27.04.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 30 / Tagesordnungspunkt 4

Christian Lindner - Änderung Art. 87a GG, Bundeswehrsondervermögensgesetz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat unzähliges menschliches Leid verursacht. Er hat die Friedens- und Stabilitätsordnung in Europa und auch die Wirkung des Völkerrechts zerstört. Wir sind in eine neue Phase eingetreten. Es ist eine Zeitenwende, wie der Bundeskanzler neulich an dieser Stelle gesagt hat. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und deshalb unternehmen wir alles dafür, um der Ukraine zur Seite zu stehen. In der Vergangenheit gab es Zeiten, da wurde die deutsche Geschichte bemüht für Nichtstun. Jetzt wissen wir: Aus der deutschen Geschichte ergibt sich eine Verantwortung dafür, dass wir handeln in Deutschland und Europa.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD)

Der Angriffskrieg Russlands verändert auch die internationale Ordnung. Die globale Governance verändert auch die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland, wie wir erkennen müssen. Auch die Frage der Bündnis- und Landesverteidigung spielt heute eine größere Rolle, als wir alle wenige Jahre zuvor geglaubt haben. Es geht nicht um eine Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik;

(Zuruf von der AfD: Nein!)

aber wir müssen erkennen, dass die Bundeswehr nicht in dem Zustand ist, in dem sie sein muss angesichts des veränderten Risikoprofils.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Schon seit 20 Jahren!)

Es geht nicht um eine Militarisierung der Außenpolitik, aber um eines: Man muss kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Und deshalb muss die Bundeswehr ertüchtigt werden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung reagiert auf die Zeitenwende in vielerlei Hinsicht, auch mit dem jetzt hier eingebrachten „Sondervermögen Bundeswehr“. Auf die Anforderung des Bundeskanzlers hin habe ich als fachlich zuständiger Minister ein Sondervermögen vorgeschlagen. Die Alternative, etwa Steuern zu erhöhen, würde nicht nur aus ordnungspolitischen Gründen, sondern auch angesichts der makroökonomischen Situation gefährlich sein.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Also haben wir uns für den Weg eines Sondervermögens entschieden, um 15 Jahre Vernachlässigung unserer Streitkräfte schnell zu beenden. Es ist eine Kraftanstrengung. Ja, dieses Sondervermögen wird mit Krediten finanziert. Aber in dieser Zeit, in dieser Lage ist es anders nicht möglich, den Realitäten gerecht zu werden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns dazu entschieden, Ihnen vorzuschlagen, dieses Sondervermögen in Artikel 87a des Grundgesetzes, also in der Wehrverfassung, zu verankern. Damit wird schon über den Standort in der Verfassung deutlich, welchem Zweck es dient, nämlich der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und insbesondere der Stärkung unserer Streitkräfte. Das soll aber niemanden zu der Fehlannahme veranlassen, dass die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit unseres Landes ausschließlich durch eine Stärkung der Streitkräfte erfolgen könnte.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Bundesregierung fühlt sich nämlich dem Ansatz vernetzter Sicherheit verbunden. Sosehr wir mit diesem Sondervermögen insbesondere die Streitkräfte stärken, wissen wir, dass eine große Priorität auch bei Diplomatie und internationaler Krisenprävention liegen muss.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen konstruktive Gespräche mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich bin dafür dankbar. Manches öffentliche Störgeräusch hat es gelegentlich gegeben; die tatsächlichen Gespräche finden kollegial und sachorientiert statt. Dafür bin ich dankbar, und so kenne ich die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion auch von vielen anderen Gelegenheiten.

(Zuruf von der SPD: Ach ja!)

Eines aber muss ich sagen: Es handelt sich hier um eine Entscheidung historischen Charakters. Möglicherweise wird man dereinst, zurückschauend auf unsere Gegenwart, diese Richtungsentscheidung im Zusammenhang mit der vom Bundeskanzler angesprochenen Zeitenwende und die Einrichtung dieses Sondervermögens in einem historischen Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss nennen. Und wenn diese Entscheidung tatsächlich einen solchen Charakter hat, dann mag ich mir nicht vorstellen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einer gemeinsamen Einigung nur teilweise zustimmt und nicht komplett und geschlossen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will schließen mit einer Bemerkung. Wir sprechen hier und heute über die materielle Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und insbesondere die unserer Streitkräfte. Das allein wird aber nicht reichen. Unterziehen wir uns bitte einer kritischen Selbstprüfung. Ein früherer Bundespräsident sprach in Bezug auf unser Verhältnis zu den Streitkräften einmal von „freundlichem Desinteresse“.

Möglicherweise ist das noch zu nett gesagt. Als aktiv Wehrübender und Reserveoffizier habe ich mehr als einmal auf Dienststellen mit Kameradinnen und Kameraden Kontakt gehabt, die nach Dienstschluss gefragt haben, ob sie in Uniform nach Hause fahren oder ob sie Zivilkleidung anlegen sollen, weil sie in der Straßenbahn möglicherweise schief angeschaut oder gar schief angesprochen würden.

Das zeigt: Es gibt gegenüber unseren Streitkräften und jenen, die unser Land verteidigen, ihm in Uniform dienen, nicht nur eine materielle Vernachlässigung, sondern auch eine ideelle Vernachlässigung. Und dementsprechend müssen wir nicht nur die Bundeswehr mit Geld und einem Sondervermögen stärken, sondern wir müssen den Soldatinnen und Soldaten auch die Wertschätzung dieser Gesellschaft entgegenbringen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner in der Debatte: Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7535513
Wahlperiode 20
Sitzung 30
Tagesordnungspunkt Änderung Art. 87a GG, Bundeswehrsondervermögensgesetz
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