29.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 82 / Tagesordnungspunkt 8

Andreas NickCDU/CSU - Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Türkei ist in besonderer Weise von dem schrecklichen Bürgerkrieg in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, in Syrien, betroffen. In den letzten Jahren hat das Land über 1,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen und trägt gemeinsam mit dem Libanon und Jordanien die Hauptlast. Sie stellt sich dieser humanitären Verantwortung in vorbildlicher Weise.

Das Mandat zur Mission Active Fence, über dessen Verlängerung wir heute entscheiden, soll unserem NATO-Partner Türkei weiterhin Schutz bieten – Schutz seiner Bevölkerung, Schutz seines Territoriums, aber auch Schutz der aufgenommenen Flüchtlinge –; denn auch zwei Jahre nach Entsendung der ersten Patriot-Systeme ist die Türkei weiterhin Bedrohungen ausgesetzt. Syrische Kurzstreckenraketen können auch heute noch Ziele auf nahezu dem gesamten türkischen Staatsgebiet erreichen. Die Türkei selbst verfügt derzeit über keine eigene Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Raketen und ist somit zwingend auf die Unterstützung ihrer Verbündeten angewiesen. Im Bündnis ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir im Bedrohungsfall einem Partner notwendige militärische Fähigkeiten zum Schutz seines Territoriums und seiner Bevölkerung zur Verfügung stellen.

Als Deutscher Bundestag stehen wir hier in einer besonderen Verantwortung, zum einen gegenüber unseren Bündnispartnern, die sehr genau darauf achten, wie wir mit unserem Parlamentsvorbehalt im Rahmen von Bündnisverpflichtungen umgehen. Dieses Thema beschäftigt ja auch die Rühe-Kommission, weil Verlässlichkeit unbedingte Voraussetzung für mehr Pooling und Sharing im Bündnis ist. Zum anderen stehen wir natürlich in der Verantwortung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten, denen ich herzlich für ihren engagierten Einsatz danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Rahmen eines Türkeibesuchs im März werde ich voraussichtlich die Gelegenheit haben, mich vor Ort bei den Soldaten des Patriot-Einsatzes ebenso zu informieren wie über die Situation der Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Syrien.

Der Patriot-Einsatz hat rein defensiven Charakter und bedeutet keine Involvierung Deutschlands oder der NATO in den syrischen Bürgerkrieg. Aber eine Stabilisierung der Region liegt nicht nur aus humanitären Gründen – dies ganz überwiegend –, sondern natürlich auch mit Blick auf die andauernde Notwendigkeit dieses Einsatzes in unserem Interesse.

Im Hinblick auf die Tragödie des syrischen Bürgerkrieges gibt es sicher zwischen der Türkei und uns unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen bezüglich einzelner Akteure in dieser komplexen Lage. Der türkische Ministerpräsident Davutoglu bemängelte bei seinem Besuch in Berlin nicht ganz zu Unrecht eine mangelnde Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bei der Beendigung des Assad-Regimes, das Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.

Unabhängig davon erwarten wir jedoch künftig von der Türkei eine unzweideutige Haltung gegenüber ISIS. In jedem Fall brauchen wir eine verbesserte Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitsbehörden, um den Transit von Extremisten aus Europa nach Syrien und in den Irak und zurück wirksamer kontrollieren und möglichst unterbinden zu können.

Dass sich die Türkei mit kurdischen Autonomiebestrebungen schwertut, kann nicht überraschen. Aber dass die Türkei eine konstruktive Rolle einnehmen kann, hat sie bereits im Norden des Irak gezeigt, denn ohne türkische Mitwirkung wäre die positive Entwicklung der autonomen Region Kurdistan in Arbil nicht möglich gewesen.

Herr Kollege Dr. Nick, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dagdelen?

Bitte schön.

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident und Herr Kollege. – Ich wollte Sie etwas fragen, weil Sie sagten, man müsse die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Türkei verstärken. Davutoglu habe sich beschwert. Sie haben gesagt, man müsse auf jeden Fall die Zusammenarbeit verstärken, um gegen IS vorzugehen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gerne etwas fragen. Gestern Abend ging die Nachricht herum, dass Deutschland gerade mit der Türkei in Verhandlungen über ein Geheimdienstabkommen ist. Der BND soll durch dieses Abkommen, über das verhandelt wird, mit dem türkischen Geheimdienst enger zusammenarbeiten, um den Terror besser bekämpfen zu können.

Ich möchte Sie gerne fragen: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ein Whistleblower vor kurzer Zeit Dokumente veröffentlicht hat, laut denen im Januar 2014 der türkische Geheimdienst, mit dem Deutschland jetzt ein Abkommen schließen möchte, eine Lkw-Ladung Waffen direkt an islamistische Terrormilizen an der Grenze geliefert hat? Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass es Unterstützung nicht nur in Form von Waffen gibt, sondern zum Beispiel auch durch die Behandlung von verletzten Dschihadisten in türkischen Krankenhäusern? Dies findet laut vielen Berichten, auch Bildberichten, statt.

Glauben Sie ernsthaft, dass es wirklich ein Schritt in die richtige Richtung ist, mit dem Geheimdienst der Türkei, die den „Islamischen Staat“, aber auch andere Terrorgruppen wie die Al-Nusra-Front nachweislich mit unterstützt hat, enger zu kooperieren und ein Abkommen abzuschließen, oder wird es bei diesem Abkommen eher darum gehen, diejenigen, die gegen IS teilweise erfolgreich gekämpft haben, zu bekämpfen, Stichwort PKK?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Kollegin Dagdelen, ich darf zwei Dinge unterstreichen – ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen –: Erstens. Ich habe gesagt: Wir erwarten von der Türkei eine unzweideutige Haltung, auch gegenüber ISIS. Zum Zweiten. Es ist in unserem unmittelbaren und elementaren Interesse, den Transit von Extremisten aus Deutschland und Europa in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak, der über die Türkei führt, zu unterbinden. Es gibt keinen anderen plausiblen Weg, dies zu tun, als in Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitsbehörden, nicht gegen sie. – Ich glaube, damit ist die Frage hinreichend beantwortet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gerade mit Blick auf die Brandherde im Mittleren Osten und in Nordafrika kommt der Türkei eine entscheidende Rolle zu. Die Türkei liegt darüber hinaus an einer geostrategischen Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Durch ihre NATO-Mitgliedschaft ist die Türkei eng an den Westen gebunden. Seit Jahrzehnten hat sie sich als verlässlicher Partner innerhalb des Bündnisses erwiesen. Aber es ist richtig: Gerade als Freunde der Türkei beobachten wir manche innenpolitischen Entwicklungen, etwa im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des Umgangs mit Minderheiten, mit Aufmerksamkeit und manchmal durchaus auch mit Sorge. Manches an der politischen Rhetorik in der Türkei wirkt auf uns befremdlich und gelegentlich leider auch verstörend.

(Beifall der Abg. Michael Brand [CDU/CSU] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Aber die Türkei ist und bleibt für uns ein wichtiger strategischer Partner. Dies gilt nicht nur im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch in den Fragen von Wirtschaft, Handel und Energie. Es gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, die in unserem Land zu Hause sind. Es ist daher in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse, die strategische Partnerschaft mit der Türkei zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Ministerpräsident Davutoglu hat bei seinem Besuch in Berlin erneut bekräftigt, dass Europa zentraler Bezugspunkt türkischer Außenpolitik bleibt. Wir sollten in diesem Zusammenhang aufmerksam zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei eine stärkere Anbindung an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union sucht. Dabei kann es nicht darum gehen, das Ergebnis von EU-Beitrittsverhandlungen vorwegzunehmen, sondern es geht weitgehend um die Wiederherstellung eines Status, wie es ihn zu Zeiten der Westeuropäischen Union bereits gab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam mit unseren Partnern werden wir immer wieder neu zu prüfen haben, wie lange eine Fortsetzung des Patriot-Einsatzes noch notwendig und umsetzbar ist. Auf lange Sicht wäre sicherlich der Aufbau eigener Fähigkeiten der Türkei zu erwägen, um diesen Einsatz der Verbündeten abzulösen. Heute gilt jedoch, dass die Mission weiterhin einen wichtigen Beitrag zum Schutz unseres Verbündeten leistet. Meine Fraktion stimmt der Verlängerung der Mission Active Fence daher zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Omid Nouripour.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4511816
Wahlperiode 18
Sitzung 82
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)
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