31.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 39 / Tagesordnungspunkt EPL 08, 20

Mathias MiddelbergCDU/CSU - Finanzen, Bundesrechnungshof

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir erleben eine denkwürdige Haushaltswoche – wieder mit einem Bundeshaushalt in Rekordgrößenordnung, diesmal in Höhe von annähernd 500 Milliarden Euro – in einer ebenso denkwürdigen Zeit, in einer Zeitenwendezeit, wie der Bundeskanzler zu Recht betont hat: Coronapandemie, Klimawandel, Rekordinflation – die höchste seit 40 Jahren – und Ukrainekrieg.

Von der Zeitenwende, denkt man, müsste man in Ihrem Haushalt auch sehr deutlich etwas merken. Man merkt aber nur etwas auf der Einnahmeseite – oder sagen wir besser: bei den fehlenden Einnahmen –, nämlich dass Sie mit den Schulden in Rekordhöhe nach oben wandern. Konsequent müssten Sie als verantwortliche Haushälter und als verantwortliche Finanzer, Herr Minister Lindner, eigentlich auf der Ausgabenseite arbeiten.

Selbst vor dem Ukrainekrieg und noch nicht mal in Ansehung der vollen Inflationsgrößenordnung haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen, und Sie haben auch vereinbart, im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens Ausgabenkürzungen vorzunehmen – eine richtige Vorgabe, wie wir finden; nennenswerte Priorisierungen oder Kürzungen sind in Ihrem Haushalt allerdings nicht erkennbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Im Gegenteil: Sie satteln einfach nur drauf – netto 6 000 zusätzliche Stellen im Personalbereich. Darüber könnte man an der einen oder anderen Stelle noch diskutieren. Aber Sie lassen es sich auch selbst gut gehen. Sie und wir alle diskutieren darüber, ob wir hier das Parlament verkleinern. Sie machen es sich selber in der Regierung richtig fett mit der Rekordzahl von 37 Parlamentarischen Staatssekretären.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

In dieser Größenordnung hat das bisher noch keine Bundesregierung geschafft.

Ihre Fortschrittskoalition setzt auch in anderen Feldern Maßstäbe. Sie sind gestartet mit reichlich zusätzlichen Beamten an der Spitze der Ministerien in den höchsten Besoldungsstufen. Vor vier Jahren haben Sie der alten, der Großen Koalition, als wir 200 Stellen neu aufgebaut haben,

(Otto Fricke [FDP]: Das war in einem Ministerium!)

vorgeworfen: „Wer schon so anfängt“ – das sagte Otto Fricke, der Haushaltssprecher der FDP – „macht am Ende aus einer schwarzen Null ein schwarzes Loch.“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Satz war ja gar nicht so falsch. Aber er trifft auf Sie noch viel härter zu. Sie bauen jetzt 324 neue Stellen – Topstellen – in den Ministerien auf.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Das ist deutlich mehr als unter allen Vorgängerregierungen.

(Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Doppelt so viel! – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wo soll das nur enden? – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Absolut maßlos, diese Koalition!)

Sie reden von „Zeitenwende“, aber Sie wenden nichts in Ihrem Haushalt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja, unmöglich!)

Im Kernhaushalt beträgt der Verschuldungsanteil 140 Milliarden Euro. Wir haben gemeinsam – dafür sage ich an dieser Stelle herzlichen Dank; das flechte ich gerne ein – das „Sondervermögen Bundeswehr“ beschlossen: 100 Milliarden neue Schulden. Und dann haben Sie noch die 60 Milliarden Euro Diebesgut aus der letzten Wahlperiode

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

in Form einer Kreditermächtigung übernommen.

(Michael Schrodi [SPD]: Die wollten Sie auch verwenden!)

Wenn man das aufaddiert, gelangt man zu dem Ergebnis: 300 Milliarden Euro Schulden. Ja, die 60 Milliarden Euro müssen wir bei Ihnen ehrlicherweise hineinrechnen.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])

Es sind also 300 Milliarden Euro Schulden, und das ist der absolute Rekord bisher.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann wollen Sie viele Projekte wie das Bürgergeld, die Kindergrundsicherung und das Klimageld, das Herr Heil jetzt ins Gespräch bringt, umsetzen. Das ist alles im Haushalt noch nicht abgebildet. Da sind wir sehr gespannt.

Aber das Wichtigste ist eigentlich – und das ist das größte und bemerkenswerteste Versäumnis –: Sie haben für den ganzen Bereich der Sozialversicherung keine wirkliche Vorsorge getroffen.

(Christian Dürr [FDP]: Genau! Sie haben 16 Jahre lang keine Vorsorge getroffen! Das stimmt!)

Das wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das drückendste Problem werden. Wir haben in diesem Land Vollbeschäftigung, und wir haben mit 45 Millionen Beschäftigten, die in die Sozialkassen einzahlen, auch Rekordbeschäftigung. Trotzdem sind wir nicht in der Lage, daraus die Rente zu finanzieren.

(Christian Dürr [FDP]: Ja, Herr Middelberg! 16 Jahre Union! Genau so ist es! Sie haben vollkommen recht!)

Wir können die Krankenkassen nicht finanzieren, und wir können auch die Pflege nicht finanzieren.

(Christian Dürr [FDP]: Sie haben vollkommen recht, Herr Middelberg!)

– Sie brauchen gar nicht so zu brüllen, Herr Dürr.

(Christian Dürr [FDP]: 16 Jahre Union!)

Ich sage das durchaus selbstkritisch:

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der FDP: Ah!)

Auch wir haben in der letzten Großen Koalition dieses Problem geschoben.

(Christoph Meyer [FDP]: Genau! 16 Jahre lang!)

Der Unterschied ist nur folgender: Ihr Bundeskanzler, der heute nicht hier ist, hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht. Er hat Respekt gefordert bzw. den Wählern Respekt angeboten.

(Michael Schrodi [SPD]: Mit Respekt hatten Sie es noch nie so, gell?)

Ihre Plakate klebten in der ganzen Republik, darauf Scholz und die Aussage: Ich bin der Kanzler für sichere Renten. – Sie haben bei der Sicherheit der Renten für gar nichts vorgesorgt. Sie haben nur gesagt: Das Rentenniveau bleibt das gleiche,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das reicht nicht! Das Rentenniveau ist zu niedrig!)

an den Beiträgen ändern wir nichts, und das Rentenalter ändern wir auch nicht. – Wie wollen Sie das Problem dann lösen? Das Problem können Sie nur lösen, indem Sie immer mehr Steuergelder in die Rente schaufeln.

Sie haben überhaupt keine Vorsorge getroffen, um dieses Kernthema irgendwie zu bewältigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Mike Moncsek [AfD] – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Das ist Unverantwortlichkeit par excellence in der Haushaltspolitik; so ist das einzuordnen. Wir werden Sie in Zukunft regelmäßig daran erinnern und auch daran messen. Wenn dieser Kanzler Respekt gegenüber seinen Wählern hätte, dann müsste er sich ganz zügig und grundlegend des Themas „Reformierung der Sozialversicherung“ annehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vorletzter Punkt: Entlastungspakete. Dafür wollen Sie sich ja feiern lassen, möglicherweise auch heute. Ihre Entlastungspakete funktionieren aber nicht nach dem Motto, dass Sie da entlasten, wo es wirklich zielgenau erforderlich wäre, da, wo die Belastungen am größten sind,

(Christian Dürr [FDP]: Bei den kleinen Unternehmen!)

sondern Sie entlasten so, dass jeder von Ihren Ampelpartnern, jede Ampelpartei, ein bisschen was kriegt – der eine dies, der andere das –, und am Ende sind Sie fröhlich. Nach der zielgerichteten Entlastung der Bürger wird nicht gefragt, und die findet auch nicht statt. Dies ist im Kern sogar ungerecht. Deswegen fordern wir, dass auch Pendler in diesen Paketen adäquat Berücksichtigung finden, genauso Rentner und Studenten. Die haben die gleichen Belastungen, und die haben genauso Entlastung von Ihnen zu erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der letzte Punkt. Sie sprechen über diese Entlastungen immer mit so einer gönnerhaften Attitüde: „Jetzt geben wir den Bürgern dies und das und vielleicht auch noch ein bisschen mehr“, und dann wird über dies und jenes diskutiert. Sie haben im Moment, in der jetzigen Situation, massiv Mehreinnahmen. Der Finanzminister hat hier noch vor ein paar Wochen erklärt, das ginge alles nicht; wenn die Leute das Geld an der einen Stelle nicht hätten, dann würden sie es an der anderen Stelle nicht ausgeben. Wir sehen doch jetzt an den Steuerschätzungen sehr deutlich, dass laufend steigende Steuereinnahmen auf Sie zufließen.

(Christian Lindner, Bundesminister: Aber nur Körperschaftsteuer!)

Sie haben zusätzliche Einnahmen aus der Umsatzsteuer; im Zweijahresvergleich sind das Steigerungen um 30 Prozent gegenüber der Vor-Corona-Zeit.

(Christian Lindner, Bundesminister: Nein!)

Sie haben zusätzliche Einnahmen, Herr Lindner, aus dem CO2-Emissionshandel, und zwar dem europäischen wie dem nationalen.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU], an Bundesminister Christian Lindner gewandt: Die Regierung hat mal zuzuhören, wenn die Opposition im Parlament spricht!)

Wegen der kalten Progression wandern die Leute im Steuertarif durch die Lohnerhöhung automatisch nach oben; gleichzeitig wird ihnen das alles weggefressen durch die Inflation.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Dass die FDP nichts gegen die kalte Progression macht, ist ja schon skandalös!)

Durch die kalte Progression haben Sie doch Mehreinnahmen; das können Sie doch gar nicht bestreiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lindner, Bundesminister: Doch!)

Sie werden also reichlich Mehreinnahmen haben, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie gönnerhaft irgendwas zurückgeben. Aber wir erwarten von Ihnen, dass Sie den Menschen das zurückgeben, was Sie ihnen vorher durch höhere Steuern und Abgaben aus der Tasche gezogen haben. Das muss sein!

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Christoph Meyer.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536854
Wahlperiode 20
Sitzung 39
Tagesordnungspunkt Finanzen, Bundesrechnungshof
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