13.12.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 143 / Tagesordnungspunkt 1

Saskia EskenSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Europa.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ein guter Tag, um sich zu entschuldigen!)

Da kann ich mich den Kollegen nur anschließen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Es ist Zeit, sich zu entschuldigen!)

Denn mit Donald Tusk übernimmt ein überzeugter Europäer Verantwortung in Polen, der sich zum Ziel gesetzt hat, die polnische Gesellschaft wieder zu einen. Das ist ein großer Gewinn: für Polen, für seine Nachbarn und Freunde hier in Deutschland und für die Europäische Union.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Vorgängerregierung der PiS hatte mit ihren Angriffen auf die Bürgerrechte das Land gespalten. Das zeigt aktuell der Vorfall im polnischen Parlament, als ein rechtsradikaler Abgeordneter mit einem Feuerlöscher die Kerzen des Chanukka-Leuchters während einer Feierstunde mutwillig gelöscht hat. Wir müssen diesen Hass überwinden, und deshalb ist es gut, dass diese Regierung nun keine Mehrheit mehr hat. Das ist eine gute Nachricht für die Demokratie, ein gutes Signal für den Europäischen Rat und ein gutes Zeichen gegen die Rechtspopulisten in ganz Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Da ist es schon, Herr Merz, ein europapolitischer Offenbarungseid für Ihre CDU, dass Sie kein Wort zum Europäischen Rat verloren haben.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Stimmt doch überhaupt nicht! – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Hat er doch gesagt! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Man muss halt zuhören!)

Denn die Herausforderungen der heutigen Zeit können wir doch nur gemeinsam stemmen, gemeinsam als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, Europas und der Welt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir hatten über lange Jahre und Jahrzehnte wachsenden Wohlstand und sicheren Frieden. Wir hatten stabile Demokratien in Europa für gesetzt gehalten, für selbstverständlich. Doch die Welt hat sich verändert und mit ihr auch die Herausforderungen. Gerade in diesen unsicheren Zeiten müssen wir den Menschen Antworten auf ihre Fragen und auf ihre Sorgen geben, Verlässlichkeit gegen ihre Zweifel. Sie erwarten von uns Sicherheit und erhoffen sich eine Perspektive für ein gutes, ein selbstbestimmtes Leben.

(Stephan Brandner [AfD]: Das sind nur Phrasen, Frau Esken! Unerträglich!)

Und das gilt für alle Menschen – für alle Menschen in Europa und hier in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es gilt für die, die hier geboren sind, ebenso wie für die, die hier ein neues Zuhause gefunden haben, und das unabhängig von ihrer Herkunft und unabhängig von ihrem Glauben. Mit der Anwerbung von Menschen aus der Türkei vor mehr als 60 Jahren, mit der Zuwanderung vieler Menschen unterschiedlichster Nationalitäten und Glaubensrichtungen sind wir ein vielfältiges Land geworden. „ Der Islam gehört zu Deutschland.“ So haben das Wolfgang Schäuble und Bundespräsident Wulff treffend formuliert. Heute formuliert die CDU das anders. Sie sagt: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das denn falsch? – Stephan Brandner [AfD]: Die CDU lernt dazu!)

Ich finde das beachtlich, Herr Merz; denn ich frage mich: Ist für Sie schon völlig klar, um welche Werte es sich da handelt? Und sind auch die Menschen anderer Glaubensrichtungen davon betroffen, dass sie nur unter bestimmten oder eher unbestimmten Bedingungen zu diesem Land gehören?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Projekt 10 Prozent, Frau Esken!)

Die vielen Millionen Muslime und muslimisch gelesenen Menschen in Deutschland, die unser Land mit aufgebaut haben, die das jeden Tag tun, fragen sich jetzt schon, ob sie eigentlich noch dazugehören.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Aber die teilen doch unsere Werte! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie nur so weiter!)

Dabei wäre es so wichtig, dass wir Zugehörigkeit und Zusammenhalt der Menschen stärken, die in Deutschland und Europa zusammenleben; denn dieser Zusammenhalt macht unsere Demokratien stark.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Mit Zusammenhalt kennt ihr euch ja aus!)

Auch die soziale Sicherheit, Herr Merz, stärkt die Demokratie. Doch die Debatte über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltspraxis hat erhebliche Unsicherheit in unser Land gebracht; denn diese Debatte wird zu einer Kampagne gegen den Sozialstaat missbraucht, von dem doch alle Menschen in Deutschland profitieren und nicht etwa, Herr Merz, die SPD-Fraktion.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Der Parteitag war letztes Wochenende!)

Denn er schützt die, die ihn brauchen, und den anderen gibt er Sicherheit. Dabei befasst sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in keinster Weise mit dem Sozialstaat, sondern mit der Schuldenbremse und mit der Ausnahme davon. Ja, diese neue Interpretation der Schuldenbremse ist unerwartet restriktiv.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber die Aufgabe ist lösbar, und wir haben sie gelöst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das war mit Ansage!)

Wir mussten klären, wie wir die Bewältigung der aktuellen, weiter andauernden Krisensituation, insbesondere die Unterstützung der Ukraine, mit der Modernisierung unseres Landes und mit dem sozialen Zusammenhalt vereinbaren können; denn nichts davon wollen und dürfen wir aufgeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei ist es eminent wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger, dass die Unternehmen, dass die Beschäftigten ebenso wie unsere Partner in der Welt darauf vertrauen können, dass die Zusagen dieses Staates gelten.

(Zuruf von der AfD: Können sie aber nicht!)

Der offene Versuch von CDU und CSU, in extrem unsicheren Zeiten für Deutschland und Europa einen Bruch der Regierung und Neuwahlen herbeizureden, ist gescheitert, Herr Merz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gescheitert seid ihr! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Getroffene Hunde bellen!)

Es ist gut, dass die Ampel in diesen Zeiten unter der Führung der SPD Verantwortung für dieses Land trägt. Klar ist für uns: Wir wollen und wir werden die Ukraine weiterhin unterstützen, mit allem, was sie braucht, und so lange es dauert. Wir werden auch weiterhin schutzsuchende Menschen aus der Ukraine aufnehmen und bei uns versorgen.

(Beifall bei der SPD)

Derzeit stemmen wir die Unterstützung der Ukraine aus dem Haushalt. Für den Fall des Eintritts einer weiteren Verschärfung der Lage haben wir jedoch vereinbart, die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu ziehen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir stehen an der Seite der Ukraine ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig sind wir als Ampel angetreten, unser Land zu modernisieren, die Infrastruktur zu erneuern und zukunftsfähig auszubauen, klimaneutral umzubauen, wie wir wirtschaften, wie wir leben, und dabei Menschen und Wirtschaft nicht allein zu lassen. Das alles schaffen wir nur mit einer strategischen, einer aktiven Industriepolitik; denn uns ist es nicht egal, wo die Halbleiter gebaut werden, wo der Wasserstoff erzeugt wird; und es ist uns auch nicht egal, ob die Industriearbeitsplätze in der Stahlindustrie erhalten bleiben.

(Beifall bei der SPD)

All das müssen wir nun unter veränderten Bedingungen finanzieren. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, Ausgaben zu priorisieren, ja. Aber wir werden nicht die Gestaltung unseres Landes aufs Spiel setzen, und wir sind auch nicht bereit, Menschen, die auf das Bürgergeld, das Wohngeld oder das BAföG angewiesen sind, für den Krieg bezahlen zu lassen oder die Menschen mit kleinen Löhnen und kleinen Renten dafür bezahlen zu lassen, dass dieses Land eine gute Zukunft hat; denn dann ist es keine gute Zukunft.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es um die Staatsfinanzen geht, dann wird gerne von Generationengerechtigkeit gesprochen. „ Wir dürfen den Kindern und Enkeln keine Schulden hinterlassen“, heißt es dann. Wir wollen unseren Kindern ein Land hinterlassen, in dem Frieden und Wohlstand herrschen, in dem Klimaschutz, Artenschutz und der Schutz der Menschen vor den Folgen des Klimawandels auch gelingen und in dem der soziale Zusammenhalt gewahrt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ja, die Aufgaben, die wir uns vorgenommen haben, sind gewaltig; doch wenn es einfach wäre, Herr Merz, dann könnten es auch andere machen. Ich bin sehr froh, dass die Ampel, diese Zukunftskoalition, die Kraft aufgebracht hat, den gordischen Knoten beim Haushalt durchzuschlagen. Jetzt werden wir den Menschen die Zuversicht geben, die sie verdient haben, nämlich dass eine gute Zukunft möglich ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Wort hat jetzt Alexander Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7604792
Wahlperiode 20
Sitzung 143
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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