23.06.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 113 / Zusatzpunkt 16

Bengt BergtSPD - Aktuelle Stunde: Tarifverträge in der Windradbranche

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Moin, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Wer die Energiewende schaffen will, braucht Fachkräfte, und wer Fachkräfte will, braucht gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Dafür sind Tarifverträge das beste Mittel; so viel ist klar. Darum ist es gut, dass wir heute über dieses Thema sprechen. Ich bin der Linken dankbar, dass dieser Punkt heute auf die Tagesordnung gesetzt wurde; denn es geht hier nicht um Parteipolitik, sondern es geht um die Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sage und schreibe 111 Tage kämpft die Service-Belegschaft von Vestas nun schon um einen Tarifvertrag und zeitgemäße Arbeitsbedingungen. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um irgendwelche weltfremden Forderungen. Es geht um angemessene Entlohnung und um Arbeitsbedingungen, die zu unserer Zeit passen. Die Belegschaft fordert unter anderem Altersteilzeitregelungen für später, wenn der Körper nicht mehr kann.

Ich frage mal hier ins Plenum: War jemand von Ihnen schon mal oben auf einer Windturbine? Ist jemand von Ihnen schon mal eine 100 Meter hohe Leiter mit Tragegeschirr und Werkzeug hochgeklettert und hat dann bei 40 Grad Hitze oder 10 Grad Kälte versucht, einen Schraubendreher zu halten? Die Gondel schwankt, 50 Zentimeter nach links, 50 Zentimeter nach rechts. Das ist da oben wie Seegang. Man arbeitet in einem Raum, der sich anfühlt wie ein U-Boot – ohne Fenster, kein Klo –, und alles, was man vergessen hat, bleibt unten. Man hantiert da an Mittelspannung. Das heißt, auf den Warnhinweisen steht nicht „Lebensgefährdend“. Es ist lebensbeendend, wenn was schiefläuft.

Wenn es nötig ist, muss man raus – auf die Gondel oder an die Rotorblätter – und was reparieren – über Ihnen das Seil, unter Ihnen 100 Meter Luft. Das ist harte Arbeit, und das sind harte Leute, die diese Arbeit machen. Das sind Familien, die sich ganz andere Sorgen machen, als wenn der Vater beim Schlosser um die Ecke arbeiten würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, das sind Leute, die Kameradschaft leben; denn ihr Leben hängt davon ab. Diese Leute halten die Turbinen am Laufen, die unseren Energieträger Nummer eins für Strom am Laufen halten: Das ist die Windkraft. Ihnen gebührt Dank und Respekt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir werden als Deutscher Bundestag natürlich nicht aktiv in die Gespräche eingreifen oder diese gar erzwingen können; das ist auch richtig so. Tarifautonomie ist ein hohes Gut, und es ist geltendes Recht.

Aber damit sind wir schon beim ersten Punkt. Tarife, Wochenarbeitsstunden und Altersteilzeit werden mit Gewerkschaften verhandelt, nicht mit den Betriebsräten. Betriebsräte dürfen nach deutschem Recht nur über die Verteilung von Mitteln entscheiden, aber nicht über die Höhe. Das ist Betriebsverfassungsrecht. Das ist in Deutschland festgeschrieben, und daran hat man sich hier zu halten, auch wenn es in Dänemark anders sein sollte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Recht wurde über Jahre erkämpft: von Gewerkschaften, von Arbeitern, von Sozialdemokraten. Das wird gefälligst nicht einfach ignoriert.

Zweiter Punkt. Um es mal klar zu sagen: Wenn eine Branche so sehr von unserer Politik abhängt und an Rahmenbedingungen hängt, die von diesem Parlament hier beschlossen werden, dann hat sie ihren Teil an die Gesellschaft zurückzugeben. Und das heißt, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihr Grundrecht aus Artikel 9 der Verfassung wahrnehmen und sich organisieren, wenn sie nach Tarifautonomie und geltendem Recht gute Bedingungen für sich aushandeln wollen, wenn es darum geht, wie das Geld der Bürgerinnen und Bürger verteilt wird, das sie mit der Stromrechnung bezahlen, dann hat eine Geschäftsleitung sich, verdammt noch mal, mit der Tarifkommission an den Tisch zu setzen und zu beraten, wie es weitergeht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist klar: Diesen Job kann man nicht ewig machen. Irgendwann ist der Körper durch. Was ist denn dann? Deswegen wollen die Kollegen ein Altersteilzeitmodell. Mein Appell an die Vestas-Geschäftsführung: Legen Sie den Beschäftigten ein tragfähiges Angebot vor. Machen Sie den Weg frei für Gespräche mit der IG Metall. Das wäre gut für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und das wäre auch gut für Ihr Unternehmen und gut für die Energiewende.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Servicetechniker, Mechaniker, Planer, Ingenieure und Ingenieurinnen: Ohne sie wird die Energiewende nicht funktionieren. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Das beste Mittel im Ringen um die klugen Köpfe sind eine gute Bezahlung, gute, zeitgemäße Arbeitsbedingungen, und das gerade in der Windbranche.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Zeiten, in denen die Fachkräfte Schlange standen, sind schlicht vorbei. Allein Vestas hat 150 Stellen für Monteure ausgeschrieben, und die stehen nicht Schlange. Die Geschäftsleitung versteht nicht, dass sie mit dieser Haltung kontraproduktiv vorgeht und sich ins eigene Fleisch schneidet. Dazu werden die Ausbauziele noch mehr Leute nötig machen, und je länger die Stellen offenstehen, desto unattraktiver wird ein Arbeitgeber; das ist bewiesen.

Wir müssen als Politik die Rahmenbedingungen machen; das ist richtig. Das haben wir heute zum Beispiel gemacht, indem wir gesagt haben: Fachkräfteeinwanderung muss gefördert und Weiterbildung muss gestärkt werden. Das haben wir heute beschlossen. Und die Unternehmen der Branche müssen ihren Beitrag dafür leisten. Das hat auch nichts mit Bashing zu tun, ganz im Gegenteil: Ich bin froh, dass wir hervorragende Unternehmen wie Vestas, Siemens, Nordex oder Enercon bei uns in Deutschland haben. Damit das so bleibt, müssen diese Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und sich immer wieder hinterfragen.

Sie merken, das Thema ist mir wichtig: als Energiepolitiker, als Betriebsrat, als Metaller und als Sozialdemokrat. Als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Windenergie habe ich zusammen mit 73 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion am 73. Streiktag einen Brief an Vestas gesendet. Daraufhin begannen die Verhandlungen, die jetzt wieder abgebrochen wurden.

Aber der Appell bleibt der gleiche: Tarife sind eine Chance und helfen Firmen, Leute zu finden, Leute zu halten und besser durch Krisen zu kommen. Lassen Sie uns die Energiewende gemeinsam schaffen: mit guter Bezahlung, mit guten Arbeitsbedingungen für Leute, die ihren Job lieben. Ralf, Sven, Ergin, Elmar, Olli und all die anderen: Bleibt standhaft, bleibt beisammen! Denn gemeinsam ist man immer stärker. Wir stehen an eurer Seite!

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7555930
Wahlperiode 20
Sitzung 113
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Tarifverträge in der Windradbranche
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