25.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 139 / Tagesordnungspunkt I.12

Axel SchäferSPD - Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten war eine entwicklungspolitische Debatte um Haushaltsfragen so sehr von den drängenden Problemen bestimmt, die nicht mehr nur in irgendwelchen Ländern vorhanden sind, sondern auch zu hiesigen Problemen geworden sind. Diese Debatte ist zugleich Ausdruck der Ambivalenz, in der wir uns befinden.

Ich glaube, wir können hier nur ehrlich und aufrichtig diskutieren, indem wir das mit einem Sowohl-als-auch unterlegen. Das Sowohl heißt – das muss auch von den lieben Kolleginnen und Kollegen der Opposition anerkannt werden –, dass die Etatmittel in diesem Bereich den größten Zuwachs seit Bestehen dieses Ministeriums erfahren. Das ist nicht irgendetwas.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Selbstverständlich ist das eine wichtige Leistung, die für etwas steht, was erarbeitet und durchgesetzt worden ist, und das ist auch gut so. Mein Dank geht natürlich auch an den Minister.

Es ist gut, dass der 11. Europäische Entwicklungsfonds, der bis 2020 läuft, über mehr als 30 Milliarden Euro verfügt. Dazu muss man nicht nur hier, sondern auch nach außen hin sagen: Ja, das ist ein wichtiger Fortschritt, für den wir gekämpft haben und der nicht von allein gekommen ist. Er ist neuen Erkenntnissen aus schlechten Erfahrungen geschuldet, die wir gemacht haben, aus denen wir aber gemeinsam die richtigen Schlüsse ziehen. Das ist die eine Seite, und die sollten wir hier in diesem Haus wirklich einmal als gemeinsamen Erfolg betonen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Jetzt reden wir über das Als-auch, über die Schwierigkeiten. Der Herr Minister hat vieles gesagt; das alles kann ich unterstützen. Ich will es nur an einer Zahl noch einmal deutlich machen. Wenn dem UNHCR für dieses Jahr über 4,2 Milliarden Dollar zugesagt werden und wir, Stand Ende Oktober, erst 2 Milliarden Dollar haben fließen lassen, so heißt das ganz simpel zweierlei: Erstens. Viele Länder halten sich nicht an ihre Zusagen. Das ist unmoralisch und in Demokratien, wo immer sie sind, unakzeptabel. Zweitens. Die Konsequenz ist ganz klar: Wir schaffen uns bestimmte Probleme selbst, die wir vermeiden könnten. Viele Länder vermeiden sie nicht, bis sie schließlich bei uns anlanden. Das ist die Konsequenz, die man offen und vor allen Dingen auch öffentlich aussprechen muss.

(Beifall bei der SPD)

Auch eine andere Konsequenz muss klar sein, wenn wir über den Zusammenhang von Problemen diskutieren, gerade wenn wir in Richtung „Klimagipfel in Paris“ blicken. Der Anstieg der Erderwärmung um 1 Grad mehr oder weniger, das ist für viele Menschen nur eine Zahl. Eine Zahl ist nicht so dramatisch. Die dramatische Zahl, die dahintersteht, lautet, dass zum Beispiel aus Bangladesch ganz konkret 15 Millionen mehr Menschen fliehen müssten, weil ihnen sozusagen die Lebensgrundlage unter den Füßen weggeschwemmt würde. Das Land wäre nicht mehr zu bewirtschaften. Da könnte man nicht mehr leben. Aber wir haben die Chance, dies mit einer Klimapolitik, gemeinsam in Europa, von Deutschland stark getragen, zu verändern. Wir haben die Chance, und die sollten wir in Paris auch nutzen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es auch wichtige Übereinstimmungen in der Koalition gibt, so muss man doch auf ein paar Unterschiede hinweisen. Heute Morgen hat der Kollege Kauder gesagt: Die rot-grün regierten Länder haben das und das nicht gemacht. – Natürlich muss man über sein eigenes Land auch mal gut reden. Also: Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, lange rot-grün regiert, hat es seit 1985 – da regierte die SPD allerdings noch allein – im Rahmen seines Programms „Eine-Welt-Initiative“ geschafft, dass bis heute 7 500 junge Menschen in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit für Frieden und vieles andere Gute mehr in über 50 Staaten gearbeitet haben. Auch das ist ein wichtiger Punkt, den wir gerade bei einer Bundestagsdebatte nennen sollten, nicht nur deshalb, weil es Nordrhein-Westfalen ist – das ist sowieso gut –,

(Beifall bei der SPD)

sondern auch deshalb, weil es in fast allen Bundesländern, zumindest soweit ich weiß, diese Form der Zusammenarbeit im Rahmen eines solchen Projekts gibt; besonders berührend: Rheinland-Pfalz/Ruanda. Auch das gehört in den Bundestag. Wir sind ein Bundesstaat. Wir haben den Bund und die Länder. Die Länder machen da eine ganze Menge, und das ist gut so. Das sollten wir in diesem Hause auch einmal ausdrücklich würdigen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen nicht mit Goethe sagen: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. – Wir müssen dabei schon auch ein bisschen an die zukünftige Entwicklung denken, gerade was die Länder anbelangt. Wir wollen viel zur selben Zeit. Die Länder haben – wir haben das gemeinsam in entsprechenden Gesetzesänderungen beschlossen – eine Schuldenbremse ab 2019. Seit der Finanzminister, der bekanntlich kein Sozialdemokrat ist, gesagt hat, die oberste Priorität sei – Klammer auf: nicht mehr die schwarze Null; Klammer zu –, die Probleme zu bekämpfen, die mit einer großen Zahl von Flüchtlingen, mit Wanderungsbewegungen zu tun haben, müssen wir über ganz bestimmte Fragen hier auch ein Stück weit anders diskutieren.

Da ist natürlich immer das taktische Problem: Wer sagt was und wie? Ich habe mir gedacht, ich löse das heute einmal ganz elegant und nehme etwas Unverdächtiges: den Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung und Frau Höll; beide gehören sicherlich nicht zu den Linken in der SPD. Es geht um das Thema Flüchtlinge. Ich zitiere einige gute Anregungen:

Es stimmt, die zusätzlichen Milliarden sind Kosten für uns alle. Für Schreckensszenarien aber besteht keinerlei Anlass. Im Gegenteil. Dieses Geld ist nicht nur eine notwendige, sondern auch eine gute Investition, die unsere Gesellschaft stärkt und damit die Stabilität unseres Landes. Was nützen uns Schuldenbremsen und schwarze Nullen, wenn der soziale Frieden auf die Probe gestellt wird?

Weiter schreibt der Hauptkommentar in der Süddeutschen :

Bleibt die Frage, wer das bezahlen soll? Die Kommunen, die sich in den letzten Jahren bemüht haben, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen, werden es nicht leisten können, jedenfalls dann nicht, wenn sie den Frieden vor Ort wahren wollen. Die Länder wären – übrigens auch ohne Wahrung der Schuldenbremse – überfordert. Bleibt also der Bund. Der hat noch ein paar Reserven, darf auch nur in begrenztem Maß neue Schulden aufnehmen.

Da sind wir uns einig.

Aber wenn die Merkels und Schäubles die strenge Etatdisziplin nicht aufgeben wollen, können sie auch die Steuern erhöhen. Die für Spitzenverdiener, wohlgemerkt.

Zu der Kategorie gehören wahrscheinlich auch Bundestagsabgeordnete. – Das ist eine völlig richtige Aussage von der Süddeutschen Zeitung .

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube – das wird wichtig sein –, gerade wenn wir über Werte im Jahre 2015 diskutieren – dass Europa eine Wertegemeinschaft ist, ist heute zu Recht auch von meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Union immer wieder unterstrichen worden –, dann werden wir auch perspektivisch über die Preise reden.

Ich sage ganz offen und ganz entspannt: Ich habe als Fraktionsvize, als Erster in bestimmter Verantwortung im September gesagt: Wir müssen die europäischen Außengrenzen so dicht wie möglich machen, das heißt, kon­trollieren und sichern. – Sie können mir glauben, das hat nicht überall in der SPD nur Beifall gefunden. Ich halte das jedoch weiterhin für richtig.

Heute, nach acht Wochen, sagen alle, dass das der richtige Weg ist. Ich bin mir deshalb auch sicher, dass wir über die Frage von Gerechtigkeit und Finanzen auch noch ein Stück anders diskutieren werden, und zwar ohne eine bestimmte Ideologie, ohne Dogmen, weil uns einfach die Probleme vor neue Herausforderungen stellen, die wir vor einem Jahr oder auch vor einem halben Jahr und auch bei Abschluss des Koalitionsvertrages noch nicht so gesehen haben. Das ist meine persönliche Meinung. Dazu gibt es keinen Fraktionsbeschluss. Ich glaube aber, das trifft relativ gut die Stimmung der Mitglieder meiner Partei.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Axel Schäfer. – Nächster Redner: Peter Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6212104
Wahlperiode 18
Sitzung 139
Tagesordnungspunkt Einzelplan Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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