Thomas de Maizière - Informationsaustausch bei Terrorismusbekämpfung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich nach dem, was Sie, Herr Präsident, gesagt haben, der erste Redner bin, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich – jedenfalls für mich; aber ich denke, auch im Namen vieler – für Ihre klaren Worte ganz herzlich zu bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, der internationale Terrorismus wird schon lange nicht mehr nur militärisch vor Ort oder polizeilich bekämpft. Die Durchführung der brutalen Anschläge in Paris, in Brüssel oder anderswo zeigt, dass sich die operative Verantwortung auch auf kleinere Gruppen verlagert, die vor Ort eigenständig handeln, aber international vernetzt sind oder im Auftrag morden. Nur wenn die Sicherheitsbehörden genug über solche Gruppen und deren Unterstützer wissen, können sie wirksam gegen sie vorgehen und unsere Bevölkerung wirksam schützen. Terrorismusbekämpfung ist damit heute nicht nur eine Frage militärischer Kraft, polizeilicher Strafverfolgung, sondern vor allem auch ein Wettlauf des Wissens.
Die Festnahme der drei verdächtigen Terroristen in der vergangenen Woche zeigt, dass wir wachsam bleiben müssen. Unsere Aufgaben lauten: Radikalisierung verhindern, Netzwerke aufklären – auch international –, Ermittlungsverfahren führen, Anschläge verhindern, Strafverfolgung ermöglichen. Kein Land der Welt wird diese Aufgaben alleine meistern können. Sicherheit beginnt bei uns zu Hause, sie endet dort aber nicht.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist im Kampf gegen den internationalen Terrorismus inzwischen gut aufgestellt:
Wir haben unser Gemeinsames Terrorabwehrzentrum. Wir haben die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern verbessert. Wir haben endlich die Vorratsdatenspeicherung eingeführt.
(Zurufe des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurde die Organisation neu geordnet, und wichtige nachrichtendienstliche Befugnisse, die sonst ausgelaufen wären, wurden verlängert. Wir haben für Klarheit beim Einsatz von V-Leuten gesorgt.
Wir haben neue Straftatbestände wie das Reisen in terroristischer Absicht und die Terrorismusfinanzierung geschaffen. Das ermöglicht neue Ermittlungsansätze. Wir entziehen Personalausweise und Pässe und erschweren dadurch Reisen von Verdächtigen in Kriegsgebiete wie Syrien und den Irak.
Mit dem Haushalt 2015 haben wir das Bundeskriminalamt und mit dem Haushalt 2016 die Bundespolizei erheblich gestärkt. Robuste Einheiten der Bundespolizei neben der GSG 9 werden aufgestellt. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Planungen für den Haushalt 2017 mit guten Nachrichten für mehr Sicherheit in Deutschland abgeschlossen werden können.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Aufgaben beginnen bei uns, aber sie gehen in Europa und mit unseren internationalen Partnern weiter. In Europa, meine Damen und Herren, ist in den letzten Monaten im Kampf gegen den Terrorismus mehr entschieden und vorangebracht worden als in den letzten Jahren. Auch dafür nenne ich einige Beispiele:
Das Smart-Border-System in der EU wird kommen – eine deutsche Initiative. Das bedeutet: Wir wollen Personen, die in den Schengen-Raum ein- und aus diesem wieder ausreisen, besser erfassen und registrieren. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch.
Wir haben dafür gesorgt, dass Grenzübertritte sogenannter ausländischer Kämpfer im Schengener Informationssystem besser erkannt und verhindert werden können.
Die europäische Fluggastdatenrichtlinie PNR kommt. Das bedeutet, Fluggastdaten werden von den Fluggesellschaften an die jeweiligen nationalen Stellen übermittelt, damit man Reisebewegungen von Verdächtigen besser aufklären kann.
Europol hat mit dem Europäischen Zentrum für Terrorismusbekämpfung unter deutscher Mitwirkung eine neue Zentrale für den Informationsaustausch geschaffen.
Das Registrierungssystem Eurodac wird unter Sicherheitsgesichtspunkten verbessert. Es soll nun auch Auskunft über die Namen der Flüchtlinge geben. Bisher werden dort nur Fingerabdrücke gespeichert, die keinen Bezug zu Namen haben.
Auch außerhalb von Sicherheitsbehörden und europäischen Partnerschaften haben wir unsere Aktivitäten nochmals verstärkt; denn Sicherheit ist auch eine Frage von Prävention und politischer Bildung: Bund und Länder arbeiten massiv daran, dass Menschen gar nicht erst in den Extremismus abdriften – in den Beratungsstellen und mit den Familien der betroffenen, oft jungen Menschen zusammen. Die Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitet neue Angebote, um junge Menschen zu erreichen, die anfällig sind für extremistisches Gedankengut. Wir drängen die großen Internetgesellschaften dazu, Hassbotschaften, Aufrufe zu Gewalt und Terror, Bombenbauanleitungen aus dem Netz zu entfernen.
All das führt dazu, dass wir national und europäisch inzwischen recht gut aufgestellt sind. Deswegen und weil es oft Kritik gibt – zum Teil auch berechtigte Kritik –, will ich mich an dieser Stelle auch heute noch einmal bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden, in den Beratungsstellen, in den Schulen, in der politischen Bildung, bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten von Bund und Ländern für ihre Arbeit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland herzlich bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist also viel geschehen, und das ist gut so. Dennoch haben wir uns trotz all dieser Maßnahmen, die wir umgesetzt oder auf den Weg gebracht haben, gefragt: Was müssen und können wir darüber hinaus noch tun, um unsere Bevölkerung besser zu schützen? Wo sehen wir noch Sicherheitslücken? Wie können wir die Sicherheitsbehörden bei ihrer immer komplizierter werdenden Aufgabe noch besser unterstützen? Der heute in erster Lesung verhandelte Gesetzentwurf ist ein Ergebnis dieser Überlegungen. Er hat drei wesentliche Bestandteile.
Der erste ist: Terroristen agieren international. Sie bereiten Anschläge länder- und staatenübergreifend vor. Sie kommunizieren über Staatsgrenzen hinweg. Wenn Terroristen sich international vernetzen, dann müssen sich auch Sicherheitsbehörden international vernetzen. So einfach ist das. In Europa brauchen wir eine Sicherheitsunion, und außerhalb Europas brauchen wir Sicherheitspartnerschaften. All das fängt mit dem Austausch von Erkenntnissen zwischen den Sicherheitsbehörden und auch zwischen den Nachrichtendiensten an. Wir wollen gemeinsame europäische Dateien schaffen, in die Personen aufgenommen werden, die an Terrororganisationen beteiligt sind. Die europäischen Nachrichtendienste sollen ihre Erkenntnisse auf diese Weise teilen und noch enger zusammenarbeiten.
Nun ist es so: Wenn man hier als Erster spricht, dann kann man nicht richtig debattieren, weil die Gegenargumente erst noch kommen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann tauschen wir das nächste Mal!)
Aber da ich ahne, dass ein bestimmtes Gegenargument vonseiten der Grünen kommt, will ich versuchen, es vorweg aufzugreifen und es hoffentlich zu widerlegen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr freundlich!)
– Ja, das ist sehr freundlich, Herr von Notz. – Ein Argument gegen diesen Gesetzentwurf wird vermutlich lauten: Er ist uferlos, betrifft nicht nur Terroristen, er ist zwar im Ansatz richtig, aber viel zu weitreichend. – So ähnlich ist es typischerweise doch, oder?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mann hat recht!)
Deswegen will ich Ihnen den Gesetzestext vorlesen, damit das ganz klar ist.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ihn gelesen!)
Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann für die Zusammenarbeit mit ausländischen öffentlichen Stellen ...
– also ausländischen Nachrichtendiensten; jetzt kommt es –
zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten, die sich auf bestimmte Ereignisse oder Personenkreise beziehen, gemeinsame Dateien einrichten, wenn ... die Erforschung von erheblichem Sicherheitsinteresse für die Bundesrepublik Deutschland und den jeweils teilnehmenden Staat ist ...
Das bezieht sich auf bestimmte Ereignisse und Personenkreise und auf erhebliche Sicherheitsinteressen. Das ist nicht uferlos. Das ist notwendig, geboten und sinnvoll.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz zu?
Ja, gern.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man damit anfängt! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man debattieren!)
Herr de Maizière, vielleicht können Sie, wenn Sie das schon so antizipieren, abschließend kurz ausführen, was denn für Gründe, gemäß denen Dateien angelegt und Daten ausgetauscht werden können, ausreichend sind. Es steht zwar „Terror“ darüber, aber ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht nur um Terror geht. Vielleicht können Sie abschließend aufzählen, worum es gehen kann und was diese Sicherheitsbereiche umfasst, die Sie eben angesprochen haben.
Sehen Sie, ein Gesetz wird immer so formuliert, dass man in abstrakter Form Tatbestandsvoraussetzungen – so nennen wir Juristen das – bestimmt. Dann muss in der Gesetzesanwendung eine Subsumption stattfinden, also eine Erläuterung, welche Sachverhalte unter die Begriffe passen, in diesem Falle: „Bestrebungen oder Tätigkeiten, die sich auf bestimmte Ereignisse oder Personenkreise beziehen“. Das umfasst also nicht das allgemeine Spektrum der Zuständigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Ufer?)
sondern betrifft nur bestimmte Ereignisse oder Personenkreise, also eine abgegrenzte Zahl von Personen oder Sachverhalten, zum Beispiel so etwas wie dschihadistische Bewegung in Deutschland. Dann muss das Ganze auch von erheblichem Sicherheitsinteresse sein. So schlimm Ladendiebstahl ist: Die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten zur besseren Bekämpfung von Ladendiebstählen betrifft nicht das erhebliche Sicherheitsinteresse von Deutschland; somit gibt es da auch keine gemeinsamen Dateien. – Also stecken Sie einmal Ihre Kritik weg, und überlegen Sie einmal, ob das nicht eine klug formulierte Passage ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, es kommt hinzu, dass Voraussetzung für die Teilnahme an dieser gemeinsamen Datei die Gewährleistung gemeinsamer Standards ist, zum Beispiel beim Datenschutz und bei der Erhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissen ist Macht. Und wir wollen den Terroristen in diesem Sinne machtvoll begegnen. Dafür müssen wir in Europa und mit unseren europäischen und internationalen Partnern noch enger zusammenarbeiten. Dafür brauchen wir gemeinsame Informationen.
Der zweite Punkt: Wir wollen die verschleierte Nutzung von sogenannten Prepaidkarten in kriminellen und terroristischen Strukturen verhindern. Die Regeln des Telekommunikationsgesetzes erlauben den Sicherheitsbehörden bereits jetzt – bei Verdacht auf Straftaten oder zur Gefahrenabwehr – Daten über den Urheber eines Anschlusses abzurufen – sogenannte Bestandsdaten. Beim Abruf der Daten stellt sich aber oft heraus, dass die Anschlussinhaber nur mit Fantasienamen – zum Beispiel Donald Duck – erfasst sind. Obwohl die Pflicht zur Identitätsfeststellung geltendes Recht ist, akzeptieren die entsprechenden Unternehmen oft diese Fantasienamen und machen so Strafverfolgung unmöglich. Das wollen wir beenden. Diese Sicherheitslücke muss geschlossen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sehen vor, dass wir im nächsten halben Jahr mit den Anbietern ein technikoffenes Verfahren und ein für die Kunden praktikables Verfahren für diese Identitätsfeststellung entwickeln. Es wird außerdem eine Übergangsfrist geben. Wir wahren damit das Interesse der Kunden und Unternehmen an einer einfachen Anschaffung eines Mobiltelefons; aber es muss auch möglich sein, zu ermitteln, wem ein Telefonanschluss gehört. Das ist nicht zu viel verlangt. Das ist ein vernünftiger Ausgleich, und er bringt einen spürbaren Nutzen für die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. Bequemlichkeit ist nicht alles im Leben, wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland geht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Mein dritter und letzter Punkt: Jede Landespolizei kann im Rahmen der landesgesetzlichen Befugnisse verdeckte Ermittler einsetzen – nicht V-Leute, sondern verdeckte Ermittler. Das sind Beamte, die zum Teil unter Lebensgefahr in schwierige kriminelle Netzwerke eindringen, um Straftaten zu verhüten und Strafverfolgung zu ermöglichen. Auch das Bundeskriminalamt kann solche verdeckten Ermittler einsetzen. Nur die Bundespolizei konnte das bisher nicht. Mit diesem Gesetz ermöglichen wir jetzt auch der Bundespolizei, insbesondere in internationale Schleuserorganisationen, Schlepperorganisationen einzudringen, um so diese besonders abscheuliche Form von Kriminalität besser bekämpfen zu können. Ich denke, wenigstens das müsste bei allen Zustimmung finden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, der Entwurf, den wir heute beraten, ist ein Entwurf mit Augenmaß, der den internationalen Informationsaustausch und die gemeinsame Analysefähigkeit stärkt, der die Qualität der Telekommunikationsbestandsdaten verbessert und der Bundespolizei eine zentrale Aufklärungsmöglichkeit einräumt, wie sie nahezu alle anderen Polizeien in Deutschland haben.
Europa und Deutschland sind durch den internationalen Terrorismus bedroht. Das ist Ernst und kein Anlass für parteipolitische Spielchen, kein Anlass für Panikmache, kein Anlass für Aktionismus, aber auch kein Anlass für Verharmlosungen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es gibt keine Garantie, in Deutschland von einem großen Terroranschlag verschont zu werden, aber es gibt den Auftrag an uns alle, dass uns Mögliche zu tun, damit es dazu möglichst nicht kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie davon unterrichten, dass die Fraktion Die Linke nach meinen einleitenden Bemerkungen ihren Antrag auf eine Aktuelle Stunde zum Thema „Bedrohung von Abgeordneten infolge der Armenien-Debatte“ zurückgezogen hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Frank Tempel hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907398 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Informationsaustausch bei Terrorismusbekämpfung |