Christian DürrFDP - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute Morgen zeigt, dass das in dieser Woche keine normalen Haushaltsberatungen sind. Die Migrationspolitik steht im Zentrum der Debatten in der deutschen Öffentlichkeit und auch hier im Deutschen Bundestag.
(Beatrix von Storch [AfD]: Die FDP bei 0,9 Prozent!)
In Wahrheit steht die Migrationspolitik bei vielen Menschen in Deutschland im Zentrum dessen, was sie bewegt, bereits seit dem Jahr 2015.
Das furchtbare Attentat von Solingen hat uns eines gezeigt: Es ist notwendig, dass Demokratinnen und emokraten, der föderale Bundesstaat, die Bundesländer und der Bund, an einem Strang ziehen müssen. Der Attentäter von Solingen war vollziehbar ausreisepflichtig nach Bundesrecht und übrigens auch nach europäischem Recht. Landesbehörden haben den späteren Attentäter nicht angetroffen. Er ist nicht abgeschoben worden. Es ist danach nichts passiert. Es wäre ein Leichtes, einer aktuell schwarz-grün geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Schuld zuzuschieben. Ich glaube, man muss offen und ehrlich ergänzen: Dieses schreckliche Attentat und das Versagen der Behörden und des Staates hätten auch in anderen Bundesländern passieren können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ich will auf die Gespräche des gestrigen Tages im Bundesinnenministerium zu sprechen kommen, weil die deutsche Öffentlichkeit – zu Recht – will, dass der Rechtsstaat handelt, und sich von unseren Gesprächen sehr viel erhofft. Der Parteivorsitzende der CDU, Herr Kollege Merz, hat vor genau einer Woche bei einer Rede auch die Änderung in der Programmatik der CDU Deutschlands beschrieben. Ich fand das sehr glaubwürdig, was er gesagt hat. Er hat gesagt: Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, die Migrationspolitik der eigenen Partei fundamental zu ändern. Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, eine um 180 Grad veränderte Position einzunehmen, weil auch die CDU Deutschlands zuvor, seit 2015, eine andere Politik gemacht und in der Bundesregierung vertreten hat. – Es ist kein Geheimnis, dass auch meine Partei in der vergangenen Wahlperiode als Opposition hierzu Vorschläge unterbreitet hat und wir im Bundestagswahlprogramm beispielsweise sehr klare Positionen zur Ordnung und Regulierung der Migration bezogen haben.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Turboeinbürgerungen! Turboeinbürgerungen waren Ihr Vorschlag!)
Ich sage aber auch eines in aller Klarheit, liebe Kollegen der Union – und ich halte das für sehr glaubwürdig, was Herr Merz seinerzeit, vor einer Woche, sagte –: Eine grundlegende Kurskorrektur einer Partei darf kein Selbstzweck bleiben, meine Damen und Herren. Weder – und das haben wir gelernt – Programme von Parteien noch das Bundesgesetzblatt ändern automatisch die Realität in Deutschland; das schafft nur echtes Handeln. Und das müssen die Demokraten im Hause und in Deutschland gemeinsam hinbekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Weg von 2015 hin zur migrationspolitischen Realität, dieser Kurswechsel darf kein Selbstzweck gewesen sein; denn es geht hier um unser Land.
Was die Gespräche des gestrigen Tages betrifft – das haben eben einige Redner bereits gesagt; es ist gestern auch in einer Pressekonferenz öffentlich geworden –: Wir haben gestern Vorschläge gemacht, wie man Zurückweisungen rechtssicher und effektiv umsetzen kann, auch indem man diejenigen, die nicht legal nach Deutschland einreisen wollen, vorübergehend festsetzt. Das ist vor allen Dingen auch deshalb wichtig, weil Deutschland von seinen europäischen Nachbarn ausschließlich durch eine grüne Grenze getrennt ist. Es ist wichtig, dass Zurückweisungen keine Scheinlösungen sind, sondern funktionieren, damit die Menschen wissen, dass wir die Sache wieder in den Griff bekommen wollen.
Es ist kein Geheimnis, dass CDU und CSU gesagt haben: Wir haben einen weiteren Vorschlag, nämlich die einfachen Zurückweisungen direkt an den Grenzpunkten. – Neben der von mir erwähnten Frage nach der Effektivität stellen sich – und das haben die Kollegen, die anwesend waren, ja auch freimütig zugegeben – in einem Rechtsstaat zu Recht Rechtsfragen, und die werden zu Recht im Rechtsstaat gestellt. Der Bundesjustizminister und die Bundesinnenministerin haben das Angebot gemacht,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wovon die Außenministerin nichts wusste!)
trotz der allgemein anerkannten rechtlichen Unsicherheit, die ja auch Sie in den Gesprächen schon in der vergangenen Woche richtigerweise eingeräumt haben, auch einfache Zurückweisungen an der Grenze durchzuführen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, für eine Blockade in der Frage der Ordnung und Begrenzung der Migration haben die Menschen in Deutschland kein Verständnis mehr. Deswegen lautet meine herzliche Bitte, das, was vorgeschlagen worden ist – übrigens auch in Bezug auf die Flughäfen; denn auch über diese erfolgt irreguläre Migration; diejenigen, die dort illegal einreisen wollen, gilt es ebenfalls festzusetzen –,
(Zurufe von der CDU/CSU: Machen Sie es doch! – Machen Sie es einfach!)
flächendeckend an den deutschen Außengrenzen umzusetzen – trotz der Kritik der europäischen Partner –, genauso wie den Vorschlag, den die Union in Bezug auf einfache Zurückweisungen vorgetragen hat, und gemeinsam die Rechtskonsequenzen zu tragen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage das mit aller Deutlichkeit und angesichts dessen, was gestern gesagt worden ist. Das alles kann angesichts der bitteren Lehre, die wir aus Solingen gezogen haben, ausschließlich gemeinsam funktionieren. Der Bund ist im föderalen Rechtsstaat zwingend auf die Bundesländer angewiesen.
Ich will auf die 90er-Jahre zu sprechen kommen. Es gab in den 90er-Jahren zwei politische Situationen. Eine ist vorhin bereits dargestellt worden von einigen Rednern, nämlich der Asylkompromiss von 1992 und 1993.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Da gab es noch Sozialdemokraten!)
Es gab auch eine andere Situation; ich schaue in Richtung der Kollegen der SPD. Es gab die Situation, dass sich der damalige saarländische Ministerpräsident und Parteivorsitzende der SPD dazu entschieden hat, grundsätzlich, auch über die Länderkammer, zu blockieren. Ich glaube, das wäre falsch. Dieser Herr ist ja mittlerweile Mitglied einer ganz anderen Partei, mit der Sie ja noch Gespräche beispielsweise in Thüringen und Sachsen führen werden. Ich sage an dieser Stelle: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Aber worauf ich hinauswill: Der Asylkompromiss ist 1992/1993 gelungen, weil die damalige sozialdemokratische Opposition sich ein Herz gefasst hat und bereit war, gemeinsam mit der schwarz-gelb geführten Bundesregierung das umzusetzen. – Das wäre jetzt das Gebot der Stunde, und dazu sind alle Demokraten eingeladen, auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, lieber Herr Kollege Merz.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Richtig ist – das haben der Bundeskanzler und auch am Morgen selbst der Kollege Alexander Dobrindt in seiner unnachahmlich freundlichen Art und Weise gesagt –: Migration hat einen weiteren Aspekt. Wir sind händeringend auf die Fachkräfteeinwanderung in unseren Arbeitsmarkt angewiesen.
(Zuruf des Abg. Alexander Throm [CDU/CSU])
Ich habe es damals sehr bedauert, als die Union gegen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz dieser Regierung gestimmt hat. Denn der zentrale Satz gerade bei der Ordnung der Migration in Deutschland und auch vor dem Hintergrund unserer wirtschaftlichen Herausforderung – da ist die gigantische Mehrheit der Menschen in Deutschland sehr realistisch – muss doch lauten: Es muss einfacher sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen und nicht zu arbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das muss die Botschaft der Stunde sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gleichzeitig – auch das will ich aufgreifen; ich komme noch auf den Haushalt zu sprechen – stehen wir vor sehr großen ökonomischen Herausforderungen. Dass unsere Wettbewerbsfähigkeit seit 2014 nachgelassen hat, ist hier mehrfach erwähnt worden. Ich appelliere auch hier, gemeinsam zu handeln, wo es notwendig ist. Ich komme gleich darauf zu sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union.
Lieber Alexander Dobrindt, mich hat gewundert, dass Sie, als Sie hier gerade über die Frage der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes gesprochen haben, den Eindruck erwecken wollten, dass es vorher wunderbar lief und Mitte Dezember 2021 sich auf einmal alles fundamental geändert hat. Ich habe nicht vergessen, lieber Kollege Dobrindt – ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen –, welcher CSU-Minister im Kabinett von Frau Merkel das Lieferkettengesetz in Deutschland, das der Mittelstand zu Recht beklagt, vorgeschlagen und mit Mehrheit durchgesetzt hat
(Beifall bei der FDP)
und welche Partei auf europäischer Ebene das Verbrennerverbot durchgesetzt hat.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir nicht! Aber die FDP!)
Welche Partei war denn da in Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Der Bericht von Herrn Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union spricht Bände. Seit 2019 hat allein die Europäische Union 13 000 Rechtsakte erlassen. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten von Amerika waren es in der gleichen Zeit 3 500. Ja, wir brauchen die Zeitenwende in der Geopolitik; darüber ist viel gesprochen worden. Diese hat Deutschland eingeleitet, auch durch das Sondervermögen, an dem Sie mit uns gemeinsam gearbeitet haben, und durch das, was wir tun, um die Ukraine zu unterstützen. Aber eine solche Zeitenwende brauchen Deutschland und Europa eben auch in der Wirtschaftspolitik, in der ökonomischen Situation. Unser gemeinsames Ziel muss doch sein, das, was wir im Rahmen der Wachstumsinitiative national tun können, jetzt auch anzugehen. Das beginnt mit dem Bundeshaushalt 2025; denn wir wollen wieder auf den Wachstumspfad zurückkommen. Das gilt aber ganz genau so auch auf europäischer Ebene. Ich habe den Wahlkampf der CDU/CSU zur letzten Europawahl nicht vergessen, in dem Sie viele Versprechungen gemacht haben. Ich lade Sie ein, liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam nach Brüssel zu fahren und diese Versprechungen auch gegen Frau von der Leyen durchzusetzen, damit wir bei der ökonomischen Prosperität unseres Kontinents wieder nach vorne kommen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kurzum: Wir werden in den kommenden Tagen einen Haushalt beraten, der auch unmittelbar mit dem wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes verbunden sein muss. Denn die Umsetzung dessen – der Finanzminister hat es gestern bei der Einbringung gesagt –, was wir uns für das Jahr 2025 vorgenommen haben, hängt auch von ökonomischen Reformen in diesem Jahr ab. Der Haushalt 2025, meine Damen und Herren, ist an zwei Punkten an eine Wende gekommen und hat endgültig abgeschlossen mit der Politik der Vorgängerregierung. Wir halten die Schuldenbremse ein. Das ist ein verfassungsrechtliches und politisches Versprechen, übrigens auch meiner Partei. Und wir haben gezeigt, was richtigerweise zu geschehen hat. Man kann solide Finanzen gewährleisten und gleichzeitig die Investitionen in die Zukunft – in die Infrastruktur, in die Straße, in die Schiene, und in die Bildungsinfrastruktur – auf ein Rekordniveau bringen.
Das Jahr 2025 und dieser Haushalt stehen auch für eine Investitionswende für die Zukunft unseres Landes: weg von der Subventionitis der Vergangenheit, hin zu Investitionen und marktwirtschaftlicher Prosperität. Das ist das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren. Und auch das sollten wir gemeinsam angehen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7614872 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 184 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt |