15.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 109 / Zusatzpunkt 7

Valentin AbelFDP - Gesetzentwürfe zur Wahl zum Europäischen Parlament

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1976 hat dieses Haus, wenn auch nicht an dieser Stelle, den ersten Direktwahlakt verabschiedet, und seitdem haben die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ein frei gewähltes Parlament, eine direkte Vertretung ihrer Interessen.

Seit der vorletzten Europawahl wird Deutschland von 96 Abgeordneten vertreten. Wenn ich mir die aktuelle Situation anschaue: Sie entstammen 16 verschiedenen Parteien. Wenn man das Parlament als Ganzes betrachtet, kommen die Mitglieder des Europaparlaments, die in Straßburg versammelt sind, sogar aus 181 verschiedenen Parteien. Das kann man natürlich als Gewinn für die Pluralität einordnen. Es ist aber bei näherer Betrachtung auch eine Zersplitterung des Parlaments und eine Schwächung von dessen Arbeitsfähigkeit; denn auch innerhalb der sieben Fraktionen unterscheiden sich die Ansichten deutlich: Teilweise sind proeuropäische und euroskeptische Parteien Mitglieder derselben Fraktion – ein grundsätzlicher Widerspruch, wenn man bedenkt, dass die Fraktionen gemeinsamen Prinzipien folgen sollen.

Der Gedanke, dieser Zerfransung durch die Einführung einer Sperrklausel Herr zu werden, erscheint vor diesem Hintergrund erst mal ziemlich naheliegend. Das Fehlen unionsrechtlicher Vorgaben hierzu – das ist der entscheidende Punkt – hat aber schon zweimal, 2011 und 2014, zur Verfassungswidrigkeit entsprechender nationaler Regelungen geführt.

Das ändert sich mit dem Direktwahlakt 2018. Nun wird eine unionsrechtliche Voraussetzung geschaffen, inklusive der Pflicht, in jedem Mitgliedstaat eine Sperrklausel einzuführen. Der Direktwahlakt 2018 schafft somit die sehr wichtige Balance, einerseits die Vielfalt des Europäischen Parlaments zu wahren, andererseits aber auch dessen künftige Handlungsfähigkeit zu sichern und die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.

Für ebenjene Vereinbarkeit mit nationalem Verfassungsrecht ist entscheidend, dass Europa nicht dem Konzept „One size fits all“ folgt, sondern dass wir einen Regelungskorridor zwischen 2 und 5 Prozent haben, der auf nationales Verfassungsrecht Rücksicht nimmt und bei dem wir es als evident ansehen, dass für Deutschland der niedrigstmögliche Wert – in diesem Fall 2 Prozent – angesetzt werden muss. Ungeachtet dessen, ob es sich um eine Richtlinie oder ein Gesetz handelt, muss der Eingriff minimalinvasiv sein. Das bedeutet für uns, dass höhere Sperrklauseln für Deutschland nicht infrage kommen.

Kollegin Kopf hat es erwähnt: Wer jetzt Angst hat, dass schon 2024 eine Sperrklausel wirken könnte, den können wir beruhigen; denn natürlich muss jede Änderung der Wahlparameter mit ausreichendem Abstand zur nächsten Wahl vonstattengehen. Das ist einerseits aktuell kaum noch möglich angesichts der Aufstellungsversammlungen, die langsam kommen. Andererseits wird die Ratifizierung erst möglich, wenn Spanien und Zypern mit aufgesprungen sind. Wann das geschieht, können wir nicht sagen. Aber ganz klar ist: Die Neuregelung kann frühestens zur übernächsten Wahl, 2029, in Kraft treten. Ich kann in diesem Zusammenhang nur an die Freundinnen und Freunde in Spanien und Zypern appellieren – gerade auch vor dem Hintergrund der Wahl in Spanien, die in etwas mehr als einem Monat ansteht –, hier zügig zu ratifizieren und dafür zu sorgen, dass wir diesem nächsten Schritt der europäischen Integration folgen können.

(Beifall bei der FDP)

Mit der Sperrklausel in Höhe von 2 Prozent verhindern wir die eben erwähnte Zersplitterung und stellen sicher, dass auch die Vertretung Deutschlands innerhalb des Europäischen Parlaments stark und selbstbewusst vonstattengehen kann. Damit stärken wir die Handlungsfähigkeit dieser Kammer. Und, meine Kolleginnen, meine Kollegen, eines muss ich sagen an dieser Stelle: Das Europäische Parlament hat diese Handlungsfähigkeit in seiner fast 50-jährigen Geschichte vielleicht nie so dringend benötigt wie aktuell und in der kommenden Legislaturperiode. Wenn man nur einmal überlegt, welche Herausforderungen auf uns zukommen – Klimawandel, Nachwehen der Covidpandemie, Migrationsfragen –, dann sieht man: Wir brauchen diese Handlungsfähigkeit in Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Mir ist eines wichtig zu betonen: Als Liberale sehen wir hierin nur einen Zwischenschritt hin zu einer moderneren, tiefer integrierten Europäischen Union. Dementsprechend werden wir uns auch weiter für institutionelle Reformen einsetzen. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, den Direktwahlakt weiterzuentwickeln, damit unsere Vision eines föderalen europäischen Bundesstaates endlich Gestalt annehmen kann.

Ich bitte deswegen um Ihre Stimme zur Ratifizierung des Direktwahlakts 2018, bedanke mich sehr herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen und hoffe, dass wir hier den nächsten Schritt zu einem vereinten Europa gehen können.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alexander Ulrich hat das Wort für Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7554967
Wahlperiode 20
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Gesetzentwürfe zur Wahl zum Europäischen Parlament
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