Johannes ArltSPD - Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Unternehmen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, knapp 6,6 Millionen und 99 Prozent – das sind die Zahlen, die mir beim Lesen Ihres Antrages durch den Kopf gegangen sind; denn Sie haben in Ihrem Antrag 99 Prozent der Wirtschaft vergessen und knapp 6,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Insolvenzgrund beschuldigt. Also eine reife Leistung in einer Debatte über Wirtschaftspolitik, vor allen Dingen als Partei, die sich ja als einzige geriert, was von Wirtschaft zu verstehen. Aber ich erkläre Ihnen das.
(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Da sind wir mal gespannt!)
In Ihrem Antrag zählen Sie Belastungen für Unternehmen auf, die zu einer Insolvenzwelle führen. In diesem Zusammenhang erwähnen Sie unter anderem die Erhöhung des Mindestlohnes auf derzeit 12,41 Euro. Das vernichte Jobs und sei schlecht für die Wirtschaft.
(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Hat es auch! Sehen Sie sich mal die Statistiken an!)
Das ist zweimal falsch. Ja, mit der Mindestlohnerhöhung ist der Niedriglohnsektor geschrumpft, aber nicht, weil Jobs verschwinden, sondern weil 6,6 Millionen Menschen jetzt besser bezahlt werden. Allein in meinem Wahlkreis im Herzen von MV haben von der Mindestlohnerhöhung 55 000 Menschen profitiert. Es war für viele die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. Und diese Menschen sollen jetzt schuld sein an einer Insolvenzwelle?
(Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Nein!)
Ich bitte Sie! Das Gegenteil ist richtig. Wir hatten im dritten Quartal ein zartes Wachstum von 0,1 Prozent – nicht viel, aber immerhin –, und verantwortlich ist dafür der private Konsum. Und mehr konsumieren kann ich eben auch nur, wenn ich mehr verdiene. Deswegen ist die Mindestlohnerhöhung richtig gewesen: Sie hilft den Menschen, und sie hilft auch der Wirtschaft.
(Beifall bei der SPD – Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Jetzt machen Sie mal einen Punkt!)
Ich komme zur zweiten Zahl: 99 Prozent. 99 Prozent der Wirtschaft sind kleine und mittelständische Unternehmen, unser Rückgrat. In Ihrem Antrag dazu kein Wort. Weder taucht das Wort „Mittelstand“ auf noch das Wort „KMU“. Ich weiß, in den letzten wirtschaftspolitischen Debatten ging es oft um die Industrie, und die ist sehr, sehr wichtig für Deutschland. Über 26 Prozent unseres BIPs sind von der Industrie gestützt. In den USA beträgt der Anteil nur 17 Prozent. Aber wir dürfen die KMUs nicht vergessen, vor allen Dingen nicht die besonderen Herausforderungen, vor denen unsere KMUs stehen. Dazu zwei Punkte.
Erstens: Strompreis. Die Energiepreise haben wir hier oft diskutiert, und unsere Bundesregierung hat es zumindest geschafft, die Preise auf das Niveau von 2021 zu drücken. Wir haben mit der Absenkung der Stromsteuer das produzierende Gewerbe flächendeckend entlastet. Ich bin auch froh, dass es endlich Bewegung bei den Netzentgelten gibt. Und wir als SPD-Bundestagsfraktion haben uns frühzeitig für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Ich bin aber der Meinung, wir müssen hier wesentlich umfassender denken. Industriestrompreis reicht eben nicht. Wir brauchen auch einen KMU-Strompreis oder auch einen Handwerksstrompreis; 5,6 Millionen Menschen in diesem Land arbeiten im Handwerk. Und wie können wir das erreichen? Ich sage es an dieser Stelle ganz, ganz plakativ und provozierend: Wir brauchen billigen Strom dort, wo er produziert wird, zum einen, weil Bundesländer wie Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit viel grünem Strom ihre Standortfaktoren ausspielen können, und zum anderen – Grüße an die CSU gehen raus –, weil dann eben auch in Bayern mehr erneuerbare Energie entstehen würde.
Zweitens: Unternehmensnachfolge. In dem aktuellen DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge wird deutlich: Für 28 Prozent aller Unternehmensinhaber ist Aufgabe eine Option. Für fast 75 Prozent sind aber Altersgründe entscheidend. – Wie erleichtern wir also Unternehmensnachfolgen? Wir müssen uns dem Fachkräftemangel stellen. Als Regierung haben wir in den letzten drei Jahren ein modernes Fachkräfteeinwanderungsrecht geschaffen. Zur Beseitigung des Fachkräftemangels gehört aber eben auch eine gute Bezahlung, eine gute Bezahlung auch in der Ausbildung. So bleiben mehr junge Menschen auch in ländlichen Regionen, entscheiden sich für eine Ausbildung dort statt eines Studiums. Und wir brauchen kluge Regeln, die Raum für Wachstum lassen, damit Wirtschaft atmen kann. Das Bürokratieentlastungsgesetz war noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Mit einem Wort: Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen. So wächst dann auch die Wirtschaft. Aber wir sollten dabei nicht 99 Prozent der Wirtschaft vergessen und 6,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Sündenbock erklären.
Zum Abschluss noch eine kurze Bemerkung. Ich weiß, dass kurz nach mir Bernd Westphal, unser wirtschaftspolitischer Sprecher, seine letzte Rede hier halten wird, und ich möchte noch mal Danke sagen als junger Kollege, der zum ersten Mal jetzt in dieser Wahlperiode in diesem Parlament ist, für die gute Zusammenarbeit, vor allen Dingen auch für den Raum, den du uns immer gegeben hast, uns zu entwickeln. Vielen Dank dafür und viel Glück für deine letzte Rede.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Jens Spahn.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619002 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 204 |
Tagesordnungspunkt | Wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Unternehmen |