26.04.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 23

Nadine RufSPD - Freiwilligen-Teilzeitgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Es gibt diese eine Frage, vor der sich viele Schülerinnen und Schüler mehr fürchten als vor dem Entzug digitaler Endgeräte: Was willst du nach dem Schulabschluss machen?

Viele junge Menschen wissen nicht gleich, welche Ausbildung, welcher Beruf zu ihnen passt, und das ist völlig okay. Jährlich engagieren sich in Deutschland – wir haben es schon gehört – etwa 100 000 Menschen in den gesetzlichen Freiwilligendiensten. Sie lesen Kindern vor, kümmern sich um ältere Menschen, organisieren die nächste Party im Jugendklub und arbeiten im Krankenhaus.

Und es zeigt sich ganz deutlich: Freiwilligendienste verbessern das Image von Jobs im sozialen und pflegerischen Bereich; das haben mir viele Freiwillige übereinstimmend bestätigt. Ein kirchlicher Träger aus meinem Wahlkreis hat mir berichtet: Freiwillige, die ein FSJ oder einen Bundesfreiwilligendienst in der Altenpflege absolviert haben, gehen im Anschluss zu über 65 Prozent in die Altenpflegehelfer- oder die dreijährige Pflegeausbildung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen dringend mehr Personal im sozialen Bereich; darüber reden wir alle ganz oft. Freiwilligendienste ermöglichen es jungen Menschen, in diese Berufe reinzuschnuppern, und viele merken, dass sie genau dort richtig aufgehoben sind. Auch deshalb sind Freiwilligendienste ein riesiger Gewinn für unser Land.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Trotzdem ist mir wichtig zu betonen: Freiwilligendienste sind keine Berufsberatung. Sie sind vielmehr eine ganz besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements und stärken den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Sie sind Lern- und Bildungsangebot, gehören zum Fundament unserer Demokratie; denn es kommen im Freiwilligendienst ganz unterschiedliche junge Menschen zusammen: die, die noch suchen, aber auch die, denen schon klar ist, dass sie BWL oder Jura studieren werden. Diese Menschen entscheiden sich bewusst dafür, ein Jahr Freiwilligendienst zu leisten, weil sie ihren Horizont erweitern wollen. Und ich behaupte: Es prägt sie nachhaltig, wenn sie mit Menschen mit anderen Lebenserfahrungen und anderen Lebenswegen zusammenarbeiten.

Ich weiß, wie engagiert und sozial die meisten jungen Menschen sind. Ich sehe es täglich bei meinen drei Töchtern und ihren Freundinnen und Freunden. Ich habe eine Studie der Ruhr-Uni Bochum gelesen. Sie kommt sogar zu noch besseren Zahlen als denen, die Frau Fester eben zitiert hat: Zwischen 68 und 73 Prozent der jungen Menschen engagieren sich ehrenamtlich, und fast zwei Drittel davon tun es regelmäßig. Daher sollte niemand behaupten, dass wir junge Menschen zum Pflichtdienst drängen müssten. Die Zahlen, die ich gerade genannt habe, sprechen eine andere Sprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen keinen Zwang. Wir brauchen ein Recht auf einen attraktiven Freiwilligendienst und mehr Wertschätzung für ehrenamtliches Engagement.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!)

Um diese Wertschätzung für die Freiwilligendienstleistenden auszudrücken, brauchen wir mehr finanzielle Mittel im System – das haben wir auch schon gehört –, aber auch rechtliche Verbesserungen. Deswegen steht heute das Freiwilligen-Teilzeitgesetz zur Abstimmung. Es wird eine Mobilitätspauschale eingeführt, der Dienst in Teilzeit vereinfacht, und die Taschengeldobergrenze wird angehoben – wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, die wir nun umsetzen.

Aber warum sollten Freiwillige die Möglichkeit haben, ihren Dienst in Teilzeit zu absolvieren? Dafür gibt es mehrere überzeugende Gründe. Einen Teil haben wir schon gehört. Unter jungen Menschen nehmen mentale Erkrankungen zu.

(Zuruf von der AfD: Corona!)

Aktuell erkranken etwa 3 bis 10 Prozent aller Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren an einer Depression. Der Übergang von der Schule ins Berufsleben setzt viele aus sehr unterschiedlichen Gründen unter enormen Druck.

Aber auch der Wunsch, dazugehören zu wollen, belastet junge Menschen. Durch einen Teilzeitdienst hätten diese Jugendlichen ausreichend Zeit, psychologische Hilfe und andere Unterstützung in Anspruch zu nehmen und dennoch einen Freiwilligendienst leisten zu können, der sie auch in ihrer Selbstwirksamkeit fördert und stärkt. Und das hilft!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch diejenigen mit einem zeitintensiven Hobby, beispielsweise als Übungsleiterin im Sport oder in einem Jugendverband, haben jetzt die Chance, beides miteinander zu vereinbaren: ihr privates freiwilliges Engagement und die Möglichkeit, Freiwilligendienst in Teilzeit zu leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz setzen wir ein wichtiges Zeichen. Wir stellen die Bedürfnisse und die Lebensrealität junger Menschen in den Mittelpunkt und orientieren uns an dem, was sie brauchen und wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber es gibt noch viel zu tun.

Unser Ziel lautet: Jeder, der einen Freiwilligendienst leisten möchte, muss ein attraktives Angebot erhalten, unabhängig vom Elternhaus oder vom Schulabschluss. Dazu müssen wir die Freiwilligen von den entstehenden Mobilitätskosten entlasten und für ein ausreichendes Taschengeld sorgen, das ihnen ein angemessenes Leben ermöglicht. Die Integration der Freiwilligendienste in das BAföG, also ein sogenanntes FreiFöG, ist meiner Meinung nach eine sehr vielversprechende Option. Aber auch die Träger brauchen Unterstützung und mehr Planungssicherheit; auch das haben wir gehört.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns heute den ersten Grundstein für ein Recht auf einen Freiwilligendienst legen, damit Schülerinnen und Schüler keine Angst mehr haben müssen vor der Frage: Und, was machst du nach dem Schulabschluss? Denn in Zukunft haben hoffentlich alle die Chance, zu sagen: Na, Freiwilligendienst natürlich!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kollegin Ruf, Ihnen ist etwas gelungen, was nur sehr wenigen Abgeordneten in ihrer ersten Rede gelingt, nämlich in der verabredeten Redezeit zu bleiben und alles zu sagen, was Sie sich vorgenommen haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Ina Latendorf [Die Linke])

Das Wort hat die Kollegin Gökay Akbulut für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7610824
Wahlperiode 20
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Freiwilligen-Teilzeitgesetz
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