23.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 44 / Tagesordnungspunkt 13

Jörg NürnbergerSPD - Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte eine Bitte: Wenn die AfD und Die Linke ihre ideologischen Scheuklappen ablegen würden, könnten sie erkennen, dass die parallele Einsetzung von Enquete-Kommission und Untersuchungsausschuss in diesem Fall sachgerecht ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Rund 20 Jahre lang haben deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan gedient, haben sich Entwicklungskräfte, Journalistinnen und Journalisten, Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtler und viele andere Personen für Menschenrechte und eine Demokratisierung des Landes eingesetzt. Es war eine der wohl anspruchsvollsten Missionen, und sie endete nicht mit einem koordinierten Abzugsverfahren, sondern mit einer elftägigen Evakuierungsoperation durch das Auswärtige Amt und vor allem durch die Bundeswehr.

(Stefan Keuter [AfD]: Desaster!)

Die dramatischen Bilder aus dem vergangenen Sommer sind uns allen in Erinnerung geblieben: Menschen, die auf dem Flughafen Kabul versuchten, sich einen der wenigen Plätze in einem der Evakuierungsflüge zu sichern.

Durch den Fall von Kabul hatte sich die Sicherheitslage in Afghanistan schlagartig verändert. Eine sofortige Evakuierung des Personals der deutschen Botschaft, deutscher Staatsbürger/-innen sowie betroffener Ortskräfte wurde unumgänglich und musste quasi von heute auf morgen vorbereitet und durchgeführt werden.

Was die Bundeswehr im Rahmen dieser Evakuierung geleistet hat, verdient unseren größten Respekt. Vom 16. bis zum 26. August 2021 wurden mehr als 5 340 Schutzsuchende über eine Luftbrücke der Bundeswehr in Sicherheit gebracht. Für diese Leistung möchte ich mich an dieser Stelle ganz ausdrücklich bei unseren Streitkräften sowie allen anderen daran Beteiligten bedanken!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Offen ist bis heute die Frage, wie es überhaupt zu dieser unerträglichen Situation kommen konnte. Genau diese Frage müssen wir dringend beantworten. Bereits in unserem Koalitionsvertrag – es wurde mehrfach darauf hingewiesen – haben wir festgehalten, die Evakuierungsoperation in einem Untersuchungsausschuss aufzuarbeiten. Hier stellen wir als SPD und damit als Mitglied der damaligen Bundesregierung uns selbstverständlich unserer Verantwortung.

In einem gemeinsamen Antrag, lieber Herr Dr. Wadephul, der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion haben wir nun die genauen Details für die Arbeit in diesem Untersuchungsausschuss festgehalten. Ziel des Untersuchungsausschusses wird es sein, den gesamten Abzug aus Afghanistan aufzuarbeiten. Der Untersuchungszeitraum ist, wie bereits erwähnt, vom Doha-Abkommen vom Februar 2020 bis zum tatsächlichen Abzug im September 2021.

Wir werden uns im Rahmen dieser Arbeit intensiv mit den Fehlern, die in diesem Zeitraum gemacht wurden, auseinandersetzen. Wir wollen vor allem die folgenden Fragen beantworten: Warum war die Bundesregierung nicht frühzeitig und nicht ausreichend über die Lage im Land und die bevorstehenden Zugewinne der Taliban informiert? Warum gab es zu dem Zeitpunkt, als die Evakuierung angeordnet wurde, offenbar nur unzureichende Notfallpläne, unter anderem mit der Folge, dass zum Beispiel akut gefährdete Ortskräfte mit dem Abzug der Bundeswehr weiterhin in Afghanistan verbleiben mussten?

Im Detail haben wir dazu eine Liste von fast 40 offenen Fragen, von denen ich hier nur einige Beispiele nennen möchte. Wir werden klären müssen: Wie erfolgte die Abstimmung zwischen den betroffenen Häusern, und welche Absprachen gab es mit NATO-Verbündeten, insbesondere den USA? Welche Schwierigkeiten und Verzögerungen gab es bei der Evakuierung und bei den Prozessen zur Identifizierung und Aufnahme der gefährdeten Ortskräfte? Wie intensiv war die Gewinnung und wie zuverlässig war der Austausch dieser nachrichtendienstlichen Informationen, die hier vorlagen?

Für all diejenigen, die im Rahmen der Friedensmission in Afghanistan Leib und Leben riskiert haben, müssen wir genau diese Antworten geben. Das betrifft auch den Umgang mit den Ortskräften, die deutschen Stellen über zwei Jahrzehnte treue Dienste geleistet haben.

Dabei geht es uns keinesfalls darum, ein Tribunal abzuhalten oder über einzelne Akteure den Stab zu brechen. Vielmehr wollen und werden wir objektiv die Geschehnisse und Fehler aufarbeiten und die bereits genannten Fragen beantworten. Wir werden also auch einen Blick in die Zukunft richten, um Schlüsse für künftige Evakuierungsmissionen zu ziehen und so aus unseren eigenen Fehlern zu lernen. Eine eigene Aufarbeitung der Evakuierung ist daher in Richtung unserer internationalen Partner ein wichtiges Signal, dass auch wir unseren Beitrag zur Aufklärung der Ereignisse leisten und dass wir bei zukünftigen gemeinsamen Friedensmissionen ein leistungsfähiger Partner sein werden. Ich gehe davon aus, dass die betreffenden Ministerien und auch das Bundeskanzleramt – inklusive des BND – die notwendigen Unterlagen dem Parlament zur Verfügung stellen und uns bei unserer Arbeit unterstützen.

Ich freue mich daher auf eine intensive und am Ende erfolgreiche Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss, um aus den dort gewonnenen Erkenntnissen die notwendigen Maßnahmen ergreifen zu können, damit wir künftig besser auf ähnliche Situationen vorbereitet sein werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als Nächstes erhält das Wort der Kollege Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537603
Wahlperiode 20
Sitzung 44
Tagesordnungspunkt Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta