Gunther KrichbaumCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, man kann Ihnen nicht nachsagen, dass Sie Ihre Rede heute mit zu viel Pathos gehalten hätten; vielmehr war sie als Barbiturat verschreibungspflichtig. Die Rede eines glühenden Europäers war das jedenfalls nicht.
Es ist zunächst richtig, dass wir die Ukraine weiter unterstützen müssen. Das wäre ganz einfach, aber heute Morgen wurde abermals im Auswärtigen Ausschuss und in den mitberatenden Ausschüssen – im Verteidigungsausschuss und im Europaausschuss – unser Antrag zur Unterstützung der Ukraine abgesetzt, in dem wir fordern, dass Taurus-Raketen endlich geliefert werden. Wir wissen, woran das hier im Hause scheitert. Aber die Ukraine braucht diese Waffen dringend, damit sie hinter und in den feindlichen Linien wirken können; sonst gehen der Ukraine irgendwann die Soldaten aus. Man sollte das vielleicht mal übersetzen: Vor dem Ukrainekrieg lag das Durchschnittsalter in der ukrainischen Armee bei 22 Jahren. Heute sind es 43 Jahre. Alleine diese Zahl sagt sehr viel über den Verlauf des Krieges.
Herr Bundeskanzler, Sie beklagen den Zustand langer Beitrittsverfahren, aber Sie sagen nicht, wie die Lösung aussehen soll. Zunächst ist richtig, dass wir mit Serbien, mit Montenegro bereits länger als zehn Jahre verhandeln. Im Falle von Albanien oder auch der Ukraine wird das kaum anders aussehen; denn die europäischen Verträge sehen kein Fast-Track-Verfahren vor. Wenn man die Verträge ändern will, dann kann ich gleich „gute Reise“ wünschen. Die letzte große Vertragsänderung auf europäischer Ebene dauerte zehn Jahre – das war der Vertrag von Lissabon.
Wir müssen im Hinblick auf die Balkanländer auch aufpassen, dass wir hier keine zweierlei Tarife schaffen. Aber wichtig wäre doch dann, eine Lösung zu präsentieren. Wir brauchen eine Änderung der sogenannten Methodologie, will heißen, dass wir in Zukunft Beitritte schrittweise vollziehen müssen. Fangen wir doch mit der GASP, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, an – das wäre ein abgrenzbarer Bereich –, natürlich ohne Stimmrecht für die beitrittswilligen Staaten, aber mit einem deutlichen Signal, dass sie dazugehören. Und wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, lasst uns ihnen doch den Status eines assoziierten Mitgliedes geben. Das ist eine deutliche Botschaft in Richtung China, in Richtung Russland oder – mit Blick auf Bosnien-Herzegowina – in Richtung mancher arabischen Staaten. Das wäre zum Beispiel ein wichtiges Signal und ein Vorschlag, wie wir in Zukunft agieren können.
Herr Bundeskanzler, Sie beklagen auch den Blockadezustand, die Blockadepolitik insgesamt. Das ist in der Analyse zunächst richtig. Dennoch wird abermals kein Vorschlag präsentiert, wie diese zu lösen sind. Was ist der Hintergrund? Länder, die bereits Mitglied der Europäischen Union sind, stellen bilaterale Forderungen – meistens gegenüber Nachbarländern, die erst noch Mitglied der Europäischen Union werden wollen – und missbrauchen diese als Faustpfand. Wie könnte eine Lösung aussehen? Es könnte im Europäischen Rat mit Mehrheit entschieden werden, ob eine solche Frage tatsächlich bilateraler Art ist oder auf europäischer Ebene anzusiedeln ist. Und wenn das Letztere zutrifft, dann muss man das in der Tat klären. Aber für das Erstere gibt es Schiedsverfahren, die beispielsweise auch zwischen Kroatien und Slowenien – Stichwort „Bucht von Piran“ – damals stattgefunden haben.
Diese Forderungen müssen wir umsetzen; sonst kommen wir in der Sache Ungarn gegenüber der Ukraine – da geht es um die ungarische Minderheit – oder Griechenland gegenüber Albanien keinen Zentimeter voran – und Bulgarien, Nordmazedonien lassen grüßen.
Ich würde es auch begrüßen, wenn noch ein klärendes Wort zum Schengenraum gesagt würde; denn Rumänien und Bulgarien müssen nun endlich auch Mitglieder des Schengenraums werden.
Eigentlich sind Krisen die Stunde der Regierung, außer es sind die eigenen, dann sieht die Welt anders aus. Aber wir brauchen ein starkes Deutschland, damit wir zusammen mit Frankreich wieder den Lead übernehmen in der Europäischen Union, damit wir wieder zum Motor werden in der Europäischen Union, damit es wieder vorangeht.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Dr. Anton Hofreiter das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7604804 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |