19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 8

Alexander DobrindtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Europäische Rat ist mit großen Erwartungen verbunden. Es werden Themen auf der Agenda stehen, die die europäische Zukunft auf Jahre hinaus prägen werden. Ja, es wird darum gehen, wie man mit den Folgen des Krieges in der Ukraine umgehen muss: mit finanzieller Unterstützung, mit notwendigen Waffenlieferungen, mit humanitärer Unterstützung. Ja, das ist alles zwingend notwendig. Aber es wird auch darum gehen, wie wir ein neues Sicherheitsgleichgewicht in Europa schaffen können, wie wir zukünftige Kriege vermeiden, wie wir die Einheit Europas sichern, wie wir Stabilität neu schaffen können. Darüber haben wir heute zu wenig gehört, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben den französischen Präsidenten Macron zitiert, der angekündigt hat, dass er auf diesem Rat über institutionelle Reformen der EU sprechen will. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, es sei kein Tabu, darüber zu sprechen; aber Sie haben uns nicht gesagt, was Ihre Vorschläge sind. Macron sagt, Wirtschaft, Wachstum, Klima, soziale Fragen und die Erweiterung der EU seien seine Themen. Von Ihnen kennen wir nur das Bekenntnis zu einer europäischen Schuldenunion und einer europäischen Arbeitslosenversicherung. Beides ist schlichtweg falsch. Wir brauchen keine Schuldenunion, wir brauchen keine europäische Arbeitslosenversicherung. Was wir brauchen, ist eine neue Kultur der Stabilität und eine ambitionierte Europäische Verteidigungsunion. Darüber hätten wir von Ihnen gerne was gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Dann haben Sie aber nicht zugehört!)

Wir brauchen auf diesem Europäischen Rat eine Debatte über neue Sicherheitsgarantien – Sicherheitsgarantien bei der Frage der militärischen Zusammenarbeit und Rüstung, Sicherheitsgarantien bei der Frage der Inflationsbekämpfung und der Wohlstandssicherung und Sicherheitsgarantien bei der Frage der Weiterentwicklung der Europäischen Union, die gewährleisten, dass sie nicht überdehnt wird und eine Teilhabe an dem Friedensprojekt EU auch ohne eine Vollmitgliedschaft möglich ist.

Darüber hätten wir gerne etwas gehört, beispielsweise im Hinblick auf die Sicherheit der militärischen Zusammenarbeit. Ja, es ist richtig: Ein Baustein bei Rüstung und Sicherheit sind die Ankündigungen aus Ihrer Zeitenwende-Rede vom 27. Februar. Sie haben da vom „Sondervermögen Bundeswehr“ gesprochen, von Rüstungsvorhaben und von der dauerhaften Einhaltung des 2‑Prozent-Ziels. Herr Bundeskanzler, heute haben Sie das 2‑Prozent-Ziel in Ihrer Rede nicht mehr erwähnt. Ich hoffe, das war nur ein Versehen. Sie hatten hier an dieser Stelle ein Doppelversprechen abgegeben: 100 Milliarden Euro und 2 Prozent. Ich hoffe, dass das heute kein Hinweis darauf war, dass das Versprechen aus Ihrer historischen Rede vom 27. Februar bereits Geschichte ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ja, es ist richtig, wir befinden uns aktuell in Gesprächen. Ich darf Ihnen, Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle aber auch sagen, dass es noch kein Stück Papier gibt, auf dem steht, dass 100 Milliarden Euro für die Streitkräfte ins Grundgesetz geschrieben werden und dass jedes Jahr 2 Prozent zur Erfüllung der NATO-Quote vereinbart sind. Das liegt schlichtweg nicht an uns.

Liebe Kollegin Dröge, wenn es um die Bündnisfähigkeit geht, dann lassen Sie sich bitte sagen: Nichts stärkt unsere Bündnisfähigkeit mehr, als 100 Milliarden Euro in die Streitkräfte zu stecken.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist die Aufgabe, die dahintersteht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Mützenich, als Fraktionsvorsitzender der SPD haben Sie sich in dieser Woche öffentlich in Bezug auf die 100 Milliarden Euro und das 2‑Prozent-Ziel geäußert und davon gesprochen, dass die Union von ihren Maximalforderungen Abstand nehmen sollte. Wir stellen keine Maximalforderungen; aber wir erwarten, dass das, was der Bundeskanzler der Öffentlichkeit versprochen hat, von den Ampelkoalitionären mindestens eingehalten wird. Das erwarten wir an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erinnern Sie sich eigentlich noch, wie der Guttenberg die Bundeswehr runtergewirtschaftet hat? – Gegenruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Aber er hatte eine Sonnenbrille auf! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, er war jede Woche auf dem Titelblatt der „Bunten“! – Gegenruf des Abg. Peter Aumer [CDU/CSU])

Es geht um Sicherheitsgarantien für die Inflationsbekämpfung und die Wohlstandssicherung. Die Inflation entwickelt sich zur massiven Gefahr für Wachstum und Wohlstand in Europa. In Deutschland liegt sie bei über 7 Prozent, in unseren Nachbarländern mittlerweile bei deutlich über 10 Prozent. Die Inflation in Europa ist die stille Enteignung der Sparer, die stille Entwertung der kleinen und mittleren Einkommen. Herr Bundeskanzler, die USA haben den Kampf gegen die Inflation zum Topthema der amerikanischen Innenpolitik gemacht. Sie reden gerne vom sozialen Europa. Ich sage Ihnen, die steigende Inflation schafft ein unsoziales Europa. Deswegen: Machen Sie die Bekämpfung bitte zum Topthema!

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Wir brauchen auch eine Sicherheitsgarantie bezüglich der Frage der Fortentwicklung der Europäischen Union. Ja, die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage führt dazu, dass immer mehr Länder schnell der Europäischen Union beitreten wollen. Die sechs Balkanstaaten haben Sie genannt; sie haben unsere Unterstützung. Die Ukraine, Moldau und Georgien stehen an der Schwelle.

(Zuruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD])

Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir die Europäische Union nicht überfordern. Ja, es braucht eine Perspektive für diese Länder: für die Ukraine, Moldau und Georgien. Aber wir wissen, dass Beitrittsverhandlungen Jahre und teilweise Jahrzehnte dauern. Es ist jetzt Ihre Aufgabe, eine neue Perspektive für diese Länder zu schaffen. Ich sage Ihnen, es braucht bei diesem Rat Verhandlungen darüber, wie wir eine Beitrittsperspektive zum Friedensprojekt Europäische Union schaffen können, ohne die Europäische Union dabei durch Vollmitgliedschaften zu überdehnen. Da haben Sie eine Aufgabe, und da erwarten wir von Ihnen eine Antwort.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Robin Wagener.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536508
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022
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