Zanda MartensSPD - Bericht: Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Bürokratie ist von einer Tugend zu einem Schrecken geworden; die deutsche Bürokratie ist die Steigerung davon. Landauf, landab wird über sie geschimpft. Wir sind bereits beim vierten Bürokratieentlastungsgesetz, und Bürokratieabbau ist geradezu das rettende Ufer für die Zukunft unserer Wirtschaft. Da muss man doch das Gefühl bekommen: Sie ist einfach furchtbar, die Bürokratie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es ist an der Zeit, auch mal eine Lanze für die Bürokratie zu brechen. Ich befürchte, wir tun ihr ein bisschen Unrecht, indem wir sie so oft mit Bürokratismus verwechseln. Bürokratie beschreibt, wie wichtige Vorgänge im Staat ablaufen müssen. In einer Bürokratie ist alles genau geregelt und streng geordnet. Jeder hat seine klar umschriebene Aufgabe. Kein Mitarbeiter tut etwas, wofür er nicht zuständig ist. Dienstwege werden strikt eingehalten. Jeder Vorgang wird in den Akten genau und lückenlos festgehalten. Jeder weiß seine Rechte und Pflichten gewahrt.
Und seien wir mal ehrlich: Ist das so schlimm? Hat das nicht auch etwas Verlässliches? Gibt es nicht auch Sicherheit, dass bestimmte Regeln gelten, dass alle, ob Menschen oder Unternehmen, sich an Vorschriften halten müssen und der Staat dafür sorgt, dass sie durchgesetzt werden, dass jeder weiß, woran er ist? Wenn wir über unsere Bürokratie so hämisch herziehen, wünschen wir uns dann etwa die Zustände in den autokratischen oder korrupten Ländern herbei, die keine Bürokratie kennen, wo Chaos, Willkür oder die Macht des Geldes herrschen statt klarer Verwaltungs- und Rechtsvorschriften? Eher nicht.
Also, Bürokratie ist nicht per se des Teufels. Nur, wir sind hier im Laufe der Zeit typisch deutschen Übertreibungen erlegen, sodass sich die Bürokratie für uns zur Qual und zum überzogenen Bürokratismus entwickelt hat.
Unsere Welt wird von Jahr zu Jahr komplexer. Es kommen immer neue Anforderungen und Prozesse hinzu, die wir regeln müssen, damit sie ordentlich funktionieren. Was wir dabei versäumt haben, ist ein 360-Grad-Blick auf die bereits bestehenden Regeln. Wir haben zu selten gefragt, ob eine neue Vorschrift nicht vielleicht die bereits geltenden überflüssig macht. Uns hat der Mut gefehlt, vielleicht auch die nötige Fehlerkultur, um auf eine Vorschrift einfach zu verzichten. So wächst der Berg an Vorschriften, die immer detaillierter und komplizierter werden, die sich manchmal sogar widersprechen und keine Möglichkeit mehr zulassen, Fünfe auch mal gerade sein zu lassen.
Dass all diese Anträge und Unterlagen, die unsere Gesetze abverlangen, nicht einmal digital eingereicht werden können, versteht sich ironischerweise fast schon von selbst. So füllen die Aktenordner mit den erforderlichen Genehmigungsanträgen in vielen Unternehmen den Laderaum eines Kleinwagens. Wer mag da noch an die Zukunft unserer Wirtschaft und Industrie glauben?
Was hat denn die Industrie mit Bürokratie zu tun? Sehr viel. Gerade rufen viele Industrieunternehmen sowie die Gewerkschaften IG Metall und IG BCE nach einem Brückenstrompreis. Wie für viele Abgeordnete ist es auch für mich ein wichtiger Anlass, um insbesondere energieintensive Industrieunternehmen zu besuchen, zum Beispiel das BASF-Werk in meiner Stadt Düsseldorf, wo viele Inhaltsstoffe unserer Shampoos, Duschgels und Sonnencremes produziert werden.
Die Geschäftsführung und der Betriebsrat finden einen Brückenstrompreis als Übergangslösung sehr wichtig – als einen Baustein der Lösung. Noch mehr als die Strompreise beschäftigen die Geschäftsführung die langwierigen und unplanbaren Genehmigungsverfahren.
Während die Regeln immer komplexer werden, wird die Personaldecke in den Bezirksregierungen immer dünner. So wartet man statt drei Monate auch schon mal drei Jahre auf eine Genehmigung, ohne die keine Änderungen, Anpassungen oder Verbesserungen in der Produktion vorgenommen werden dürfen. Unternehmen können unter solchen Umständen nur Pi mal Daumen abschätzen, wann ein geplantes Projekt wirklich an den Start gehen und Geld einbringen kann – kein Wettbewerbsvorteil für den Standort Deutschland!
Was wir also tun müssen, ist nicht, die Bürokratie zu verteufeln. Wir müssen vielmehr die geltenden Vorschriften mit kritischem Blick durchforsten und überall dort, wo wir Überflüssiges, Unsinniges, Veraltetes, Widersprüchliches finden, mutig streichen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und wir müssen unsere Behörden und Verwaltungen mit so viel Personal ausstatten, dass die Umsetzung dieser Vorschriften zügig und planbar ist; denn dann würde die notwendige Bürokratie als gar nicht so schlimm auffallen.
Gerade läuft die Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder, in der die Beschäftigten höhere Löhne fordern, aber die Arbeitgeber die Hand noch auf der Tasche lassen. Dabei müssen wir unseren öffentlichen Dienst doch attraktiver machen, um noch mehr Menschen dafür zu begeistern. Bessere Arbeitsbedingungen wären dafür das Zaubermittel. Daher wünsche ich den Kolleginnen und Kollegen viel Kraft und Erfolg und hoffe für uns alle auf einen guten Tarifabschluss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Denn nicht nur wir Abgeordnete, sondern auch und gerade die Beschäftigten sind diejenigen, die aus einem lästigen Bürokratismus eine verlässliche und effektive Bürokratie machen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Kollege Dr. Volker Ullrich hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7603006 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Bericht: Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau |