man zu dieser Aussage unterschiedliche Meinungen haben; aber es wäre natürlich gut gewesen, wenn die Bundesregierung, wenn der Bundeskanzler sowohl gegenüber der ukrainischen als auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit hier klargestellt hätte, was wir tun, warum wir bestimmte Dinge, nämlich eine konkrete NATO-Einmischung in diesen Krieg, ablehnen, aber ansonsten natürlich an der Seite der Ukraine stehen. Diese Chance wurde leider nicht genutzt.

Ich kann aus meiner Perspektive den Eindruck, den Präsident Selenskyj hat – wir täten nicht genug –, leider auch nicht ganz entkräften. Es gibt drei wesentliche Felder, auf denen wir agieren könnten. Das eine könnte die Verstärkung der Militärhilfe für die Ukraine sein. Dabei gäbe es die verschiedensten Wege. In diesem Zusammenhang stellt sich zum Ersten die Frage: Was hat die Bundeswehr im Bestand, was wir gegebenenfalls abgeben können? Es stellt sich zum Zweiten die Frage: Was kann die deutsche Industrie kurzfristig liefern? Dafür wären entsprechende Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen, und es wäre im Übrigen auch die Frage zu klären, wer das bezahlt. Es gibt drittens Partnernationen, die deutsche Waffen in ihrem Bestand haben, die sie nicht ohne Weiteres, ohne unser Einverständnis, an andere Länder abgeben dürfen.

Zu all diesen drei Fragen ist die Bundesregierung gefordert, kurzfristig Entscheidungen zu treffen. Wir hören jetzt seit Tagen, dass man dies unter Geheimhaltung tun will und dass man einen Weg findet, den Deutschen Bundestag zu unterrichten. Wir als Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses – ich glaube, die Kollegen im Verteidigungsausschuss sehen das ähnlich – haben leider noch nicht ausreichende Informationen aus der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags, was konkret geliefert ist, und wir können deswegen auch nicht gegenhalten, wenn wir Vorwürfe aus der Ukraine oder von anderswo bekommen. Das ist sehr schade, weil es unserem Image schadet, unabhängig davon, ob man die Vorwürfe im Einzelfall widerlegen kann oder nicht. Es ist einfach eine vertane Chance für uns Deutsche.

Das zweite Feld, auf dem wir agieren könnten, ist die Sanktionspolitik. Dazu haben wir natürlich auch Fragen an die Bundesregierung, was konkret die Umsetzung angeht, zum Beispiel: Brauchen wir in Deutschland möglicherweise eine Verschärfung der Gesetze, um Sanktionspolitik gegen Personen im Land umzusetzen, oder brauchen wir das nicht? Auch diese Fragen sind weiterhin unbeantwortet. Ich glaube, dass die CDU/CSU-Fraktion bereit wäre, gegebenenfalls notwendige Gesetzesänderungen zur Durchsetzung von Sanktionen zu beschließen. Es ist zwar nicht unsere Sache, jetzt darüber zu entscheiden, ob das notwendig ist; aber wir sehen dort große Defizite.

Drittens. Was meines Erachtens von der Regierung auch hätte kommen müssen – und der Bundeskanzler hätte heute die Gelegenheit dazu gehabt –, sind Antworten auf folgende Fragen: Was folgt eigentlich aus dem Krieg der Russen gegen die Ukraine? Was folgt aus dem Krieg Putins gegen die Ukraine für unsere strategische Gesamtaufstellung? Es langt ja nicht, dass wir uns mit den tagesaktuellen Herausforderungen beschäftigen, sondern wir müssen ja darüber hinausgehen. Was bedeutet das für unsere europäische Energiesicherheitsstrategie? Was bedeutet das für unsere Westbalkanpolitik, bei der wir als Europäische Union – das gilt auch für Deutschland – doch sehr zögerlich mit den Aufnahmeprozessen waren? Was bedeutet das für unsere Haltung gegenüber Serbien? Serbien will in die Europäische Union. Gleichzeitig betreibt der Präsident von Serbien, Herr Vucic, eine Schaukelpolitik zwischen Russland und Europa, bei der sich die Waagschale manchmal sehr stark Richtung Russland neigt. Da müssen wir klare Ansagen machen, insbesondere weil in Serbien ja in Kürze Wahlen sind. Das erwarte ich von der Bundesregierung.

Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Einsätze in Afrika, in der Sahelzone klar sagen müssen: Es geht nicht nur um die Stabilisierung der Sahelzone und der dortigen Regierungen sowie um die Befriedung und Abwehr von Terrorismus, sondern es geht auch um die Frage: Welche Ziele und welche Interessen verfolgen eigentlich Russland und China in diesem Teil Afrikas? Die malische Militärregierung, genauso wie andere Regierungen in der Region, vertraut offensichtlich mehr auf bezahlte Söldner von Putin als auf reguläre Truppen auf der Basis von UN- oder EU-Einsätzen. Auch darauf, glaube ich, muss die Bundesregierung uns eine Antwort geben.

Auch die Handelspolitik ist ein wichtiges Feld. Ich kann mich erinnern, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel, SPD, hier verkündet hat, CETA könne man zwar machen, aber TTIP gehe nicht. Das war ein ganz großer Fehler. Das war eine Steilvorlage für den amerikanischen Präsidenten Trump, das dann tatsächlich zu kippen. Ich glaube, dass wir den Mut und das Engagement haben sollten, auch die Handelspolitik als Teil unserer konkreten Abwehrpolitik gegen diktatorisches und aggressives Verhalten anderer einzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das gilt meines Erachtens auch für die Frage, wie wir mit China umgehen. Ich fürchte, dass wir mit China das nächste autokratische, diktatorische Gegenüber in der Weltpolitik haben werden, dessen wir uns gemeinsam erwehren müssen. Ich glaube, dass die Bundesregierung gut beraten ist, über die Lösung der Alltagsherausforderungen hinaus auch auf diese mittel- und langfristigen strategischen Fragen Antworten zu geben.

(Beifall der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

In diesem Sinne freue ich mich darauf, dass wir die Dinge vielleicht doch besprechen, dass wir das gemeinsam hier im Parlament diskutieren und dass wir dadurch dazu beitragen, dass wir insgesamt als Demokraten für die Zukunft eine bessere Situation schaffen als das, was wir heute, im Frühjahr des Jahres 2022, leider vorfinden.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort hat die Kollegin Simona Koß für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534696
Wahlperiode 20
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt Bundeskanzleramt (einschl. Ostdeutschland, Integration und Kultur)
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