Cemile GiousoufCDU/CSU - Bericht zum Anerkennungsgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders vor über 50 Jahren wurden mit Ländern wie Italien, Griechenland und der Türkei Anwerbeabkommen abgeschlossen. Mehrere Millionen Menschen wurden für Industriearbeitsplätze benötigt. Sie kamen hierher und arbeiteten gemeinsam am Standort Deutschland auf Baustellen, in Fabriken oder im Bergbau.
Heute stehen wir wieder vor der Herausforderung, dass wir Zuwanderung brauchen. Uns fehlen Ingenieure, Facharbeiter, aber auch Ärzte, Pflegekräfte und Lehrer. In meinem Wahlkreis Hagen und im südlichen Ennepe- Ruhr-Kreis fehlten den mittelständischen Unternehmen letztes Jahr 24 000 Fachkräfte. Ohne die Unterstützung aus dem Ausland können wir diese Herausforderung nicht stemmen. Deshalb ist es sehr gut, dass sich Deutschland in den letzten Jahren immer mehr zu einem modernen Einwanderungsland entwickelt hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Deutschland ist für immer mehr Menschen – darunter gut ausgebildete Fachkräfte – eine attraktive Wahlheimat. Unser Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat gestern im Rahmen der Diskussion über die Freizügigkeit in Europa nochmals deutlich gemacht, dass auch die Mehrheit der Menschen, die aus den osteuropäischen Ländern zu uns kommen, gut ausgebildet ist. Gleichzeitig fahren aber auch in Deutschland noch viele Ingenieure und Ärzte Taxi.
Damit wir all diese Potenziale nutzen können, wurde das Anerkennungsgesetz auf den Weg gebracht. Es ist in Europa übrigens einzigartig. Mit diesem Gesetz hat jeder Antragsteller einen Anspruch auf Prüfung der im Ausland erworbenen Qualifikation. Dieser Anspruch gilt ebenso für Drittstaaten und für Drittstaatenabschlüsse. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch immer mehr Flüchtlinge zu uns kommen, ist das eine wichtige Weichenstellung. Deshalb freut es mich umso mehr, dass diese neue Kultur der Anerkennung auf eine erfolgreiche Regierungsinitiative der Union zurückgeht.
Lieber Herr Kollege Mutlu, wenn das alles, was wir machen, so schlecht ist: Warum gab es dann kein Anerkennungsgesetz unter Rot-Grün? Damals gab es noch nicht einmal ein Gesetz, über das wir heute hätten streiten können. Nein, das ist eine Initiative einer CDU-Ministerin gewesen, und sie wird von einer CDU-Ministerin umgesetzt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und warum versucht die CSU, Erleichterungen zu verhindern?)
Die Bilanz fällt überzeugend aus:
Im April dieses Jahres wurde der Bericht zum Anerkennungsgesetz veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass über 82 Prozent der Berufsabschlüsse als gleichwertig anerkannt wurden, und von den IQ-Beratungsstellen wissen wir, dass das Interesse weiter zunimmt. Allein in diesem Jahr haben über 14 000 Personen ein Beratungsgespräch geführt. Die Strukturen und Angebote werden immer bekannter, und das ist ein Erfolg.
Oftmals hören wir die Klage über die hohen bürokratischen Hürden. Dazu möchte ich auch klar sagen: Es geht um die Gleichwertigkeit mit deutschen Berufsabschlüssen. Die Qualität deutscher Berufsabschlüsse ist weltweit anerkannt, und der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands hängt in einem nicht geringen Maße davon ab. Mit anderen Worten: Diese Qualitätsstandards müssen beibehalten werden, auch dann, wenn wir die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt haben werden, was bis 2016 geschehen muss. Wir müssen den Spagat schaffen, Menschen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne die Qualität deutscher Berufsabschlüsse zu verwässern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich um ein noch junges Gesetz, das trotz seines frühen Erfolgs fortentwickelt werden muss; hier gebe ich den Kollegen recht. Folgende Punkte möchte ich dabei hervorheben:
Erstens. Wir müssen sicherstellen, dass wir entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für alle Berufe anbieten können, um eine volle Anerkennung zu erreichen. Die größte Herausforderung ist hier natürlich die Finanzierung. Deshalb finde ich es gut, dass das BMAS – kofinanziert mit ESF-Mitteln – entsprechende Berufsqualifizierungen, für die der Bund zuständig ist, flächendeckend ermöglichen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Zweitens. Ich halte es für unabdingbar, dass für die Gesundheitsberufe eine zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene geschaffen wird – idealerweise angesiedelt bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen bei der KMK in Bonn.
Drittens. Die Länder müssen einheitliche Verordnungen festlegen. Es kann nicht sein, dass für die Anerkennung unterschiedliche Standards und Hürden festgelegt werden. Einige Länder schließen Berufe sogar aus der Anerkennung aus, wie das NRW mit dem Lehrerberuf macht. Wir wollen keinen Anerkennungstourismus zwischen den verschiedenen Ländern. Das ist nicht im Sinne dieses Gesetzes.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Der vierte Punkt betrifft den Beruf des Lehrers insgesamt. Jetzt müssen der Deutsche Philologenverband und die GEW etwas tapfer sein; denn ich will folgende Frage stellen: Müssen der Mathematiklehrer aus Warschau oder die Physiklehrerin aus Bratislava, die beide hervorragend Deutsch sprechen und ihr fachliches Handwerk aus dem Effeff beherrschen, wirklich noch ein zweites Fach studieren, um in einer staatlichen Schule in Deutschland unterrichten zu dürfen?
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da gebe ich Ihnen recht!)
Wir sprechen hier immerhin von händeringend gesuchten Lehrkräften in Mangelfächern. Andere Länder kennen den Lehrer mit zwei Fächern nicht. Sollten wir für solche Fälle nicht eine Brücke bauen? Es wäre gut, wenn die Bundesländer sich hier trauen würden, auch einmal neue Wege zu gehen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Bislang ist dies nur in einem einzigen Bundesland, nämlich in Hamburg, möglich. Hamburg hat bereits im Oktober 2010 – noch unter Schwarz-Grün, lieber Herr Mutlu – eine Zentrale Anlaufstelle Anerkennung mit ESF-Mitteln eingerichtet. Qualifizierungsmaßnahmen werden durch Stipendien der Stadt Hamburg gefördert. Das könnte als Blaupause für andere Bundesländer dienen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Es ist ein Gesetz mit einem großartigen Leitgedanken. Wenn selbst die gegenüber dem deutschen Bildungssystem notorisch griesgrämigen Bildungsexperten der OECD zu dem Schluss kommen, dass Deutschland für Hochqualifizierte alle Türen offen hält,
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Schön formuliert! Treffsicher formuliert! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder eine Schuldzuweisung!)
dann ist das für uns alle ebenso ein Grund zur Freude wie das europaweite Pauken von Deutschvokabeln.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt ein bisschen Butter bei die Fische!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3914372 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 55 |
Tagesordnungspunkt | Bericht zum Anerkennungsgesetz |