10.10.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 191 / Zusatzpunkt 7

Kordula Schulz-AscheDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde: Drohender Finanzkollaps der Pfegeversicherung

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Irlstorfer, ich möchte Ihnen ausdrücklich für Ihr Angebot danken; denn es ist doch klar, dass wir die Herausforderungen der Pflegeversicherung nicht als einzelne Regierung oder mit drei Fraktionen meistern, sondern wir brauchen hier ein breites Bündnis in diesem Hause, um die Herausforderungen der Pflegeversicherung zu meistern. Ich würde mich freuen, wenn sich auch die Redner Ihrer Fraktion an diese Form und diese Zusammenarbeit halten würden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ja, wir brauchen eine Reform der Pflegeversicherung. Wir müssen sie langfristig sichern. Wir haben eine demografische Herausforderung mit einem steigenden Anteil älterer Menschen, die in nächster Zukunft wahrscheinlich auch pflegebedürftig werden; darauf müssen wir uns einstellen. Wir haben eine unzureichende Pflegeinfrastruktur, und wir haben das Problem, dass wir einen Fachkräftemangel in allen Branchen haben, aber eben auch in der Pflege. Diesen Komplex müssen wir angehen, und das geht nur in einem großen gesellschaftlichen Konsens. Es geht mit einer individuellen Versicherung der Pflegeversicherung, und es geht mit Gemeinweseninvestitionen seitens der Gemeinden. Staatliche Aufgaben müssen auch staatlich finanziert werden und dürfen nicht aus der Pflegeversicherung finanziert werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir dürfen nicht in eine Abwärtsspirale der Versorgung kommen. Das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig.

Was ist jetzt zu tun?

Erstens. Wir brauchen dringend Investitionen in die Infrastruktur. Da müssen die Kommunen mithelfen. Das ist keine Aufgabe der Pflegeversicherung. Wir brauchen die Pflege vor Ort. Wir brauchen Prävention von Pflegebedürftigkeit durch soziale Teilhabe älterer Menschen, durch Unterstützung von Familien. Wir brauchen eine Einsamkeitsstrategie. Wir brauchen eine Vielfalt von Angeboten, Unterstützung vor Ort. Wir brauchen Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege. All diese Einrichtungen brauchen wir. Wir wissen das alle, und wir müssen es jetzt endlich auf den Weg bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zweitens. Wir brauchen dringend Unterstützung der vielen pflegenden Angehörigen, die das zum Teil freiwillig, aber manchmal auch gezwungenermaßen machen, weil sie gar keine unterstützenden Angebote vor Ort mehr finden. Wir müssen sie finanziell und vor Ort unterstützen. Wir haben das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz hier verabschiedet. Aber wir wissen auch, dass es nicht reicht. Wir brauchen Rentenansprüche für pflegende Angehörige, wie es im Koalitionsvertrag steht. Wir brauchen Familienpflegezeit; auch da sind wir noch am Kämpfen. Ich bitte um breite Unterstützung in diesem Haus. Dann können wir den pflegenden Angehörigen auch konkrete Hilfen zur Verfügung stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Drittens. Meine Damen und Herren, wir müssen ausbilden, ausbilden, ausbilden, und zwar in einem attraktiven Berufsbild der Fachpflege. Wir haben jetzt das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz auf den Weg gebracht; das Pflegekompetenzgesetz wird noch kommen. Das sind Meilensteine der Emanzipation der Pflege. Bisher hinken wir in Deutschland im europäischen Vergleich nach. Pflegekräfte aus Deutschland wandern aus Deutschland ab in die umliegenden Länder, weil sie dort anders eingesetzt und anders qualifiziert anerkannt werden. Das müssen wir nachholen. Wir brauchen eine Aufwertung der Pflege in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Viertens. Wir brauchen Migration. Wir haben eine Bevölkerungsentwicklung, bei der wir es ohne die Zuwanderung junger Menschen, die als Fachkräfte hierherkommen oder hier eine Ausbildung machen, nicht schaffen werden, diese Situation zu meistern. Wir brauchen Migration, und jeder, der hier das Gegenteil behauptet, verleugnet unsere gesellschaftliche Situation und den demografischen Wandel. Wir brauchen dringend junge Menschen. Wir müssen sie hierherholen. Wir müssen qualifizierte Fachkräfte hierherholen. Und wir müssen junge Menschen, die keine Ausbildung haben, hier ausbilden. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir die demografische Krise vermeiden können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Um das noch mal in Richtung CDU/CSU zu sagen: Das ist keine Sache, die eine Regierung beschließt, sondern für diesen gesellschaftlichen Konsens, für die älteren Menschen, für die pflegebedürftigen Menschen – es gibt ja auch pflegebedürftige Kinder und deren Eltern; die sollten wir auch nicht vergessen – brauchen wir ganz dringend ein gemeinsames Konzept der Demokraten in diesem Hause. Ich lade Sie ausdrücklich dazu ein, daran mitzuarbeiten. Wir als Regierung haben einige Vorlagen in Arbeit. Ich bitte Sie um konstruktive Kritik, um konstruktive Beiträge. Wir sind bereit, mit Ihnen zusammen diese Krise, vor der wir stehen, zu meistern. In dem Sinne: Wir haben in der Pflege seit Jahrzehnten kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Das gehen wir jetzt an, und dabei hoffe ich auf die Unterstützung aller Demokraten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle dringend noch einmal daran erinnern, dass in ungefähr zehn Minuten die Wahlen enden, nicht dass dann in der letzten Sekunde wieder alle aufstehen und losrennen. Wenn Sie also noch nicht gewählt haben, dann bitte jetzt.

Als Nächstes erhält das Wort Ates Gürpinar für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7616447
Wahlperiode 20
Sitzung 191
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Drohender Finanzkollaps der Pfegeversicherung
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