22.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 54 / Tagesordnungspunkt 17

Katrin ZschauSPD - Pandemiebedingte Lernrückstände bei Kindern und Jugendlichen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin! Wir erinnern uns alle an den vielzitierten Vergleich, die Coronapandemie wirke wie ein Brennglas, das bereits bestehende Missstände und Ungleichheiten verdeutlicht und verstärkt. Und ja, es fiel noch stärker ins Gewicht als in normalen Zeiten, dass es bundesweit an Lehrkräften, geeigneten Räumlichkeiten, digitaler Ausstattung und pädagogischen Fachkräften mangelte.

Wie mittelmäßig das Bildungswesen zum Teil aufgestellt ist und mit welchen Verunsicherungen die schulischen Akteure zu kämpfen haben, wurde spätestens durch die Pandemie der breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt. Dennoch war der gesellschaftliche Diskurs in dieser Zeit von viel Zuversicht geprägt, daran endlich etwas verändern zu können. Viele Eltern haben zugleich miterlebt, unter welch hoher Einsatzbereitschaft, mit wie viel Flexibilität, Professionalität, Kollegialität und Kreativität ein Teil der Schulen, der Politik und Verwaltung erfolgreich fortdauernde Bildung gewährleistet und ad hoc weiterentwickelt hat.

(Beifall bei der SPD)

In Bezug auf den Präsenz- und Wechselunterricht, die Nutzung von Onlinelernangeboten sowie den Umgang mit Masken, Testungen und Notbetreuung ist aber negativ in Erinnerung geblieben, wie wenig einheitlich bundesweit im Bildungsbereich agiert wurde. Dass Politik auf Sicht fahren und dennoch schnell entscheiden musste, war hier weniger das Problem. Dass aber nur zaghaft gemeinsame Beschlüsse gefasst wurden und diese dann nur eine geringe Halbwertszeit hatten, führte zu Irritationen und sorgte nicht für Vertrauen.

Die Schulschließungen und Unterrichtsausfälle führten zu erheblichen Verlusten von Lernstunden. Die Umstellung auf das Homeschooling wirkte sich besonders negativ auf lernschwache, bereits vorbelastete Schülerinnen aus. Laut des ifo Zentrums für Bildungsökonomik gingen die Schulschließungen im Frühjahr 2020 mit einer Halbierung der täglichen Lernzeit von durchschnittlich 7,4 Stunden vor Corona auf 3,6 Stunden während Corona einher. Fast jedes vierte Kind hat sich während der Schulschließungen Anfang 2021 nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit Schule beschäftigt. Auch in der zweiten Phase erhielten nach wie vor 39 Prozent der Schüler/-innen nur maximal einmal pro Woche Videounterricht, sodass der Schulalltag fast ausschließlich vom eigenständigen Erarbeiten von Unterrichtsstoff zu Hause geprägt war.

Für die Gestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens sind in Deutschland die Länder zuständig. Der Bund stellt trotz fehlender Zuständigkeit in geübter Praxis und von den Ländern deshalb einkalkuliert zusätzliche Mittel bereit, wie beim DigitalPakt Schule oder beim Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat die Länder kritisiert, sich nicht an ihre ausdrücklichen Empfehlungen gehalten zu haben. Nur wenige Bundesländer hätten das eigentliche Programmziel, Lernrückständen zu begegnen, verfolgt. Empfohlen worden waren Lernstandserhebungen, die Konzentration auf die schwächste Schülerschaft, die Fokussierung auf die Fächer Deutsch und Mathematik sowie auf die Kernfächer und die besondere Berücksichtigung der Übergangsphasen im Bildungsverlauf. Die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung belegt leider diese Zielverfehlungen.

Auf dem Bildungsgipfel im kommenden Frühjahr sollte deshalb zum einen Thema sein, dass Bildungsforschung und Beratung von Anfang an einbezogen werden müssen. Zum anderen sollten wir ernsthaft über datenbasierte Wirksamkeitskontrollen im Bildungssystem sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Zugleich muss geregelt werden, dass der Bund, wenn er selbst finanziell beteiligt ist, den Einsatz dieser Mittel inhaltlich nach qualitätsorientierten Gesichtspunkten mit definieren kann.

Von Bildungspolitikerinnen und ‑politikern wird generell erwartet, dass wir uns gemeinsam um fehlende Lehrkräfte kümmern, dass wir etwas dagegen unternehmen, dass Kinder aufgrund ihrer sozialen Herkunft benachteiligt werden, und dass die Ganztagsschulen bundesweit ausgebaut werden. Diese Aufgaben lassen sich jedoch nur – und deshalb steht es im Koalitionsvertrag – über eine enge, zielgenaue und verbindliche Kooperation aller Ebenen auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene erreichen.

Mit dem Startchancen-Programm werden wir Antworten auf diese strukturellen Fragen formulieren. Indem wir Schulen mit einem hohen Anteil von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern gezielt unterstützen, fördern wir dort, wo es nötig ist. Es gilt nun, genau dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. So wird es uns auch gelingen, die Probleme, auf die die Pandemie das Brennglas gehalten hat, zielgerichtet anzupacken.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Und wann reden Sie zur Sache?)

Vielen Dank, Frau Kollegin Zschau. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546043
Wahlperiode 20
Sitzung 54
Tagesordnungspunkt Pandemiebedingte Lernrückstände bei Kindern und Jugendlichen
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