Michael RothSPD - Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal
Guten Tag, liebe Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit über einem Jahr läuft die russische Kriegsmaschinerie – und das brutalstmöglich. Wir erleben fast täglich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verschleppungen, Tötung von Zivilistinnen und Zivilisten, Anschläge auf die zivile Infrastruktur. Die russischen Truppen machen vor nichts halt, seien es Krankenhäuser, Schulen oder auch Kitas.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag immer wieder um richtige Wege, verantwortungsvolle Wege gerungen, um der Ukraine in dieser grauenhaften Situation solidarisch, geschlossen und entschlossen zur Seite zu stehen. Ich will mich dafür bedanken, dass wir uns hier immer auf eine breite parlamentarische Mehrheit berufen konnten. Das gibt nicht nur der Regierung Bewegungsspielraum, sondern es setzt auch ein ganz klares Signal an die internationale Gemeinschaft.
Gleich, wo wir politisch stehen: Dieser russische Vernichtungsfeldzug, dieser russische Aggressionskrieg muss verurteilt werden, und wir schulden es den Opfern, dass wir nicht nur politisch dagegen vorgehen, sondern dass wir diese Verbrechen auch juristisch aufarbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat bereits Informationen zu 70 000 mutmaßlichen Fällen von Kriegsverbrechen gesammelt. Ich bin dem Internationalen Strafgerichtshof sehr, sehr dankbar, der auch schon vor Ort Beweise ermittelt. Die Europäische Union, aber auch Expertinnen und Experten aus Deutschland tragen dazu bei, dass wir den Opfern ein Gesicht geben, dass wir diese furchtbaren Verbrechen aufarbeiten.
Wir streiten heute, lieber Kollege Krings, lieber Kollege Mijatović, auch darüber: Wie können wir denn einen rechtssicheren Weg finden? Denn wir sind als Rechtsstaat natürlich auch dem Recht verpflichtet. Wir brauchen dafür viele Bündnispartnerinnen und Bündnispartner, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Deswegen halte ich auch eine Lösung über den Europarat oder über die Europäische Union für nicht überzeugend.
(Beifall des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich glaube, wir müssen insgesamt über die Vereinten Nationen vorgehen, und wir müssen die von Ihnen beschriebene Lücke schließen. Ich habe es in der Anhörung des Auswärtigen Ausschusses, an der dankenswerterweise ja auch die Kolleginnen und Kollegen des Rechtsausschusses, aber auch des Menschenrechtsausschusses mitgewirkt und mitgearbeitet haben, jedenfalls so verstanden, dass es für dieses politische Ziel eine sehr, sehr breite Mehrheit gibt.
Klar ist: Wir schulden diese Gerechtigkeit nicht nur den Opfern. Diese Aufarbeitung ist auch in unserem eigenen Interesse; denn der russische Angriffskrieg ist auch ein Krieg gegen das internationale Recht, gegen das Völkerrecht.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir müssen dem russischen Regime deshalb nicht nur mit unserer Unterstützung der Ukraine ein Stoppschild setzen, sondern es braucht auch ein völkerrechtliches Stoppschild. Ein Überfall auf ein anderes Land darf nicht straflos bleiben. Da fängt die Schwierigkeit an: Für das Verbrechen der Aggression gibt es derzeit über den Internationalen Strafgerichtshof noch keine Lösung. Also brauchen wir jetzt – da bin ich ganz bei Ihnen – eine pragmatische, eine rechtssichere Lösung, die gegenüber den Menschen in der Ukraine Bestand hat, die aber auch im Streit und im Austausch mit vielen Partnerinnen und Partnern in der Welt Bestand hat.
Kritiker sagen ja bereits jetzt, dass Putin vermutlich niemals vor einem solchen Tribunal landen wird oder dass es sogar zukünftige Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland erschweren würde. Ich halte das für komplett falsch. Denn ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben. Ohne Gerechtigkeit kann es keine nachhaltige Friedensordnung in Europa und für Europa geben, die nicht nur im ukrainischen Interesse, sondern natürlich auch im deutschen Interesse ist. Wenn wir diesen Aggressor nicht endgültig aufhalten, dann drohen weitere bewaffnete Konflikte in Europa, in unserer Nachbarschaft. Und wir wollen den Frieden. Wir wollen die Sicherheit für uns alle in Europa, und wir wollen sie vor allem für die Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Lassen Sie mich in den wenigen noch verbleibenden Sekunden eine weitere Sorge mit Ihnen teilen und Ihnen auch ein weiteres Angebot für intensivere Gespräche unterbreiten, sofern mir als Ausschussvorsitzendem das überhaupt zusteht. Wir haben bislang rund 19 Milliarden Euro an russischen Vermögen im Ausland sanktioniert; diese Gelder sind eingefroren. Wenn sich das russische Regime nicht willens zeigt, die Ukraine für die erlittenen Schäden zu entschädigen, müssen diese Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt werden.
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Für den Kauf von Munition!)
Das ist moralisch und politisch allemal geboten.
Auch hierfür brauchen wir eine rechtssichere Lösung, die mit den Grundlagen des Völkerrechts im Einklang steht. Aber wir brauchen auch den politischen Willen dazu. Ich darf jedenfalls für meine Fraktion bekunden: Wir sind bereit, mit Ihnen nach einer rechtssicheren Lösung zu suchen, sowohl für die Schließung der Lücke der Behandlung des Verbrechens der Aggression als auch für die Frage: Wie können wir die Menschen in der Ukraine ansatzweise entschädigen? Für das unendliche Leid kann es keine Entschädigung geben; aber es muss von uns, gerade auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte, an die Menschen in der Ukraine und an die Verbrecher in Russland ein deutliches Signal ausgehen: Wir werden diese Taten niemals vergessen. Wir werden sie strafrechtlich ahnden. Das sind wir dem Rechtsstaatsprinzip schuldig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da wäre die Zustimmung zu unserem Antrag ja der richtige Anfang!)
Das Wort erhält Stefan Keuter für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551218 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 87 |
Tagesordnungspunkt | Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal |