Michael Theurer - Aktuelle Stunde: Kappung von Bahnverbindungen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Das Thema der heutigen Debatte ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Wir debattieren über eine Berichterstattung im „Spiegel“, die man durchaus als reißerisch bezeichnen kann. Eine solche Berichterstattung mag die Auflagen erhöhen; als Grundlage für eine lösungsorientierte Politik, für eine lösungsorientierte Debatte eignet sie sich aber nur bedingt.
Zu den Fakten. Nach Angaben der DB Fernverkehr wurde in einer mündlichen Anhörung der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde für die Trassenentgelte bezweifelt, dass die Erhöhung dieser Trassenentgelte Auswirkungen auf das Angebot im Fernverkehr haben kann. Es wurde um schriftliche Stellungnahme gebeten. Die DB hat dann im Februar in einem explizit als Geschäftsgeheimnis bezeichneten Schreiben dargelegt, dass im eigenwirtschaftlichen Fernverkehr – das Angebot wird ja im Fernverkehr nicht mit staatlichen Zuschüssen unterstützt – manche Verbindungen nur knapp über der Wirtschaftlichkeitsgrenze liegen und dass Trassenpreiserhöhungen dazu führen könnten, dass das Angebot ausgedünnt wird. Ein kleiner Teil dieser Strecken führt teilweise auch durch Ostdeutschland. Es wäre also durchaus möglich, dass durch Trassenpreiserhöhungen seitens der DB zum Beispiel fünf statt sechs Züge pro Tag fahren würden. Dies könnte gleichzeitig eine Chance für Wettbewerbsunternehmen darstellen. So hat ja einer der Wettbewerber erklärt, dass er als Antwort auf die Trassenentgelterhöhungen mehr Verkehr in den Markt bringen möchte.
Meine Damen und Herren, schon im April hat die Deutsche Bahn mit dem Fahrplan für das nächste Jahr geklärt, dass es zu keinen Streichungen kommt. Es war also viel Lärm um nichts; die Berichterstattung hätte gar nicht stattfinden müssen. Schon die Überschrift – „Bahn plant offenbar, Fernzüge zu streichen – besonders im Osten“ – ist also zumindest irreführend. Das Schreiben lag dem „Spiegel“ nach eigener Aussage auch gar nicht vor, sondern es sei ihm nur zur Kenntnis gelangt. Zweitens wurde im Artikel eine Strecke genannt, die in der Stellungnahme an die Bundesnetzagentur überhaupt nicht enthalten ist. Drittens wurde behauptet, das trete mit dem nächsten Fahrplan in Kraft, was auch nicht der Fall ist. Meine Damen und Herren, die „Spiegel“-Gruppe schreibt auf ihrer Homepage unter der Überschrift „Verantwortung für unsere demokratische Gesellschaft“ – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
„Gerade in einer Zeit, in der die Wahrhaftigkeit von Medien in Zweifel gezogen wird, sind wir uns unserer Verantwortung als unabhängige Instanz bewusst. Glaubwürdigkeit ist unser größtes Gut.“
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir brauchen verantwortungsvollen Journalismus. Wir brauchen aber auch Politikerinnen und Politiker, Entscheidungsträger, die nicht nur Tagespolitik betreiben, sondern Mehrgenerationenpolitik. Das betrifft gerade die Infrastrukturpolitik. Dazu kann ich ein Beispiel aus meiner eigenen Vita nennen. Schon als Schüler habe ich in meiner Heimatstadt Horb am Neckar Unterschriften für ein Bürgerbegehren für eine Bundesstraße zur Entlastung der lärmgeplagten Innenstadt gesammelt. Das ist jetzt 40 Jahre her.
(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Das sieht man Ihnen aber nicht an!)
Das erste Bürgerbegehren wurde nicht zugelassen. Das zweite Bürgerbegehren konnte ich als damals jüngster Oberbürgermeister Deutschlands begleiten; es war dann auch erfolgreich. Am 24. April 2023 hatte ich dann das Glück, in meiner Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär den Grundstein für diese Hochbrücke über das Neckartal legen zu dürfen.
Die Lehre ist: Wer Verkehrsprojekte einweihen oder bauen will, muss früh anfangen. Das dauert alles zu lange; deshalb wollen wir es als Regierung beschleunigen. Es zeigt aber eben auch, dass Infrastrukturpolitik mehrere Jahre dauert. Dass wir heute über Bahnpolitik, über die maroden, sanierungsbedürftigen Gleise, über Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit diskutieren, liegt tatsächlich an der Vergangenheit. Es sind Versäumnisse, die wir beseitigen wollen und müssen. Das bedeutet aber auch, dass wir in den nächsten Jahren hart daran arbeiten müssen, dass die Bahn saniert werden kann. Dafür stehen diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen. Das ist unsere Aufgabe, liebe Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der konsequente Mittelaufwuchs, den wir beschlossen haben – dafür ist die Regierung dem Bundestag dankbar –, kann sich sehen lassen: von 9 Milliarden auf 16 Milliarden Euro im Jahr 2024. In der mittelfristigen Finanzplanung kommen zu den ursprünglich vorgesehenen 42 Milliarden Euro noch einmal 27,3 Milliarden Euro hinzu; das ist ein Zuwachs um 70 Prozent. Keine Bundesregierung zuvor hat einen so starken Schwerpunkt auf die Schiene als zukunftsträchtigen, umweltfreundlichen und klimaneutralen Verkehrsträger gesetzt.
Meine Damen und Herren, wir haben noch mehr auf den Weg gebracht: Die Empfehlungen der Beschleunigungskommission Schiene sind zu 80 Prozent umgesetzt oder in Umsetzung. Viele der kleinen und mittleren Maßnahmen befinden sich in der Umsetzung oder sind bereits abgeschlossen. Weitere Maßnahmen betreffen die Korridorsanierung. Der Abpfiff der Europameisterschaft ist der Anpfiff für den ersten Korridor an der Riedbahn. Das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz räumt der Schiene ein übergeordnetes öffentliches Interesse ein. Die DB InfraGO AG überwindet die unnatürliche Trennung zwischen Bahnhöfen und Netz. Durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz erfolgt in Zukunft auch die Finanzierung von Bahnhöfen. Also vieles ist auf den Weg gebracht.
Auch für die Länder, Herr Ministerpräsident Ramelow, haben wir etliches getan. Die Regionalisierungsmittel wurden um 10 Prozent erhöht, von 9,6 Milliarden auf 10,6 Milliarden Euro. Die Dynamisierung wurde von 1,8 Prozent auf 3 Prozent fast verdoppelt. Der Nahverkehr unterliegt einer Trassenentgeltdeckelung; auch das kommt den Ländern zugute. Die Finanzierung im Zusammenhang mit dem GVFG, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, wonach der Bund die Revitalisierung und Elektrifizierung von regionalen und lokalen Strecken zu 75 bzw. 90 Prozent finanziert, steigt von 1 Milliarde Euro in diesem Jahr auf 2 Milliarden Euro im nächsten Jahr; das ist ein Zuwachs um 100 Prozent.
Kürzlich war ich in Weimar, Herr Ministerpräsident, eine wunderschöne Stadt, von nationalem und internationalem Interesse, eine Kulturstadt. Dort hat mir Oberbürgermeister Kleine die Pläne für einen Mobilitätsknoten präsentiert. Die verbesserte Verknüpfung von Bus und Bahn ist richtig. Intermodaler Verkehr ist das Entscheidende. Wir unterstützen dieses Projekt, und ich hoffe, dass es gelingt, dies umzusetzen.
Auch die Höllentalbahn, die Sie angesprochen haben, wird vom Bund unterstützt. Als Schienenverkehrsbeauftragter war ich in Bad Lobenstein vor Ort. In Blankenstein habe ich mir eine Papierfabrik angeschaut, um zu sehen, was man von dort aus transportieren könnte. Ich rate Ihnen, mal mit Ihrem Kollegen Markus Söder einen Kaffee zu trinken. Denn die Bayern müssen da mitmachen, damit diese Strecke revitalisiert werden kann; am Bund liegt es nicht.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Schulterschluss aller staatlichen Ebenen. Als jemand, der alle demokratisch gewählten Ebenen kennt – Gemeinderatsmitglied, Kreistagsmitglied, Oberbürgermeister, Landtags-, Europa- und Bundestagsabgeordneter –, weiß ich, dass die Ebenen häufig wenig miteinander reden. Sie sollten miteinander reden – nicht übereinander – und gemeinsam handeln, nicht nur im Bereich der Bahnpolitik, sondern auch in anderen Politikbereichen.
Wir brauchen eine Politik für Generationen, für unsere Kinder und Enkelkinder.
(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Deshalb die Schuldenbremse!)
Das sage ich heute, nicht nur, weil meine Frau und meine Kinder auf der Tribüne sitzen, sondern auch, weil ich generell der Meinung bin, dass nicht Tagespolitik, sondern Mehrgenerationenpolitik der richtige Ansatz ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In eigener Sache, weil ich nicht weiß, ob ich noch mal die Möglichkeit habe, hier zu sprechen: Ich möchte mich bei allen hier im Hause ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Wir haben für die Schiene viel bewegt. Es ist mir als Abgeordneter eine Ehre, diesem Land dienen zu dürfen. Sollte ich mal jemand im Eifer des Gefechtes verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Plädoyer schließen und darf den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Erinnerung rufen – ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen in diesem Land an seinem Credo orientieren –: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Die Bundesrepublik ist ein wunderbares Land. Wir haben alle Potenziale. Gemeinsam können wir das schaffen, wenn wir nicht die Tagespolitik in den Blick nehmen, sondern eine Mehrgenerationenpolitik für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der AfD sowie bei Abgeordneten der Linken)
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Anja Troff-Schaffarzyk das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7614324 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 182 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Kappung von Bahnverbindungen |