Lennard OehlSPD - Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieso sind die Deutschen im internationalen Vergleich eigentlich so kapitalmarktscheu? Mit dieser Frage beschäftige ich mich auch regelmäßig im Finanzausschuss; denn für viele Deutsche heißt Geldanlegen zunächst einmal, zum Sparbuch zu greifen. Spätestens seit der Niedrigzinsphase ist das wenig rentabel. Ihnen entgeht dadurch die Chance, von den jüngsten Erfolgen des Kapitalmarkts profitieren zu können. Das hat verschiedene Gründe, wobei drei für mich besonders herausstechen: fehlende Ersparnisse, mangelnde finanzielle Bildung und vor allem das geringe Vertrauen in den Kapitalmarkt selbst.
Wir haben da als Koalition an vielen Punkten bereits angesetzt. Zunächst müssen Menschen überhaupt in die finanzielle Lage versetzt werden, sparen zu können. Wir haben im letzten Jahr mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz den Berechtigtenkreis für die Arbeitnehmer-Sparzulage deutlich erweitert, um damit mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von staatlichen Förderungen profitieren zu lassen. Für uns Sozialdemokraten spielt vor allem die Erhöhung des Mindestlohnes eine entscheidende Rolle. Wir arbeiten auch weiter an besseren Tarifverträgen. Das sind für uns zentrale Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Einkommen sich deutlich erhöhen und die Menschen mehr Möglichkeiten haben, zu sparen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Außerdem haben das Finanzministerium und das Bildungsministerium die gemeinsame Initiative Finanzielle Bildung ins Leben gerufen, die durch verschiedene Projekte generationsübergreifend die Finanzbildung fördern soll.
Es bleibt lediglich das mangelnde Vertrauen der Bürger in den Kapitalmarkt. Besonders die Finanzkrise 2007 und 2008, aber auch prominente Einzelbeispiele wie die T-Aktie und in jüngerer Vergangenheit Wirecard – sie sind genannt worden – haben viele Privatanleger geschädigt und sich gewissermaßen in das nationale Gedächtnis eingeprägt. Vertrauen bildet sich nur mit glaubwürdiger Regulierung. Spätestens seit der Finanzkrise haben wir die Standards für Anlageberatung deutlich erhöht. Dazu zählen transparente Informationspflichten, Kenntnisse und Risikoüberwachung, aber auch Überprüfungen, die den Anleger oder die Anlegerin vor individuell riskanten Investitionen schützen sollen.
Vertrauen bildet sich aber auch durch höhere Rechtssicherheit, und da setzt das Musterverfahren für geschädigte Anleger an. Anlegerinnen und Anleger, die aufgrund von falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformationen Verluste erlitten haben, können bereits seit 2005 in einem Musterverfahren klagen. Dazu reichen mindestens zehn Geschädigte. Dann kann das Verfahren eingeleitet werden, was, so möchte man hoffen, zu einer deutlichen Aufwandsreduzierung führt. Das Beispiel ist genannt worden: Im Jahr 2000 hat ein bekanntes deutsches Unternehmen mit magentafarbenem Logo mit Prospekten, die schwerwiegende Fehler enthielten, für seine Aktie geworben. Damals reichten bis zu 16 000 Aktionäre Klage ein. Der Aufwand von Massenklagen ist durch das Musterverfahren deutlich reduziert worden. Ohne eine gesetzliche Anpassung – es ist angesprochen worden – gälte dies nicht mehr.
Mit der Reform des Gesetzes wollen wir nicht nur die Fristen verlängern, sondern auch das Musterverfahren dauerhaft etablieren. Mit der Reform passen wir das Gesetz vor allem dem heutigen Kapitalmarkt an, der sich seit der letzten Reform im Jahr 2012 deutlich verändert hat. So sieht die Reform vor, dass das Musterverfahren zukünftig auch bei Schadensansprüchen im Zusammenhang mit Kryptowerten angewendet werden kann, ein Markt, der stark wächst und eine hohe Schadensanfälligkeit insbesondere für unerfahrene Anleger hat. Zugleich entbürokratisieren, digitalisieren und beschleunigen wir den Prozess, indem wir unter anderem die Zahl der Verfahrensbeteiligten reduzieren. Es müssen zukünftig auch nicht mehr alle Geschädigten vor Gericht erscheinen, sondern es reicht ein Musterkläger, damit das Verfahren beginnen kann.
Insgesamt ist diese Entfristung sehr zu begrüßen. Ich bin sicher, dass wir die parlamentarischen Beratungen zu dem Gesetzentwurf konstruktiv begleiten werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Oehl. – Damit schließe ich die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7609693 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 163 |
Tagesordnungspunkt | Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes |