Armin LaschetCDU/CSU - 5. Jahrestag des Vertrages von Aachen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, Frau Staatsministerin, war das ein bedeutender Vertrag. Und es gibt Fortschritte – Sie haben einige erwähnt –: die grenzüberschreitenden Projekte von Rheinland Pfalz und Grand Est und was auch immer. Nur, das ist ein bisschen wenig, wenn man das deutsch-französische Verhältnis in diesen Tagen analysiert.
Man muss sich nur mal vor Augen führen, warum der Aachener Vertrag nach dem Élysée-Vertrag von 1963 plötzlich auf der Tagesordnung war. Es ging zurück auf eine Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Sorbonne; das war zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl am 24. September 2017. Da hat Deutschland erst mal viel zu spät geantwortet, gar nicht richtig reagiert auf diesen fundamentalen Vorschlag zur Veränderung der Europäischen Union. Das lag an der deutschen Innenpolitik. Wir hatten gerade die Bundestagswahl. Dann wurde Jamaika verhandelt. Dann hat der große deutsche Philosoph Christian Lindner gesagt: Lieber nicht regieren, als falsch regieren.
(Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])
– Ich habe Sie als Philosophin vergessen, Frau Strack-Zimmermann. Das ist wahr. – Dann wurde das wieder verschoben. Dann kam im März 2018 die neue Große Koalition unter Angela Merkel zustande. Und dann hat man in Meseberg gesagt: Ja, wir werden den Élysée-Vertrag überarbeiten.
Man hat es dann in sehr kurzer Zeit – in einem halben Jahr – geschafft, den Aachener Vertrag auf den Weg zu bringen, und das alles im Lichte der damaligen geopolitischen Situation. Wir waren mitten im Brexit-Austrittsprozess, wollten Europa darauf vorbereiten, was denn jetzt passieren muss.
Wir hatten gleichzeitig einen amerikanischen Präsidenten, Trump, der den französischen Präsidenten immer wieder dazu gebracht hat, zu sagen: Wir brauchen eine europäische Souveränität. Wir müssen jetzt, wenn wir die weltpolitische Lage, die europapolitische Lage sehen, als Europäer handlungsfähig werden. – Im Gegensatz zum Élysée-Vertrag hat der Aachener Vertrag viele sehr konkrete Punkte, bei denen man in der Jetztzeit enger zusammenarbeiten will.
Wenn man das als Ausgangslage nimmt und wenn man jetzt sieht, dass in den Vereinigten Staaten in wenigen Monaten erneut eine Ablösung von der NATO, von Europa, von der Westbindung hin zu einer isolationistischen Politik folgen könnte, dann ist es zu wenig, zu sagen: Ja, wir arbeiten gut zusammen zwischen Rheinland-Pfalz und Grand Est. – Dann brauchen wir jetzt substanzielle Antworten auf die Krisen, die es in Europa gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Reform und Erweiterung haben Sie erwähnt. Ja, okay; man hat jetzt beschlossen, die Ukraine soll Mitglied werden, Moldau soll Mitglied werden, Georgien soll Mitglied werden, die fünf Balkanstaaten sollen in absehbarer Zeit Mitglied werden.
(Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sechs, Herr Kollege!)
Aber wie soll das denn gehen ohne eine Reform der Europäischen Union? Wie soll das gelingen ohne eine Reform der Mechanismen?
Wir haben bei der Osterweiterung schon damals in Nizza Europa vorbereiten wollen. Man hat es nicht gemacht. Wir haben heute 27 Mitglieder und merken jetzt: Ein Einziger kann Nein sagen, und es bewegt sich nichts. – Das sind keine deutsch-französischen Vorschläge dafür, wie es denn jetzt weitergehen soll.
(Christian Petry [SPD]: Da sind doch welche dabei! Haben Sie denn die Vorschläge überhaupt gelesen?)
Es gibt geradezu ein Desinteresse, insbesondere des Bundeskanzlers, an diesem deutsch-französischen Zustand, den wir haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Christian Petry [SPD]: Herr Laschet, Sie haben die Vorschläge nicht gelesen!)
Es kommen einem ja die Tränen. Wir haben in diesen Tagen Jacques Delors gewürdigt. Da sitzen Mitte der 80er-Jahre Helmut Kohl, François Mitterrand und der EU-Kommissionspräsident Jacques Delors zusammen und sagen: Wir machen einen Binnenmarkt, wir führen Schengen ein, wir gründen die Europäische Union neu, wir machen eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. – Von dieser Dynamik, die es damals gab, profitieren wir bis heute.
(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])
Doch davon ist nichts zu spüren. Es ist nichts zu spüren von neuen Ideen. Gerade beim Klimawandel, bei der Energiewende, dem russischen Angriffskrieg, bei allen Herausforderungen, die wir im Moment erleben, gibt es keine abgestimmte deutsch-französische Position.
Das ist nicht nur meine Meinung. Gestern hat die Stiftung Genshagen eine umfassende Analyse vorgelegt, in der sie genau darauf hinweist, wo jetzt bei der Außen- und Sicherheitspolitik mehr gemacht werden muss.
Wie ist denn unsere Antwort auf die Zeitenwende? Da werden ein paar Projekte gemacht, manche unabgestimmt mit Frankreich, manche mit den USA, manche ohne die USA. Es gibt nicht das, was jetzt erforderlich wäre: eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit.
Der Fraktionsvorsitzende Merz war ja vor wenigen Tagen beim französischen Präsidenten. Der wirbt immer noch – er hat gerade in Davos wieder geworben –, er wirbt geradezu um uns Deutsche, dass wir diese Schritte gemeinsam gehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn wir Bilanz ziehen, sehen wir: Das Einzige, was passiert ist, ist der große Akt, den Emmanuel Macron und Angela Merkel mit dem „NextGenerationEU“-Konzept gemacht haben, –
Kommen Sie zum Schluss, bitte.
– wo man nach der Pandemie 750 Milliarden Euro akquiriert hat, um Europa eine neue Dynamik zu geben und auch die anderen Mitgliedstaaten hinzuzunehmen.
(Christian Petry [SPD]: Das ist jetzt Geschichtsklitterung, Herr Laschet!)
Das ist die letzte Initiative in diesen fünf Jahren.
Es ist alles schön, was im Kleinen passiert, aber die Vorbereitung auf den November dieses Jahres, auf eine Entscheidung in den USA, die uns gravierend treffen wird, muss jetzt in Europa passieren. Deshalb wünsche ich mir, dass dieser Geist des Aachener Vertrags, sich in allen außenpolitischen Fragen gemeinsam abzustimmen – ich könnte eine lange Liste nennen, wo das nicht stattfindet, wo hier was entschieden wird, und in Paris liest man es in der Zeitung –, dass das aufhört und eine neue Dynamik entsteht. Das sollte der Appell sein. Nicht nur feiern, was gut war, sondern die Defizite benennen und besser werden!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Die Union kann mir mitteilen, welcher Redner von Ihnen auf eine Minute Redezeit verzichten muss.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Aydan Özoğuz, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Georg Link [Heilbronn] [FDP])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7605577 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 147 |
Tagesordnungspunkt | 5. Jahrestag des Vertrages von Aachen |