Jens SpahnCDU/CSU - Aktuelle Stunde - Versorgungssicherheit im Winter
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist tatsächlich aktueller als bei Beantragung gedacht, und zwar dadurch, dass der Bundesminister heute Morgen die Alarmstufe des Notfallplans Gas, die zweite von drei Stufen, ausgelöst hat.
Es ist grundsätzlich richtig, das zu tun, wenn die Bundesregierung die Lage so einschätzt, dass dieser Schritt notwendig ist. Es ist tatsächlich doch so, dass die Lage nicht nur bereits jetzt ernst ist angesichts der Drosselungen der Gaslieferungen aus Russland, wie wir gesehen haben, sondern dass sie noch richtig ernst werden kann. Nach allen Szenarien der Bundesnetzagentur für die nächsten Monate hätten wir, selbst wenn es bei den Gaslieferungen von 40 Prozent bliebe, die aktuell noch durch die Pipeline Nord Stream 1 aus Russland kommen, spätestens im Februar nicht genug Gas, um die deutsche Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger zu versorgen. Die Lage ist also ernster, als sich das in manchen Debatten widerspiegelt. Deswegen, Herr Minister, können wir Ihnen sagen, dass Sie grundsätzlich bei dem, was in dieser ernsten Lage notwendig ist zu tun, unsere Unterstützung haben.
Wenn es um diese Unterstützung geht, haben wir aber eben auch Fragen. Zum Beispiel haben Sie selbst noch vor sechs Wochen gesagt: Wir sind auf alles vorbereitet, was Putin, was Russland noch tun könnte. – Und nun gibt es plötzlich über das Wochenende neue Strategiepapiere, neue Meldungen, und sozusagen über Nacht wird heute Morgen die Alarmlage verkündet. Da haben wir natürlich schon die Frage: Was ist passiert zwischen „Wir sind gut vorbereitet auf alles, was Putin tun könnte“ und dieser plötzlichen Wendung heute Morgen, die sich selbst gestern in der Ausschussdebatte so noch nicht abgezeichnet hat?
Wir haben eine Frage zu den Kohlekraftwerken, die Sie richtigerweise jetzt stärker nutzen wollen. In Ihrem Gesetzentwurf, der dem Deutschen Bundestag vorliegt, steht als Datum übrigens noch der 1. November, ab dem die Kohlekraftwerke möglicherweise stärker genutzt werden können. Ich habe das so verstanden, dass das jetzt schon früher, ab Juli, möglich sein soll, was wir richtig finden. Aber die Frage ist natürlich, warum das nicht schon seit März gemacht worden ist. Als wir das im März in der Diskussion hier im Deutschen Bundestag gefordert haben, gab es darüber zum Teil noch Gelächter in einigen Reihen. Diese Maßnahme ist notwendig, um jetzt die Gaskraftwerke zu entlasten und um die Gasspeicher zu füllen. Hätten wir damit bereits im März begonnen, wären die Gasspeicher heute möglicherweise schon voller.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es stellt sich die Frage, warum wir nicht früher auch Anreize zum Sparen gesetzt haben, statt Debatten über Frieren per Gesetz zu führen. Es müsste Anreize für die Verbraucher geben. Es gibt Vorschläge, über den Energiegutschein zu gehen, oder Vorschläge, der Industrie Anreize zu geben und dort über einen Marktmechanismus denjenigen zu belohnen, anzureizen, der Gas einspart. Die Instrumente sind richtig, aber die Frage ist natürlich: Warum gibt es sie nicht schon seit März, als wir sie diskutiert haben?
Wir haben auch die Frage: Wenn die Lage so ernst ist – und sie ist nach allem, was wir sehen, ernst, sogar ernster, als es die Debatte in der Öffentlichkeit bisher teilweise widerspiegelt, jedenfalls aus unserer Einschätzung –, dann ist es auch notwendig, alle Optionen in den Blick zu nehmen. In einer solchen ernsten Lage, in der wir Stand jetzt auch nach den Szenarien der Netzagentur im Laufe des Winters in einen tatsächlichen Mangel hineinkommen, muss man alle Optionen nutzen. Dazu gehören neben den Kohlekraftwerken auch – zumindest im Streckbetrieb; wir müssen ja nicht gleich über fünf oder sieben Jahre reden – die Kernkraftwerke. Warum schließen Sie eine solche Option in einer solch schwierigen Lage kategorisch aus?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)
Heute Morgen, während Sie die Alarmlage ausgerufen haben, hat Ihr Kollege Trittin ausgeschlossen, dass Deutschland in der Nordsee 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas fördert. Auch das passt nicht zusammen. Wir können doch nicht am selben Tag einerseits sagen: „Wir kommen in Deutschland in eine Mangellage“, und andererseits sagen: „Bei uns in der Nordsee wollen wir nichts dafür tun, um diese Mangellage zu adressieren.“ Ja, wir brauchen die Unterstützung anderer Länder, aber wir sind, wie ich finde, auch in der Verantwortung, das, was in Deutschland möglich ist, zu tun. Auch das passt nicht zusammen. Nehmen Sie bitte auch diese Erdgasvorkommen bei Ihren Überlegungen in den Blick.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dazu gehören übrigens auch Biogas und Biomasse. Auch dies und das Potenzial, das da ist, spielt – das sagen die Betreiber, das sagen die Verbände – bis jetzt keine Rolle. Wenn die Lage so ist, wie sie ist, dann nehmen Sie bitte alle Optionen in den Blick.
Eine letzte Bitte, Frau Präsidentin: Bereiten Sie – und das in der Diskussion mit dem Deutschen Bundestag – jetzt alles vor für die mögliche dritte, die letzte Stufe, auf dass sie nie nötig werde. Wenn sie nötig würde – das ist ein sensibles Thema, aber man muss ja darüber reden –, hätte das Folgen, schmerzhafte Folgen für die deutsche Wirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger. Es käme einem Schock gleich.
Der Schock wäre aber geringer, wenn es vorher einen Plan, diskutiert und akzeptiert, gäbe, –
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
– einen Plan, den wir hier im Deutschen Bundestag seit Wochen einfordern. Bitte bereiten Sie auch das vor, was noch kommen kann, mit einem Plan, der transparent und nachvollziehbar ist. Es ist gut, dass Sie jetzt hier sind, um das dem Deutschen Bundestag darzulegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gucke schon die ganze Zeit und kann jetzt so richtig keine Schuldigen ausfindig machen; es kommt aber zumindest hier vorne ein unglaubliches Gemurmel an. Wir haben auch Zuschauerinnen und Zuschauer. Versuchen Sie also bitte, die Gespräche hier im Saal einzustellen; denn man kann sonst ganz schlecht folgen.
Als nächste Rednerin rufe ich auf Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537580 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 44 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Versorgungssicherheit im Winter |