15.12.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 76 / Zusatzpunkt 9

Gitta ConnemannCDU/CSU - Aussetzung d. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „ Zeitenwende“, das Wort des Jahres – zu Recht, denn der Angriffskrieg Russlands hat die Welt verändert. Die Menschen in der Ukraine erleben unvorstellbares Leid. Aber auch und insbesondere Europa spürt die Auswirkungen des Krieges vor seiner Tür: Preise explodieren; Lieferketten brechen; nach zwei Jahren Corona fehlen die Rücklagen; eine Rezession droht – eine toxische Mischung.

Die Folgen spüren die Bürger, aber insbesondere auch die Betriebe; denn Energiekrise und Schockinflation treffen die Betriebe in diesem Land mit voller Wucht. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Wer es nicht verstehen will, der mache sich bitte ein Bild vor Ort; denn mancher Beitrag, den ich hier heute gehört habe, hat für mich den Eindruck erweckt, als ob Ihnen der Ernst der Lage, der im deutschen Mittelstand herrscht, nicht klar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen. Dann kam der Krieg und damit die Zeitenwende.

(Rasha Nasr [SPD]: „Zeitenwende“ bedeutet nicht Aussetzen der Menschenrechte!)

Wir alle müssen in dieser Situation unsere Position hinterfragen; Sie als Ampel haben es gemacht. Heute sind Sie für Waffenlieferungen,

(Deborah Düring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Menschenrechte bleiben aber Menschenrechte! – Zuruf der Abg. Angelika Glöckner [SPD])

für die Verlängerung von Laufzeiten, für das Wiederanfahren von Kohlekraftwerken, für den Import von Fracking-Gas und übrigens auch für den Abschluss von Verträgen mit menschenrechtsverletzenden Staaten wie Katar.

Gerade hat einer Ihrer Redner gesagt: „Menschenrechte sind unverhandelbar.“

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja!)

Ja, Sie haben recht. Aber was sagen Sie dann zu den Vertragsabschlüssen mit Katar?

(Beifall bei der CDU/CSU – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Doppelmoral!)

Wenn Sie hier ein anderes Maß anlegen, als Sie es bei den Sorgfaltspflichten für Betriebe tun, ist das Doppelmoral, und genau das zeigen und leben Sie hier.

Wir als Opposition verstehen, dass die Bundesregierung in Not handelt; dasselbe gilt übrigens auch für das Lieferkettengesetz. Ja, wir wollten damit Sorgfaltspflichten für größere Unternehmen begründen, damit es bei Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden kommt. Zu diesen Zielen des Gesetzes stehen wir, natürlich. Aber die Zeit hat sich verändert, dramatisch; darauf müssen wir reagieren.

(Zuruf der Abg. Rasha Nasr [SPD])

Deshalb fordern wir als Union die Aussetzung des Gesetzes für zwei Jahre. Dafür spricht die Vernunft.

(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Nein, nein! –Zuruf der Abg. Angelika Glöckner [SPD)

Erstens. Die Großunternehmen, die adressiert werden sollten, werden das Gesetz ohnehin anwenden; denn jedes börsengelistete Unternehmen muss auch laut ESRS im Nachhaltigkeitsreport umfangreiche Berichte abgeben.

Zweitens. Das Gesetz trifft inzwischen faktisch kleine und mittlere Betriebe. Die Begrenzung auf Großunternehmen wirkt eben nicht;

(Bernd Rützel [SPD]: Das wussten wir, und das wollten wir auch so!)

denn die Unternehmen an der Spitze der Lieferkette reichen ihre Pflichten weiter.

(Bernd Rützel [SPD]: Ja! Natürlich! Alle müssen sich an Menschenrechte halten! Alle!)

Dies bestätigt sogar Ihr Bundeswirtschaftsminister mit seinem heute vorgelegten Aktionsplan „Mittelstand, Klimaschutz und Transformation“.

Drittens. Gerade dieser Mittelstand in diesem Land kämpft aber ums Überleben. 40 Prozent haben jede Investitionstätigkeit eingestellt; jedes vierte Unternehmen denkt über eine Verlagerung nach, weil hier die Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Liebe Ampel, Sie haben vor diesem Hintergrund ein Belastungsmoratorium angekündigt; aber Lieferkettengesetz und Moratorium widersprechen sich diametral.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Mittelständler ist schlicht nicht in der Lage, seine gesamte Lieferkette bis zum Subsubunternehmer des Herstellers am anderen Ende der Welt zu überwachen; dies gilt umso mehr nach der Zeitenwende. All das wird getoppt von dem Fragebogen des BAFA, einem Bürokratiemonster. Ich habe mir erlaubt, diesen mitzubringen.

(Die Rednerin hält ein Dokument hoch)

Er umfasst 37 Seiten – davon 7 Seiten Definitionen. Er enthält 437 Antwortoptionen, nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern für unmittelbare Zulieferer und für mittelbare Zulieferer. Wenn Sie sagen, lieber Herr Kollege, die Unternehmen könnten das ohne Weiteres beantworten,

(Bernd Rützel [SPD]: Es gibt eine digitale Version mit nur acht Fragen! Acht Fragen!)

dann beantworten Sie mir jetzt diese Frage: Welche Präventionsmaßnahmen wurden für den Berichtszeitraum zur Vorbeugung und Minimierung der prioritären Risiken bei mittelbaren Zulieferern umgesetzt? Sie könnten es nicht; aber Sie verlangen es von den Betrieben. Auch das ist Doppelmoral.

(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Die Betriebe sind schon viel weiter!)

Wer jetzt „Lieferkettengesetz“ googelt, findet zuerst Dutzende Anzeigen von Beratungsunternehmen. Wir brauchen aber kein Konjunkturprogramm für NGOs oder Berater, sondern wir brauchen ein Schutzprogramm für unsere Betriebe. Wer sich aber rechtssicher verhalten will, muss sich zurückziehen, wie zum Beispiel Strabag aus Afrika. Das Lieferkettengesetz wirkt sich also auch auf Länder in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aus,

(Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])

auch auf Tunesien, Marokko und noch viele andere Länder. Deutsche Unternehmen mit höchsten Standards ziehen sich zurück.

(Bernd Rützel [SPD]: Aber nicht wegen des Lieferkettengesetzes, was erst ab Januar gilt!)

Damit wird China Tür und Tor geöffnet. Den Menschenrechten wird damit ein Bärendienst erwiesen. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis!

(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Aber nicht wegen des Lieferkettengesetzes!)

Deutschland ist in der EU am stärksten von der Krise betroffen. Ein Inkraftsetzen des Gesetzes zum 1. Januar würde einem nationalen Alleingang gleichkommen.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Deshalb: Setzen Sie bitte das Gesetz aus, und kämpfen Sie auf EU-Ebene für eine handhabbare Regulierung für unseren Mittelstand; denn ohne ihn bricht unser Rückgrat!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Michael Gerdes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549557
Wahlperiode 20
Sitzung 76
Tagesordnungspunkt Aussetzung d. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta