30.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 58 / Zusatzpunkt 9

Thorsten LiebFDP - Fiskalpolitische Disziplin in Europa

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, beginne ich mit einem Zitat: „Der Maastrichter Vertrag ist ein Versprechen; Wirklichkeit ist er noch nicht.“ Mit diesen prophetischen Worten hat Otto Graf Lambsdorff vor fast exakt 30 Jahren, am 8. Oktober 1992, im Deutschen Bundestag auf die besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung und Erfüllung des Stabilitätspaktes von Maastricht hingewiesen – übrigens schon ein Beitrag zu finanzieller Nachhaltigkeit, als noch kaum jemand über Nachhaltigkeit gesprochen hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Komplexität der ursprünglich doch eher knappen und klaren Regelung hat von Krise zu Krise leider deutlich zugenommen. Die Entschließung von 1997, Sixpack, Twopack, dazu ein Europäisches Semester: Den Stabilitätspakt in seiner heute geltenden Form hier auch nur vorzutragen und zu erklären, würde leider jede denkbare Redezeit sprengen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Entwicklung der so notwendigen Stabilitätskultur in der Europäischen Union hat das leider nicht befördert.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Stabilitätskultur kann ich nirgendwo wahrnehmen!)

Im Gegenteil: Das Unterlassen eines Verfahrens wegen Verstößen gegen die Regelung, nur weil es sich um Frankreich handelt, steht dafür eigentlich sinnbildlich. Keinesfalls ist das natürlich auf einzelne Mitgliedstaaten beschränkt. Leider waren wir – Deutschland gemeinsam mit Frankreich – mit die Ersten, die gegen den Pakt verstoßen haben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe ich es als eine besondere Verantwortung Deutschlands, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuhalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin der Union dankbar, dass sie diesen Antrag heute stellt, weil uns die gemeinsame Sorge um die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion verbindet. Die Debatte ist es wert, geführt zu werden. Sie ist notwendig, und sie wird sicher nicht mit dem heutigen Tag enden; sie beginnt erst. Deswegen hätte ich mich gefreut, wenn Sie den Antrag vor allem auch der Kommissionspräsidentin geschickt hätten – das ist ja schon angesprochen worden –; denn da gehört das hin.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Weniger dankbar bin ich allerdings den Kolleginnen und Kollegen von der Union für den puristischen Antrag, der, bei Lichte betrachtet, dann doch ganz wenig Konkretes enthält.

(Johannes Schraps [SPD]: So ist es!)

So sprechen Sie natürlich richtigerweise die Komplexität des Regelwerks an; aber die ganz konkreten Vorschläge, wo Sie die Komplexität reduzieren wollen, habe ich leider vermisst. Wo wir dabei sind: Was hat Sie eigentlich daran gehindert, in den vergangenen acht Jahren, in denen – so habe ich das zumindest in Geschichte gelernt – auch die CDU das Finanzministerium mal an der Spitze besetzt hat, die konkreten Vorschläge einzubringen? Es wäre längst die Zeit gewesen, den notwendigen Reformprozess anzustoßen. Es war auch Ihr Versäumnis in den vergangenen Jahren, dass das nicht passiert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen kritisieren Sie einen Vorschlag des Finanzministers, einen Vorschlag, der dem Koalitionsvertrag folgt, der angemessen ist und, zur Zeit passend, einen realistischen Ansatz fährt. Purismus ist in dieser Zeit nicht angebracht. Es geht jetzt um die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, um die Sicherung von Wachstum in der EU und um den Erhalt der Schuldentragfähigkeit. Gleichzeitig behalten die Vorschläge das Ziel klarer und verbindlicher Regeln im Blick und gehen umfassend auf die eben nicht nur rein fiskalpolitischen Herausforderungen des Stabilitätspaktes ein.

(Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig!)

Es geht weit darüber hinaus, und darauf geben Sie keine Antworten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, weil das das Problem ist! Wir brauchen doch nicht zu beschreiben, was geht!)

Einen ganz wichtigen Beitrag zur Stabilität leistet auch die Einhaltung der Schuldenbremse hier in der Bundesrepublik Deutschland ab 2023. Dazu bekennen Sie sich auch. Wenn ich aber die Haushaltswoche hier noch mal Revue passieren lasse und die Mengen an Mehrausgabenwünschen, die gerade die Kolleginnen und Kollegen der Union hier vorgetragen haben,

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Wie war das gestern? 200 Milliarden!)

dann muss ich mir schon die Frage stellen, ob das, was Sie hier richtigerweise aufgeschrieben haben, überhaupt ernst gemeint ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Natürlich hat die Einhaltung der Regeln auch inflationsdämpfende Wirkung. Das wird ja manchmal etwas kompliziert formuliert – es gibt auch eine abweichende Mindermeinung –, aber das Desaster um das Britische Pfund in den vergangenen Tagen zeigt uns doch noch mal deutlich, wie fehlgeleitet expansive Fiskalpolitik in diesen Zeiten ist. Deswegen müssen wir bei Stabilität und bei der Schuldenbremse bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die besondere Verantwortung gerade der Bundesrepublik Deutschland beim Thema Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht nur eine politische, sie ist auch eine rechtliche. Das Bundesverfassungsgericht hat uns das 1993 im Maastricht-Urteil ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben:

Die … Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes.

Das dürfen wir nie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Maastricht ist damit auch ein Versprechen für den Zusammenhalt der Europäischen Union. Deswegen komme ich mit einem weiteren Zitat von Otto Graf Lambsdorff zum Ende:

Dennoch muß es uns klar sein, um was es in dieser Stunde geht. Europa steht vor einer historischen Wegscheide. Es gibt keine andere Möglichkeit als den Kurs der europäischen Integration.

Das war vor 30 Jahren richtig, und das ist heute richtig. Unsere Generation bleibt genau deshalb aufgerufen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten, auch für Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner: für die Fraktion der CDU/CSU Yannick Bury.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546656
Wahlperiode 20
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Fiskalpolitische Disziplin in Europa
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