Carlos KasperSPD - Aktuelle Stunde: Industriestandort Ostdeutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Habe ich das jetzt richtig verstanden? Herr Lehmann setzt sich für ein Atomkraftwerk in Leipzig-Nord ein? Oder wie muss ich das verstehen? Ich hoffe, nicht. Aber vielleicht wäre in Ostsachsen noch Platz, im Wahlkreis des Ministerpräsidenten.
Spaß beiseite! Um was geht es denn in diesen Tagen? Es geht um nicht weniger als um die Zukunft Deutschlands. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind wir alle im Bundestag noch mal aufgefordert worden, zu erklären, was wir eigentlich wollen, wie wir uns Deutschland in Zukunft vorstellen. Wollen wir Deutschland fit für die Zukunft machen? Wollen wir unsere Wirtschaft transformieren und die wichtigen Industriearbeitsplätze hier in Deutschland behalten? Wenn ja, dann müssen wir investieren. – Für meine Fraktion kann ich all diese Fragen klar beantworten: Wir stehen hinter der Industrie, wir stehen hinter den Beschäftigten, und wir stehen auch für Investitionen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nicht wenige dieser Investitionen betreffen eben auch Ostdeutschland. Intel in Magdeburg oder TSMC in Dresden werden die meisten hier kennen. Aber auch die Solarindustrie in Sachsen wartet auf ein klares Signal der Bundesebene.
Die CDU/CSU-Fraktion muss hier klar benennen, was sie will, und das habe ich eben in dieser Debatte nicht gehört. Will sie, dass sich Großunternehmen in Deutschland ansiedeln? Will sie, dass die ostdeutschen Bundesländer endlich die Chance haben, an den Westen aufzuschließen? Eigentlich hat der Fraktionsvorsitzende diese Fragen schon am Dienstag beantwortet: Die CDU/CSU-Fraktion möchte das nicht.
(Sepp Müller [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)
Das allerdings hätte zur Folge, dass die Wirtschaft in Deutschland keine Zukunft hat, dass die Unternehmen in die USA abwandern und unsere Arbeitsplätze gefährdet sind. Das ist das Ziel von Friedrich Merz.
(Stefan Rouenhoff [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrem Kanzler?)
Damit das eben nicht passiert, müssen wir in Deutschland bis 2040 um die 500 Milliarden Euro investieren. Pro Jahr bedeutet das Investitionen von bis zu 45 Milliarden Euro. Schier unglaubliche Zahlen! Das aber verdeutlicht auch noch mal, dass diese Gesellschaftsaufgabe nicht mit Einsparungen beim Bürgergeld oder sonst wo zu bewältigen ist. Es kann daher kein Weg an der Aussetzung der Schuldenbremse vorbeiführen.
(Karlheinz Busen [FDP]: Vergiss es!)
Das sieht zum Glück nicht nur ein Bürgermeister von Berlin so, sondern eben auch die Mehrheit der ostdeutschen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ostdeutschland ist ein starker Industriestandort. Hier wird bereits in die Zukunft investiert.
Nehmen wir zum Beispiel die E-Mobilität. In Zwickau hat sich der Betriebsrat gemeinsam mit dem VW-Konzern dazu entschlossen, das Werk in Zwickau-Mosel als erstes Werk komplett auf E-Autos umzurüsten. In Zwickau glauben die Beschäftigten eben an die Zukunft. Umso mehr ist es ein Skandal, dass sich der selbsternannte Wirtschaftsversteher Friedrich Merz beim Jahresempfang der dortigen IHK letzte Woche hinstellt und sagt: Wir müssen die Verbrenner mehr fördern. – Begleitet wird das dann auch noch von einem wankelmütigen Ministerpräsidenten Kretschmer, der in der Belegschaft mit seinen Aussagen für Unruhe sorgt. Das zeigt vor allem eines: Die Beschäftigten in Zwickau können sich nicht auf die CDU verlassen.
(Beifall bei der SPD – Jens Lehmann [CDU/CSU]: Aber auf die SPD, oder was?)
Friedrich Merz will mit diesem Land zurück in die Zukunft,
(Stefan Rouenhoff [CDU/CSU]: Hat wohl ganz schön wehgetan, was Merz gesagt hat!)
zurück in die 90er-Jahre. Er ist eben ein Mann des vergangenen Jahrtausends.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Lehmann [CDU/CSU]: Oh!)
Allerdings weckt ein Zurück in die 90er-Jahre bei vielen Ostdeutschen ganz schlechte Erinnerungen; denn – es wurde gerade schon angesprochen – das war die Zeit von Massenarbeitslosigkeit, von Unsicherheit, vor allem aber auch von Abwanderung
(Jens Lehmann [CDU/CSU]: Von Rot-Grün war das die Zeit, ja!)
aus den ostdeutschen Bundesländern in die westdeutschen Bundesländer.
Deswegen ist es umso schöner, dass es jetzt eine neue Arbeiterbewegung in Ostdeutschland gibt.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die wählen euch aber nicht!)
Beim Teigwarenwerk Riesa haben die Angestellten für gleiche Bezahlung in Ost und West gestreikt.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihr habt doch schon eine ganze Menge Wähler verloren! Genauso wie im Ruhrgebiet!)
In Dresden gibt es bei Lieferando erstmals einen Betriebsrat.
(Sepp Müller [CDU/CSU]: Gut so!)
Und in Espenhain befinden sich die Angestellten von SRW metalfloat
(Sepp Müller [CDU/CSU]: Überall da, wo die Union regiert!)
mittlerweile seit zwei Wochen in einem unbefristeten Streik. Sie wollen endlich einen Tarifvertrag. Die Angestellten und die IG Metall waren zuletzt am Samstag bei uns auf dem Parteitag der SPD Sachsen. Sie haben davon gesprochen, wie ungerecht ihre Arbeitsbedingungen sind und dass ihnen der Arbeitgeber immer noch die Fortführung der Tarifverhandlungen verweigert und jetzt herumjammert, dass dieser Streik den Betriebsablauf stört. Ja, was denn sonst! Natürlich muss ein Streik den Betriebsablauf stören. Dafür ist ein Streik doch da. Es muss wehtun. Die Arbeitgeber müssen jetzt endlich verstehen, dass die Zeiten von unterschiedlicher Bezahlung in Ost und in West der Vergangenheit angehören.
Herr Kollege, Sie kommen zum Ende, bitte.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ach, das war schon das Ende.
(Katrin Budde [SPD]: Er hört aufs Wort!)
Damit hatte ich jetzt nicht so schnell gerechnet. Mir wird ja nachgesagt, ich sei streng. Aber ich bin gar nicht so streng.
(Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, ja!)
Fünf Minuten sind eben nicht sechs Minuten, das ist so.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7604400 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 141 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Industriestandort Ostdeutschland |