07.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 50 / Einzelplan 04

Alexander DobrindtCDU/CSU - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler, Sie haben sich heute wieder des Begriffs der Zeitenwende bedient. Das gehört inzwischen zur Regelmäßigkeit in Ihren Reden. Aber es gibt jetzt einen entscheidenden Unterschied: Bei Ihrer „Zeitenwende“-Rede vom 27. Februar hatten Sie die Unterstützung, weil Sie zu notwendigen Entscheidungen bereit waren. Diese Unterstützung haben Sie in dem Moment verloren, als Sie aufgehört haben, diese Zeitenwende zu gestalten. Das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeswirtschaftsminister Habeck, Sie haben uns im Sommer mitgeteilt, dass Sie die Energiedebatte entlang der Fakten führen. Zitat: „Fakt ist: Wir haben … ein Gasproblem, kein Stromproblem.“ Mit Fakten hat dieser Spruch schon mal rein gar nichts zu tun, Herr Habeck.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Sie haben gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern einen Stresstest gemacht und diesen am Montag vorgestellt. Die Netzbetreiber haben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Energiesituation in Deutschland massiv angespannt ist. Die Fachleute haben erklärt, dass eine „geordnete Abschaltung von Verbrauchern“ ein mögliches Szenario ist. „ Geordnete Abschaltung von Verbrauchern“, das heißt übersetzt nichts anderes als: Regionale Blackouts sind denkbar.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist in Bayern immer so gewesen! Bayern hat es im Winter nie geschafft!)

Die Netzsicherheit sei nur durch Strom aus dem Ausland zu gewährleisten. Ob der aber zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung steht, ist vollkommen unsicher. Die Fachleute haben Ihnen auch ins Stammbuch geschrieben, dass die drei Kernkraftwerke einen Beitrag leisten, die Lastunterdeckung zu vermeiden. – Herr Habeck, was ist daran eigentlich so schwer zu verstehen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer bei dieser Analyse – „Netzsicherheit gefährdet“, „regionale Blackouts denkbar“ – zu der Entscheidung kommt, die drei Kernkraftwerke nicht weiterbetreiben zu lassen, der handelt nicht entlang der Fakten, sondern schlicht verantwortungslos. Das ist die Wahrheit, Herr Habeck.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Interessant war in dem Zusammenhang übrigens auch, dass am Montag, kurz bevor Sie den Stresstest auf Ihrer Pressekonferenz präsentiert haben, Bundesfinanzminister Christian Lindner öffentlich mitgeteilt hat, dass die drei Kernkraftwerke weiterlaufen sollen. Zitat:

In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren.

Was ist daran eigentlich so schwer zu verstehen? – Wir brauchen mehr Kapazitäten im Strommarkt, um die Preise zu reduzieren. Sie aber nehmen in einer Zeit der größten Energieknappheit Kapazitäten aus dem Netz.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt ein Bayer!)

Sie schicken sie in die Reserve – und das in einer Zeit, wo die Menschen schon am Ende mit ihren Reserven sind und die Preise nicht mehr zahlen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gerrit Huy [AfD])

Herr Bundesminister Habeck, Sie ignorieren die Ergebnisse dieses Stresstests. Sie riskieren Blackouts. Sie setzen Bürger und Betriebe in diesem Land einem massiven Stresstest aus – und das alles, damit Ihre grünen Wahlkampfkollegen in Niedersachsen ihr schönes Plakat „Bye-bye, AKWs“ nicht abhängen müssen. Das ist die Wahrheit hinter Ihrer Entscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrter Bundeskanzler, wenn dem grünen Energieminister in Deutschland die grüne Parteitagsbasis wichtiger ist als die Versorgungssicherheit unseres Landes, dann sollten Sie als Bundeskanzler diesem Wirtschaftsminister den Stecker ziehen. Das ist Ihre Aufgabe an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])

Herr Bundeskanzler, Sie haben heute ja auch über die LNG-Terminals gesprochen. Wir hoffen übrigens, dass Sie damit erfolgreich sein werden. Aber erklären Sie uns doch bitte mal an dieser Stelle: Wie kommt es eigentlich zustande, dass die Steuerungsgruppen, die Arbeitsgruppen, die die Energiezusammenarbeit und die Lieferung von LNG aus Katar organisieren sollen – die Einsetzung dieser wurde zwischen dem Wirtschaftsminister mit dem Land Katar schriftlich vereinbart –, nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums bis heute kein einziges Mal getagt haben? Können Sie erklären, was das mit einer vorsorglichen Energieversorgung in Deutschland zu tun hat? Sie reden über LNG. Ihr Bundesminister Habeck hat aus Katar keinen einzigen Kubikmeter Gas mitgebracht, aber den Menschen haufenweise Sand in die Augen gestreut. Das ist es doch, was dahintersteht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Saskia Esken [SPD])

Sie, Herr Bundeskanzler, haben an dieser Stelle auch sehr leidenschaftlich über die Gasspeicher in Deutschland gesprochen. Sie haben darüber gesprochen, dass sie nicht gefüllt worden wären. Ja, der größte Gasspeicher Rehden ist deswegen nicht gefüllt worden, weil er an Russland verkauft worden ist. Aber, Frau Haßelmann, nur zur Aufklärung, falls Sie sich nicht daran erinnern: Ja, dieser Verkauf war falsch. Aber derjenige, der den Verkauf zugelassen hat, war Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD und niemand anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer war der Bundeskanzler – oder die Bundeskanzlerin?)

Hier scheinen ja so manche Irrtürmer weiterzugehen. Der Bundeskanzler hat angesprochen, dass er sich für Flüssiggasterminals besonders eingesetzt hat, und sich darüber beschwert, dass sein entsprechender Brief an die Vereinigten Staaten von Amerika an die Öffentlichkeit durchgestochen wurde. Nur als Hinweis: Die Deutsche Umwelthilfe hat diesen Brief veröffentlicht.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Oh!)

Außerdem haben Sie, Herr Bundeskanzler, in diesem Brief angeboten, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bau von Terminals auszugeben,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha!)

wenn die Vereinigten Staaten von Amerika auf Sanktionen gegen Nord Stream 2 verzichten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, die Frage ist doch nicht: „Wer hat den Brief durchgestochen?“, die Frage ist, ob Sie vorher mit Gerhard Schröder darüber gesprochen haben. Darum geht es.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Erinnerungslücke wahrscheinlich!)

Sie vonseiten der Ampel rühmen sich hier ja gegenseitig für Ihr neues Entlastungspaket: 300 Euro für Rentner – dass die Erkenntnis reichlich spät kam, geschenkt; wir unterstützen dieses Anliegen –, Wohngeld, Kinderzuschlag, Hartz IV. Das sind durchaus sinnvolle Maßnahmen. Aber was ist eigentlich mit den Menschen, die sich nicht auf Transferzahlungen in diesem Land stützen können?

(Nadine Schön [CDU/CSU]: Genau!)

Die mit mittleren, mit kleinen Einkommen verweisen Sie, Herr Dürr, wie gerade gehört, auf die kalte Progression und darauf, dass Sie dafür ja im nächsten Jahr großzügige Entlastungen vorsehen. Ich nenne Ihnen mal ein Zitat vom Bundesfinanzminister aus dem August:

... wir sollten diese demokratisch nicht legitimierten Einnahmen zurückgeben. Das ist kein gönnerhafter Akt, sondern in mehrfacher Hinsicht geboten …

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die Rückgabe dieser nicht legitimierten Einnahmen wollen Sie den Menschen jetzt als große Entlastung verkaufen. Das ist definitiv keine kluge Politik an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Lächerlich! Das habe ich nicht gesagt! Sie behaupten, das würde automatisch laufen! Das ist Quatsch!)

Der Mittelstand ist ganz besonders von dieser aktuellen Situation betroffen. Wir erleben aktuell bereits die ersten Insolvenzen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet Ihnen vor, dass die Zahl der Insolvenzen im Herbst deutlich ansteigen wird. Teile des Mittelstands, die kleinen Betriebe, die Handwerker, sie ächzen unter den Lasten der explodierenden Energiepreise, und Sie wollen nicht ausreichend gegensteuern. Die Energiepreisexplosion wird, wenn sie nicht bekämpft wird, nur zu einer einzigen Frage bei den Mittelständlern, den Handwerkern, den kleinen Unternehmen führen: Abwanderung oder Einstellen des Geschäftsbetriebs? Das sind die Alternativen, vor denen diese Unternehmen stehen.

Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie rechnen ja – anders als die Wirtschaftsinstitute – offensichtlich nicht mit einer Insolvenzwelle. Zumindest haben Sie uns das gestern Abend über die Medien mitgeteilt.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was ist eine Insolvenz?)

Aber Sie können sich vorstellen, dass bestimmte Branchen – wörtlich – erst mal nicht mehr produzieren oder verkaufen. Beim besten Willen – mit Verlaub, Herr Minister –, es ist den Menschen scheißegal, wie Sie das nennen, wenn sie arbeitslos werden. Aber es ist ihnen nicht egal, wenn Sie an dieser Stelle nichts dagegen unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege, die Redezeit war abgelaufen.

Herr Dürr, Sie haben unsere Vorschläge, die wir auf der Zugspitze beraten haben, hier an vielen Stellen zitiert. Ich frage einmal umgekehrt: Wie halten Sie es denn eigentlich in dieser Ampelkoalition mit Ihren Anliegen? Sie selber haben angesprochen, Sie wären ja dafür, dass die Kernkraftwerke weiterlaufen. SPD und Grüne sind dagegen. Sie wollen die Schuldenbremse einhalten. SPD und Grüne stellen das tagtäglich infrage. Sie behaupten, Sie wollen Entlastungen für Bürger und Betriebe. Offensichtlich war das mit SPD und Grünen nicht zu machen. Mittelstand schützen – Ihr Thema fällt offensichtlich in dieser Koalition aus.

(Christian Dürr [FDP]: Das letzte Mal, als wir eine große Einkommensteuerreform machen wollten, war die Union dagegen!)

Den ländlichen Raum – das haben Sie adressiert – wollen Sie unterstützen. Diese Regierung macht Politik gegen den ländlichen Raum. Technologieoffenheit: Was ist mit dem Verbrennungsmotor? Sie konnten sich am Schluss nicht durchsetzen, dass er mit alternativen Kraftstoffen weiter betrieben wird.

(Christian Dürr [FDP]: Herr Söder wollte, dass wir den Verbrennungsmotor abschaffen! Das war Herr Söder! Mann, Mann, Mann!)

Mal ganz ehrlich, Herr Dürr: Was machen Sie eigentlich in dieser Koalition, in dieser links-gelben – oh, Verzeihung –, in dieser links-minigelben Koalition? Das ist die Wahrheit hier.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Dr. Rolf Mützenich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7538670
Wahlperiode 20
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
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