07.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 50 / Einzelplan 23

Sanae AbdiSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon gehört: Wir kommen in einer Zeit vielschichtiger und komplexer Krisen zusammen. Diese Krisen sind global. Die Zeitenwende zeigt noch einmal mehr, dass eindimensionales, nationalstaatliches Denken, wie wir es heute schon von ganz rechts gehört haben, längst vorbei ist. Die Werkzeuge der klassischen Politikressorts sind der Komplexität der aktuellen internationalen Krisen nicht gewachsen. Umso mehr brauchen wir eine strukturbildende Entwicklungspolitik, die zentrale Ressorts wie Wirtschafts-, Klima- und Bildungspolitik vereint und die richtigen Werkzeuge bereithält und anwendet, um diese Krisen zu bewältigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Damit dies auch funktioniert, benötigen wir einen solide finanzierten BMZ-Haushalt. Und ja, so ehrlich muss man sein: Der jetzige Regierungsentwurf in Höhe von 11,08 Milliarden Euro reicht dafür nicht aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Ziemiak [CDU/CSU]: Ja! Und jetzt?)

Um den internationalen Herausforderungen gerecht zu werden, muss dieser Haushaltsentwurf an die Realität angepasst und deutlich aufgestockt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja eine Klatsche für die Ministerin!)

– Herr Klein, dazu kommen wir gleich noch mal.

(Felix Banaszak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Sie haben das in der Koalition bei Ihnen nicht gemacht, das einfach mal anzupacken!)

– Ich rede einfach mal weiter; vielleicht hören Sie auch zu.

In diesen Tagen endet ein weiterer Sommer, der zu den wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen gehört. Und wenn wir in der Vergangenheit über die Folgen der Klimakrise gesprochen haben, so dachten wir oft allein an die Regionen des Globalen Südens; wir dachten an die Dürre im Norden Kenias, an die Brände des Regenwaldes in Lateinamerika und an verheerende Überschwemmungen wie derzeit in Pakistan; wir haben es gerade gehört. Die räumliche Distanz erleichtert vielen eine Verdrängung dieser schrecklichen Ereignisse. Doch die extremen Folgen der Klimakrise sind ganz deutlich vor unserer eigenen Haustür angekommen: Das sind die Waldbrände in Brandenburg, die extreme Dürre in Frankreich, die vielen Hitzetoten und die schreckliche Hochwasserkatastrophe Mitte letzten Jahres an Ahr und Erft.

Spätestens jetzt muss doch jeder noch so liberale Wirtschaftsweise verstanden haben, dass eine hohe Finanzierung des Klimaschutzes nicht im Widerspruch zu einem wohlgewirtschafteten Haushalt steht. Ganz im Gegenteil: Denn die Folgen der Klimakrise bedrohen neben unserer Sicherheit auch unser Wirtschaftssystem.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So führt die außergewöhnliche Dürre dieses Sommers zu einem extrem niedrigen Wasserstand des Rheins; Güterschiffe konnten nur in Teillast fahren, und wichtige Energietransporte fielen aus. Wir alle sollten daraus lernen: Um unsere Lieferketten langfristig zu schützen und solche Ereignisse unwahrscheinlicher zu machen, brauchen wir einen gut finanzierten internationalen Klimaschutz. Und das muss sich dringend im Haushalt des BMZ widerspiegeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Klimawandel verstärkt auch die globale Ernährungskrise. Die gravierenden Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschlimmern die Situation noch mal mehr. Kürzlich sind endlich – nach langem Warten – erste Transportschiffe mit Getreide an Bord aus den ukrainischen Häfen ausgelaufen. Und Ministerin Svenja Schulze warnte an dieser Stelle völlig zu Recht vor einer zu großen Euphorie; denn die strukturellen Probleme bleiben. Die Getreidepreise sind noch immer viel zu hoch und werden durch Lebensmittelspekulationen des Finanzsektors weiter angetrieben. Das globale Ernährungssystem muss von Grund auf reformiert werden, um nachhaltige und krisenfeste Strukturen zu schaffen. Unser Ziel muss eine langfristige Ernährungssouveränität unserer Partnerländer sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Daher bin ich froh, dass wir mit dem dritten Entlastungspaket bis zu 1 Milliarde Euro dafür zusätzlich bereitstellen. Diese Gelder werden dringend gebraucht, denn sie retten Leben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer ist denn am stärksten von Hunger betroffen? Es sind weltweit 150 Millionen mehr Frauen als Männer. Wir wissen: Wenn Frauen die gleiche Entscheidungsmacht haben wie Männer, sinkt der Hunger und es gibt einen festeren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und auch deswegen begrüßen wir die starke feministische Entwicklungspolitik im BMZ.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Kürzung der Haushaltstitel im Bereich der Vereinten Nationen ist eine der zentralen Schwächen dieses Entwurfs. Wie können wir in einer Zeit, in der weltweit Kinderarmut steigt, die Gelder für UNICEF kürzen, in einer Zeit der weltweiten Pandemie die Gelder für die Impfallianz GAVI kürzen, in einer Zeit, in der Gewalt gegen Frauen drastisch zunimmt, die Gelder für UN Women kürzen? Das können wir nicht verantworten. Und wir senden damit die falsche Botschaft in die internationale Staatengemeinschaft, in einer Zeit, in der Multilateralismus wichtiger ist denn je.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Ziemiak [CDU/CSU]: So ist das! Da haben Sie recht! Warum kürzen Sie da?- Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Ganz falsches Signal!)

– Wir stehen am Anfang der Haushaltsverhandlungen. Ich glaube, es ist noch genug Zeit, um daran zu arbeiten.

Die Entwicklungspolitik nimmt die Perspektiven der Partnerländer ein, um einen kooperativen und gleichberechtigten Umgang zu gewährleisten. Es muss klar sein, dass entwicklungspolitische Gelder – und das möchte ich hier in aller Deutlichkeit noch mal sagen – keine wohltätigen Spenden sind. Ganz im Gegenteil: Es sind Gelder, die uns ermöglichen, eine partnerschaftliche, internationale Zusammenarbeit zu gewährleisten, von der wir in Deutschland langfristig profitieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Paul Ziemiak [CDU/CSU]: Lehnt die SPD den Haushalt ab, oder was?)

Kurzsichtige Haushaltskürzungen haben drastische und langfristige internationale Konsequenzen, die wir uns keineswegs erlauben können. Denn:

Erstens. In Zeiten komplexer Krisen gerät die Entwicklungspolitik in den Mittelpunkt des politischen Geschehens, und sie hält die richtigen politischen Werkzeuge bereit.

Zweitens. Die Zeit des paternalistischen Top-down-Denkens ist vorbei. Die Kooperation mit unseren Partnerländern ist gleichberechtigt und multilateral. Die Kürzung von Geldern im Bereich der UN-Organisationen geht hier in die falsche Richtung. Auch die Schuldenbremse kann eine solche Kürzung nicht rechtfertigen; denn wenn wir jetzt zögerlich handeln, haben wir morgen riesige Folgekosten für die EU und für Deutschland.

Drittens. Eine progressive Zeitenwende steht auch für mehr konfliktpräventive Entwicklungspolitik; denn wir reden hier immer noch von nachhaltiger Friedenspolitik.

Ich möchte zum Schluss kommen. – Seit Jahren sind wir hier in diesem Hohen Haus Getriebene verpasster Prävention, im Ahrtal verpassten Hochwasserschutzes, in der Pandemie verfehlter Bevorratung mit medizinischem Material, in der aktuellen Krise fehlender Energiealternativen. Und immer sagen wir: Hätten wir damals mal. – In der Entwicklungspolitik –

Frau Kollegin.

– ich komme zum letzten Satz – ist jetzt der Moment, den wir in Zukunft entweder bereuen werden oder in dem wir uns eine Krise der Zukunft ersparen. Dafür reicht der aktuelle Regierungsentwurf nicht aus; aber ich bin zuversichtlich, dass wir hier klarer nachbessern werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Bei so viel Beifall muss die Ministerin ja zurücktreten!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7538747
Wahlperiode 20
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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