Daniela De RidderSPD - Ausnahme beim Mindestlohn ausländischer Erntehelfer
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Statt Polemik doch lieber ein paar Fakten: Im Jahr 2023 waren in Deutschland 876 000 Arbeitskräfte in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau beschäftigt. Von diesen Beschäftigten waren 243 000 Saisonarbeitskräfte; das ist rund ein Drittel. Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter sind tatsächlich nur für einen begrenzten Zeitraum tätig. Ihre Arbeit wird nicht das ganze Jahr über ausgeübt und hat daher saisonalen Charakter. Diese Saisonalität hängt entweder vom Wetter oder vom Kaufverhalten ab. Ganz simpel gesagt: Im Winter wird kein Spargel gestochen und im Sommer kein Silvesterfeuerwerk verkauft.
In Deutschland kommen Saisonarbeiter/-innen überwiegend aus Polen, Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Sie nutzen die Freizügigkeit innerhalb der EU. Die von Saisonarbeitskräften geleistete Arbeit ist in unseren grünen Betrieben unabdingbar, wenn wir die Ernährung unserer Bevölkerung sicherstellen wollen. Dabei handelt es sich häufig um harte körperliche Arbeit. Der gesetzliche Mindestlohn gilt für alle Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau gleichermaßen, für ausländische wie auch für inländische Beschäftigte. Aktuell – für die, die es nicht wissen – beträgt dieser Mindestlohn 12,41 Euro. Ab 1. Januar des kommenden Jahres wird er auf 12,82 Euro steigen.
(Matthias W. Birkwald [Die Linke]: Viel zu wenig!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Saisonarbeitskräfte sind nicht zu beneiden; denn Saisonarbeit findet nicht selten unter prekären Bedingungen statt. Hierzu gehören insbesondere extrem kurze Kündigungsfristen, eine mögliche Ausdehnung der Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden täglich – das ist wirklich bitter –, hohe Unterbringungskosten,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei harter Arbeit!)
die oft vom Lohn abgezogen werden, Beschäftigung ohne langfristige soziale Absicherung, Bezahlung oft erst am Ende der Saison und oft die faktische Unterschreitung des Mindestlohns. Das ist nicht gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Das macht die Gewerkschaft IG BAU deutlich, die dankenswerterweise dieses Thema immer wieder auf die Agenda setzt.
Es ist gut, dass die Minister Hubertus Heil und Cem Özdemir bei ihren jeweiligen Ministerien zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit Vermittlungsabsprachen mit Georgien und der Republik Moldau getroffen haben, um die Arbeitsbedingungen für Saisonarbeitskräfte zu verbessern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wie hoch ist denn da der Mindestlohn?)
Ebenso wichtig ist es, dass die IG BAU gleichzeitig die transnationale Zusammenarbeit fördert und mit den jeweiligen Gewerkschaften in Polen, Bulgarien und Rumänien Kooperationsabkommen für die Saisonarbeit abgeschlossen hat.
(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mit ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, strebt die AfD nun die drastische Reduktion oder gar die De-facto-Abschaffung des Mindestlohns für ausländische – das betont sie ausdrücklich – Saisonarbeiterinnen und -arbeiter beim heimischen Obst-, Gemüse-, Wein- und Hopfenanbau an. Sie will mit ihrem Antrag eine neue Form der Tagelöhnerschaft kreieren; denn eine Absenkung des Mindestlohnes würde den ausländischen Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern, so die AfD wörtlich, „nicht schaden, da diese ja nach wie vor frei darüber entscheiden können, ob sie und zu welchem Lohn sie eine Arbeitsstelle annehmen“ wollen. Auch seien sie frei, jederzeit diese Löhne zu verhandeln. Ein klein wenig zynisch sind Sie schon, nicht wahr?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Bernd Schattner [AfD])
Der AfD-Antrag ist für beide Seiten schädlich. Er ist schädlich für die ausländischen Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, denen Sie aufbürden, so wie in der Großen Depression in den USA der 1930er-Jahre am Straßenrand stehend zu Dumpingpreisen ihre Arbeitskraft anzubieten.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Realitätsfern, was Sie da erzählen!)
Und er ist schädlich für unsere Landwirte, weil sie mit jedem Einzelnen und vermutlich sogar täglich neu den Lohn verhandeln müssen. Glauben Sie also wirklich, dies dient der Erleichterung unserer Obst- und Gemüsebauern oder unserer Winzer? Ich frage mich, in welcher Realität Sie leben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Ihre Vorschläge, mehr noch Ihre Haltung und Ihr Menschenbild sind so weit weg von unserer landwirtschaftlichen Praxis, dass ich glatt versucht bin, Ihnen vorzuschlagen: Machen Sie doch mal ein Praktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb!
(Abg. Frank Rinck [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Gehen Sie in den Gartenbau! Arbeiten Sie bei einem Winzer! Sie werden sehen: Das hat mit der Realität, die Sie dort vorfinden, nichts zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Möchten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD zulassen, Frau Kollegin?
Ihre Forderungen erinnern an vormoderne Zeiten und vernachlässigen zugleich den europäischen Binnenmarkt.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Zeit ist um!)
Aber Sie wollen ja kein Europa. Das machen Sie deutlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wilfried Oellers hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7613235 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 177 |
Tagesordnungspunkt | Ausnahme beim Mindestlohn ausländischer Erntehelfer |