22.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 112 / Zusatzpunkt 3

Yvonne Magwas - Aktuelle Stunde: Strukturförderung ist Gemeinschaftsaufgabe

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir stehen mitten im Wandel in vielen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens. Und das sind keine einzelnen Entwicklungen, das ist ein ganz komplexer Transformationsprozess mit globalen, mit kontinentalen, mit nationalen, mit regionalen Auswirkungen bis hin in die kleinste Kommune, bis hinein in jede Familie, in unser alltägliches Leben.

Das Stoppen des Klimawandels, der Schutz vor dessen Folgen, der Übergang in eine digitale Welt, geopolitische Veränderungen mit Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik mit veränderten Märkten und Lieferketten und nicht zuletzt die Beseitigung von Ursachen von Fluchtbewegungen: All das wirkt sich unmittelbar bis hinein in die kleinsten Zellen der Gesellschaft aus. Dazu kommen speziell in Deutschland und Europa die Auswirkungen des demografischen Wandels mit all seinen Folgen, speziell im ländlichen Raum. Und als ob das alles nicht genug wäre, wird das noch mal verschärft durch die Auswirkungen der Coronapandemie und durch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Ein ganz komplexer Prozess in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.

Daher stellen sich die Fragen: Wie kommen die Menschen damit klar? Was können wir tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden? Wie können wir es schaffen, die Menschen angesichts unterschiedlicher Herausforderungen in Stadt und Land nicht zu verlieren und Radikalisierung zu vermeiden? Wo liegen aber auch die Chancen, die Potenziale, welche wir nutzen können, um diesen Prozess positiv zu beeinflussen? Eins ist für mich klar – das möchte ich gleich am Anfang sagen –: Gelingen kann das nur in einem engen Schulterschluss zwischen EU, Bund, Land und Kommunen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Freistaat Sachsen hat sich im Jahr 2019 dazu entschlossen, die Zuständigkeit für die Entwicklung in den Städten und den ländlichen Räumen, in den Grenzregionen und in den Strukturwandelregionen in einem Ministerium zusammenzuführen. Dadurch entstand das Staatsministerium für Regionalentwicklung, das ich nun im vierten Jahr mit großer Freude führen darf, also zumindest meist mit großer Freude.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Jetzt ja gerade nicht wegen der geplanten Kürzungen!)

Ich bin als Staatsminister für Regionalentwicklung davon überzeugt, dass dieses übergreifende Denken: „Wie können wir die Entwicklung in Stadt und Land mit dem Ziel, lebendige Regionen zu schaffen, gemeinsam lösen?“, nicht nur der richtige Ansatz ist, es ist vielmehr der Schlüssel zum Erfolg, auch die unterschiedlichen Probleme zu lösen: Wir haben in den Ballungsräumen überhitzte Wohnungsmärkte, teure Büro- und Gewerbeflächen und auf der anderen Seite in den ländlichen Räumen sinkende Einwohnerzahlen, Leerstand von Wohnungen, fehlende Arbeitskräfte im Sozialbereich, im Mittelstand oder auch in unseren kommunalen Verwaltungen. Diese strukturschwächeren Regionen sind in Ostdeutschland sicherlich besonders ausgeprägt, werden aber auch in vielen anderen deutschen Bundesländern immer mehr zum Problem. Statistische Prognosen sprechen dabei eine eindeutige Sprache.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land herzustellen, ist auch parteiübergreifend vollkommen Konsens, also auch nicht politisch so stark belastet wie vielleicht andere Themen. Da habe ich mich auch wirklich gefreut, dass sich die neue Koalition im Bundestag ganz klar und eindeutig in ihrem Koalitionsvertrag zu diesem Ziel bekannt hat.

(Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Dabei ist es der beste Weg, zuerst einmal festzustellen: Welche Instrumente gibt es bereits, welche Instrumente wirken erfolgreich, und wie können wir diese gegebenenfalls verstärken und flexibilisieren?

Der Blick auf den sogenannten ländlichen Raum ist im Übrigen von vielen Klischees geprägt und oftmals viel negativer, als es die Realität zeigt. Er kann ein wirklicher Zukunftsraum nicht nur zum Wohnen, sondern im Zeitalter der Digitalisierung auch immer vielfältiger zum Arbeiten werden; dies ist ja zum Teil heute bereits so.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund stehen die vom Bund geplanten Mittelkürzungen im klaren Widerspruch zu den Vereinbarungen und Ankündigungen im Koalitionsvertrag und sind ein Schlag ins Gesicht der vielen engagierten und kreativen Köpfe in Stadt und Land. Die Kürzungen treffen unter anderem die für die Bundesländer so wichtigen und erfolgreich wirkenden Instrumente wie die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz GRW, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, GAK, hier besonders den Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“, ebenso wie die durch Bund und Länder finanzierte Städtebauförderung. Im Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien nicht nur zu diesen Instrumenten; dort ist auch verankert, dass die Mittel jährlich dynamisch erhöht werden. Davon ist keine Rede mehr. Es ist im Gegenteil geplant, diese zu kürzen.

GAK, GRW und Städtebauförderung waren und sind in den Bundesländern bereits über viele Jahre verlässliche Säulen der Förderung. Auf ihnen basieren viele Programme, um gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Ich möchte kurz darauf eingehen.

GRW ist das mit Abstand wichtigste Instrument der Wirtschaftsförderung, nicht nur in Sachsen, sondern überhaupt speziell in Ostdeutschland, was auch ein aktuelles Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln bestätigt. Dieses Institut sieht die GRW-Förderung sogar als Anker für die übrigen regionalwirksamen Programme und als Kern der Regionalförderung in Ostdeutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor allem hilft die GRW dabei, Standortnachteile auszugleichen und Transformationsprozesse zu unterstützen. Sachsen hat sowohl in den Kohlerevieren als auch in der Automobilindustrie hier zwei besondere Schwerpunkte. Die mittelständisch geprägte Wirtschaft muss gerade jetzt investieren – in klimaneutrale Technologien, in die Digitalisierung der Prozesse, in die Diversifizierung der Produktion und nicht zuletzt in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie soll dieser Transformationsprozess gelingen, wenn gerade jetzt die dafür notwendigen Mittel gekürzt und womöglich entzogen werden?

(Beifall bei der CDU/CSU)

In Sachsen finanzieren wir über die GAK und speziell über den Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“ Programme wie „Vitale Dorfkerne und Ortszentren im ländlichen Raum“ – ein Programm, dessen Erfolg in den ländlichen Regionen sichtbar ist. Hier geht es darum, die Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen zu verbessern, was natürlich auch entlastend für die großen Städte wirkt.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn wir es kürzen, wird es eher zu einer Verstärkung der Probleme in diesen großen Städten, in den Ballungsräumen führen; und das kann doch nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nicht zuletzt ist die Städtebauförderung ein wirkliches Markenzeichen der Entwicklung in unseren Städten; sie hat vielen Städten ein Gesicht gegeben. In Deutschland läuft dieses tolle Förderprogramm nun bereits 50 Jahre. Viele Kommunen haben auf Verlässlichkeit gebaut, und diese Verlässlichkeit haben wir Länder gemeinsam mit dem Bund auch bei der Umsetzung bewiesen. Auch im Koalitionsvertrag ist nicht nur ein Bekenntnis zur Städtebauförderung enthalten, sondern es ist auch eine dauerhafte Sicherung und Erhöhung der Städtebauförderung in Aussicht gestellt.

Meine Damen und Herren, drei Beispiele habe ich genannt, drei Zusagen aus dem Koalitionsvertrag. Ich bleibe ein optimistischer Mensch, der sich nicht vorstellen kann, dass alle drei Zusagen gebrochen werden könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn, meine Damen und Herren, es geht am Ende nicht einfach nur um irgendwelche Fördermittel. Es geht um das Vertrauen in die Politik. Es geht darum, engagierte, kreative Köpfe in Stadt und Land zu unterstützen. Es geht darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Lande zu stärken und nicht zu schwächen. Und dafür werbe ich um Ihre Unterstützung.

Meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die SPD-Fraktion hat das Wort Hannes Walter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

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