Jürgen HardtCDU/CSU - Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Entscheidung gewesen, dass wir am heutigen Tage hier im Hohen Hause der Frage nachgehen, was wir gegen Antisemitismus in Deutschland tun können. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland hat ein klein wenig gemahnt und hat gesagt: Der 9. November ist in der deutschen Geschichte eben mit vielen Facetten versehen. – Ich glaube, dasjenige, was mich am meisten zum Nachdenken bringt, ist eben doch das Datum des 9. November 1938, weil das, was damals und in der Folge geschehen ist, ein so unbeschreiblicher Zivilisationsbruch gewesen ist, dass man als junger und auch als erwachsener Mensch immer noch damit zu kämpfen hat, das wirklich zu verstehen und nachzuvollziehen.
Wir denken an die vielen Opfer; aber wir denken auch an diejenigen, die sich in der Folge des 9. November 1938 schuldig gemacht haben, weil sie weggesehen haben, weil sie die Hilfe gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern verweigert haben, die von der SA und vom Mob verprügelt worden sind, die deportiert und umgebracht worden sind, und die sich an dem Vermögen ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bereichert haben und die zum Teil bis weit in die Nachkriegszeit, bis zu ihrem Tode nicht verstanden haben, dass es Unrecht war, sich an dem Vermögen zu bereichern, das den Juden weggenommen worden war. Das ist auch ein Thema, an das ich heute denke.
Ich komme aus einem Wahlkreis im Bergischen Land, nämlich Solingen–Remscheid–Wuppertal, in dem es eine starke jüdische Gemeinde gibt. Die ist in den 90er-Jahren deutlich gewachsen, auch als Ergebnis des Falls des Eisernen Vorhangs. Es hat in meiner Heimatstadt Wuppertal ein Ereignis gegeben, an dem der heutige Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Ron Prosor, persönlichen Anteil hatte. Es wurde in Wuppertal eine neue Synagoge gebaut, und zwar auf dem Grund und Boden der evangelischen Gemarker Kirche in Wuppertal, wo die Barmer Synode getagt hatte, ein letztes großes Aufbäumen gegen den Nationalsozialismus 1935. Diese Kirchengemeinde hat für eine symbolische D‑Mark der jüdischen Gemeinde ein Grundstück verkauft, auf dem dann die neue Synagoge errichtet worden ist. Ron Prosor hat damals als junger Diplomat maßgeblichen Anteil daran gehabt, dass diese von den Präsidenten Katsav und Rau – Wuppertaler Bürger – eingeweiht wurde.
Ich erinnere aber auch daran, dass im Jahr 2014 drei Jugendliche versucht haben, auf diese Synagoge einen Brandanschlag zu verüben. Gott sei Dank ist der Brandsatz nicht gezündet. Aber wenn er gezündet hätte, wäre diese Synagoge erheblich beschädigt worden oder gar in Brand geraten. Daraufhin gab es ein Gerichtsverfahren. In diesem Verfahren haben die jungen Menschen gesagt, sie wollten mit ihrer Aktion ja nur gegen die israelische Politik gegen die Palästinenser demonstrieren. Bemerke den Fehler: Der Angriff auf ein jüdisches Gotteshaus in Deutschland wird gerechtfertigt mit einem Protest gegen israelische Politik. Es hat die Richter zu einem vergleichsweise milden Strafmaß verleitet. Das hat international Aufsehen erregt und wirkt bis heute in der jüdischen Gemeinde in Wuppertal nach.
Wir hatten 2021 die Situation, dass unsere Freunde aus der Partnerstadt von Solingen, Ness Ziona, in der Stadt waren. Die Fahne des Staates Israel war vor dem Rathaus in Solingen gehisst, auch über Nacht. Und dann wurde diese Fahne in einer Nacht im Frühsommer 2021 in Brand gesetzt. Wir haben daraus den Schluss gezogen, dass wir einmal im Jahr – nämlich immer dann, wenn unsere Freunde aus Ness Ziona in Solingen sind – einen Tag veranstalten, an dem wir das jüdische Leben in Solingen sichtbar machen. Wir versammeln uns vor dem Rathaus, tragen eine Kippa und zeigen damit, dass man als Mensch jüdischen Glaubens in Deutschland den Schutz aller anderen verdient und genießt, wenn man sich zu seinem Glauben bekennt und seinen Glauben ausübt. Dass nach wie vor in Deutschland israelische Fahnen angezündet werden, ist ein erschreckendes Zeichen und mahnt uns, weiter aktiv gegen Antisemitismus zu kämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zum Schluss möchte ich als Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft einen Satz dazu sagen, was wir noch tun können, um das Verständnis der Deutschen für die Politik und für das Leben in Israel zu verbessern. Ich glaube, dass wir noch viele Wege beschreiten können und müssen, um die Deutschen und die Bürger Israels näher zueinander zu bringen, den Austausch der Jugend zu fördern, die Zusammenarbeit der Wissenschaft und der Wirtschaft weiter zu entwickeln und zu fördern, damit wir dem deutsch-jüdischen Verhältnis eine neue, zusätzliche Dimension verleihen, die uns hilft, Antisemitismus auch in Deutschland ein für alle Mal zu überwinden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Das Wort hat nun Frau Staatsministerin Claudia Roth für die Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7547729 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 65 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Bekämpfung von Antisemitismus |