31.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 14

Nina ScheerSPD - Strompreisbremsegesetz u. Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss leider mit Herrn Spahn beginnen, weil wir noch ein bisschen Sachlichkeit brauchen, um überhaupt ins Thema einsteigen zu können.

Herr Spahn, Sie haben hier dargelegt, dass wir angeblich die Energiewende verfehlen, dass wir angeblich die Klimaschutzziele einkassieren wollen. Das alles ist falsch. Sie wissen auch genau, dass der Koalitionsausschuss nicht die Aufgabe des Klimaschutzgesetzes beschlossen hat, sondern sich nur die Erfüllbarkeit des Klimaschutzgesetzes vorgenommen hat. Das ist ein großer Unterschied. Das wissen Sie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben es geschliffen! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das Gesetz ist von Frau Schulze! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist eigentlich erfüllbar!)

Für eine Fraktion, die 16 Jahre lang versucht hat und es leider auch geschafft hat, Bremsen in die Energiewende hineinzubauen,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das war das Gesetz von Frau Schulze!)

Hemmnisse in die Energiewende einzubauen, die wir gerade mit mühsamster Kleinarbeit aus den vielen Energiegesetzen wieder herausdoktern müssen – Erneuerbare-Energien-Gesetz, auch Energiewirtschaftsgesetz und viele weitere Gesetze –, für eine Fraktion, die dies 16 Jahre lang programmatisch verfolgt hat, um die Energiewende zu blockieren, nehmen Sie Ihren Mund heute sehr voll.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Dr. Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Heilmann aus der CDU/CSU-Fraktion?

Ja.

(Abg. Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Erst ist der Kollege dran.

Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Scheer, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben zu mehr Sachlichkeit aufgerufen,

(Dr. Nina Scheer [SPD]: Das ist genau der Punkt!)

und da will ich vorweg sagen: Wir sind heute natürlich alle schlauer, als wir das vor zehn Jahren waren. Auch meine Fraktion hat ihre Position verändert. Ich finde, das könnten Sie auch mal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall des Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Katja Mast [SPD]: Das ging aber schnell! Ohne Verantwortung wechselt sich die Position schnell! – Weiterer Zuruf von der SPD: Bravo!)

Zweitens. Entscheidend ist doch, dass wir als Opposition die Aufgabe haben, die Regierung zu kontrollieren, und diese Aufgabe wird nach dem Grundgesetz nicht deswegen kleiner, weil wir vielleicht vor zehn, vor fünf oder sonst wie vielen Jahren was falsch gemacht haben.

(Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 16 Jahren alles falsch gemacht!)

Sie müssen sich heute der Kritik der Opposition stellen.

Dann haben Sie nach Sachlichkeit gefragt; es stimme alles gar nicht, was wir sagen. Ich habe zwar noch ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie der Opposition nicht glauben. Aber vielleicht glauben Sie den Klimaexperten der SPD, die ja auch organisiert sind. Da würde ich Ihnen gerne vorlesen und dann um Ihre Stellungnahme bitten, was sie schriftlich zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses diese Woche gesagt haben. Ich zitiere einige Sätze daraus:

Was die Koalition als Klima- und Beschleunigungspapier präsentiert, ist in Wahrheit ein Bremsen & Blockieren bei entscheidenden Punkten wie der Verkehrswende!

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Weiter heißt es da:

Auch wenn leichte Verbesserungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in Aussicht gestellt werden, ist es fatal, dass die Regierung alles tut, um Klimaziele unverbindlich und vage zu halten.

Dann schreiben sie noch:

Die Ergebnisse senden ein fatales Signal: Von einer „Klimakoalition“ und auch von einer SPD, die den Ernst der Lage verstanden hat, kann nach diesen Verhandlungen kaum die Rede sein.

Frau Scheer, das ist schärfer als das, was mein Kollege Spahn gerade gesagt hat. Würden Sie mir zustimmen, dass diese Ergebnisse ein fatales Signal setzen und die Klimaziele infrage stellen, oder haben Ihre eigenen Klimaexperten aus der SPD unrecht?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann den Bewertungen, die Sie da gerade zitiert haben, nicht zustimmen und würde ihnen auch an jeder Stelle widersprechen. Ich kann hier auch betonen, dass das nicht die Position der SPD ist.

Was die Expertenfrage angeht, muss man noch mal genauer klären, woran Sie Expertenqualifikation festmachen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Experten, die Kompetenz haben!)

Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass es vielleicht auch in Ihrem Interesse ist, wenn man nicht jede Gruppierung, die sich eine gewisse Parteinähe zuschreibt, dann auch in die eigenen Reihen integriert haben möchte.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Das sollten Sie in Ihren eigenen Reihen vielleicht auch erfahren haben. Ich möchte bestimmte Namen jetzt an dieser Stelle gar nicht nennen; das wäre für Sie zu peinlich.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Insofern möchte ich zur Sache zurückkommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

War das die Antwort auf die Frage?

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Frage stellen wir uns auch!)

Ja. Ich meine, es ist nicht die SPD-Position.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Frage ist nicht beantwortet!)

– Das war die Antwort auf die Frage.

Nein, ich wollte es nur wissen. Dann kann sich der Kollege wieder hinsetzen.

Ja, er kann sich wieder hinsetzen.

Die Frage, Frau Dr. Scheer, ist, ob Sie eine weitere Zwischenfrage oder ‑bemerkung des Abgeordneten Wiener aus der CDU/CSU-Fraktion zulassen.

Wenn es dem Frieden dient, ja.

(Heiterkeit des Abg. Michael Kruse [FDP])

Gut.

Vielen Dank, Frau Scheer, dass Sie die Frage zulassen. – Es dient vielleicht nicht dem Frieden, aber der Wahrheit.

Sie reden immer davon, dass 16 Jahre nichts passiert ist. Aber wenn Sie sich die nackten Zahlen ansehen, sehen Sie, dass wir 2005 einen Anteil der Erneuerbaren am Primärstromerzeugung von 5 Prozent hatten. Das ist bis 2019 auf 20 Prozent gesteigert worden.

Um zu sehen, wie viel da passiert ist, kann man sich mal anschauen, was in anderen Ländern passiert ist. Ich habe es mal mit dem EU-Durchschnitt und mit der OECD verglichen, und ich habe es mit dem Rest der Welt verglichen, und danach sind wir das Land, wo die erneuerbaren Energien am stärksten ausgebaut wurden.

Wie können Sie sagen, 16 Jahre ist nichts passiert? Hier in Deutschland ist unglaublich viel passiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es war teuer, und es ist viel passiert. Dieses Narrativ von 16 Jahren, in denen nichts passiert ist, ist einfach falsch.

Ich habe nicht gesagt, dass 16 Jahre nichts passiert ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ständig!)

sondern ich habe darauf hingewiesen, dass 16 Jahre lang aus Ihrer Fraktion heraus alles getan wurde, um die Energiewende abzubremsen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

und ich kann dafür eine ganze Menge Beispiele nennen.

Wir haben zum Beispiel aus der SPD-Fraktion heraus anderthalb Jahre lang dafür kämpfen müssen, dass der 52‑Gigawatt-Deckel zur Begrenzung des Solarenergieausbaus abgeschafft wird.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ich sage nur: Sigmar Gabriel!)

– Das ist unter Schwarz-Gelb installiert worden. Es ist schon lange her, aber es ist Schwarz-Gelb gewesen; es war nicht Sigmar Gabriel.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Beim Wind war es Sigmar Gabriel!)

Der 52-Gigawatt-Deckel hätte bewirkt, dass vor zwei Jahren der Solarenergieausbau gestoppt worden wäre. Wir sind leider nach wie vor aufgrund von verzerrten Marktbedingungen darauf angewiesen, diese Verzerrungen durch die Förderung von erneuerbaren Energien auszugleichen, was Sie übrigens immer als Übersubventionierung gebrandmarkt haben. Das hat es auch nicht erleichtert, die Energiewende nach vorne zu bringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU])

Mit genau solchen Verhinderungsinstrumenten hätten Sie um ein Haar riskiert, dass die Solarenergieförderung abgewürgt wird, und das ist nur der Gipfel des Eisbergs in Bezug auf die Solarenergie.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Warum schaffen Sie jetzt die Jährlichkeit ab? Warum schaffen Sie jetzt die Sektorziele ab?)

Sie wissen ganz genau, dass wir in diesem Land schon über hunderttausend Arbeitsplätze bei den erneuerbaren Energien verloren haben, aufgrund genau dieser Barrieren, die immer aus Ihrer Fraktion heraus kamen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU])

– Sehr wohl; das ist so.

Ich brauche es, glaube ich, nicht erneut zu erwähnen – aber ich tue es, weil Sie unbedingt darauf beharren, dass man hier mal die Fakten geradezieht –: Was ist mit der 10-H-Regelung in Bayern? Es ist die bayerische Landesregierung gewesen, die die 10-H-Regelung beschlossen hat, die besagt, dass der Abstand bei der Bebauung zehnmal die Höhe einer Windkraftanlage ausmachen muss.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist Bürgerbeteiligung! Sind Sie gegen Bürgerbeteiligung?)

Genau mit dieser 10-H-Regelung wurde der Windenergieausbau in Bayern schlicht und einfach verhindert; das ist CDU/CSU-Handschrift.

(Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

– Herr Dobrindt, wenn Sie jetzt hineinflüstern, dass das jetzt nicht mehr so die Realität ist, sage ich: Ja, aber es ist die Realität der letzten zehn Jahre, in denen das alles ausgebremst wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wir in Bayern haben dazu jedenfalls nichts beigetragen!)

Fakt ist, dass wir eine Preiskrise bei den fossilen Energien haben, dass der Handlungsbedarf, dem wir uns hier im Bundestag mit der Koalition gestellt haben, angesichts der massiven Preissteigerungen allein darauf zurückzuführen ist, dass wir noch eine so hohe Abhängigkeit von fossilen Energien haben.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Deswegen Kohle statt Kernkraft!)

Deswegen gilt auch hier: Wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien schneller gewesen wären, dann hätten wir gar nicht den großen Handlungsbedarf gehabt. Aber wir haben uns dem gestellt. Wir haben Energiepreisbremsen installiert, und die funktionieren auch.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Überall in der Welt ist der Strom erheblich billiger!)

Weil die Spatzen von den Dächern gepfiffen haben, dass sich trotz der Preiskrise, trotz der Unbezahlbarkeit und trotz der Schwierigkeit der Situation – weswegen wir ja gehandelt haben – andere wiederum die Taschen dick gefüllt haben, haben wir ein Instrument installiert. Dieses Instrument haben wir installiert, weil wir gesagt haben: „Es darf keine Krisengewinnler geben“,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das sagen Sie mal Ihren Lobbyfreunden!)

und es sollte schnell wirken. Auch das ist heute Morgen hier Thema. Deswegen komme ich jetzt mal zu dem, was heute auf der Tagesordnung steht. Das haben Sie überhaupt nicht angesprochen, Herr Spahn.

Also: Es geht heute um eine Nachbesserung an der Gesetzgebung zur Strompreis- und Erdgas-Wärme-Preisbremse, damit dies auch besser umgesetzt werden kann.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ich habe gesagt, das ist kleines Karo! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist ein Reparaturgesetz!)

Häufig wird erklärt, dass der Staat so weit aufgebläht sei, dass man Stellen abbauen müsste. Dieses Gesetz und das Prozedere der Umsetzung ist ein gutes Beispiel dafür,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Für schlechte Politik, ja!)

dass es sehr problematisch ist, immer weiter nach dem schlanken Staat zu rufen. Denn wir sehen gerade in solchen Zeiten, in Krisenzeiten, aber auch an anderer Stelle, dass, wenn es darum geht, dass der Staat Handlungsfähigkeit beweisen muss, man dann auch die Menschen in den Behörden braucht, die das umsetzen.

Da müssen wir jetzt nachsteuern; diese Verfügbarkeit ist nicht da. Deswegen müssen wir jetzt speziell für dieses Gesetz auf das Instrument der Beleihung zurückgreifen. Mit einer kleinen Korrektur am Gesetz ermöglichen wir jetzt eine Beleihung – aber natürlich in engen Grenzen, sodass es nicht ausufert und wirklich nur zur Umsetzung der Preisbremsenregelung eingeführt wird.

Ein zweites Element, das heute in das sehr schmale Korrekturgesetz – es ist wirklich nur minimalinvasiv gedacht – Eingang gefunden hat, ist das schon von meiner Kollegin Ingrid Nestle angesprochene Hedging. Es soll jetzt möglich sein, dass auch andere als die über die EEX gehandelten Preissicherungsinstrumente herangezogen werden. Das ist eine weitere Maßnahme.

Ich möchte noch kurz darauf eingehen, was heute hier ebenfalls zur Abstimmung steht, nämlich ein Änderungs- und ein Entschließungsantrag der CDU/CSU. Ich möchte nur sagen: Da entlarvt sich wieder die ganze Bigotterie der CDU/CSU-Fraktion.

(Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]: Was?)

– Ja, es ist letztendlich bigott.

Herr Spahn, Sie haben hier noch mal darauf hingewiesen, dass das Ihrer Meinung nach alles nicht funktioniert. Sie haben Bezug genommen auf das, was im Koalitionsausschuss beschlossen worden ist. Sie selber fordern aber eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, und zwar bis Ende 2024. Sie haben aus den Anhörungen und den zahlreichen Diskussionen entnehmen können, dass eine Verlängerung bedeutet, dass man für viele Jahre – anders ist das wirtschaftlich überhaupt nicht darstellbar – Brennelemente dazukaufen müsste; dazu kein Wort. Es wird einfach unterstellt, dass das für zwei Jahre ginge. Sie wissen ganz genau, dass das so eben nicht geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst wenn es ginge: Es wäre ein ziemliches Kostengrab; es wäre ein Milliardengrab, was Sie da wieder schaffen. Dann aber die Backen vollzunehmen und zu sagen, dass das hier alles nicht gut gerechnet ist, gerade das ist die Bigotterie, auf die ich noch mal hinweisen wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne: Ich denke, wir sind auf einem guten und verantwortbaren Weg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Und deswegen die Kohle ans Netz!)

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Steffen Kotré.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552392
Wahlperiode 20
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Strompreisbremsegesetz u. Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz
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