17.01.2019 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 74 / Zusatzpunkt 5

Alexander UlrichDIE LINKE - Aktuelle Stunde: Zustand der EU - Deutsch-Französische Sonderwege

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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Es ist ein bisschen unklar, was die AfD mit der heutigen Aktuellen Stunde eigentlich will; denn unter dem Titel kann man sich ja vieles vorstellen.

Herr Gauland, Sie hatten am Wochenende Ihren Europaparteitag. Wenn man über den Zustand der Europäischen Union diskutiert, dann sollte man klar zum Ausdruck bringen – Sie haben heute hier die Antwort leider nicht gegeben –: Warum kandidiert denn eigentlich die AfD bei der Wahl des Europäischen Parlaments, wenn man gleichzeitig beschließt, das Europäische Parlament abschaffen zu wollen?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Solange es da ist, müssen wir dabei sein! Das ist doch ganz klar!)

Sie gehen doch auch nicht in ein Restaurant, in dem Ihnen das Essen nicht schmeckt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wollen Sie nur das Geld mitnehmen? Wollen Sie nur die Diäten mitnehmen? Wer das Europäische Parlament abschaffen will, sollte aufhören, hier Aktuelle Stunden über Europa zu beantragen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, die Europäische Union ist in einer tiefen Krise. Der Brexit hat das, glaube ich, noch einmal zum Ausdruck gebracht. Deshalb muss man sich schon Gedanken machen, wie es mit dieser Europäischen Union weitergehen soll. Ich sage aber auch in Richtung der CDU/CSU: Wer einen EU-Kommissionspräsidenten – er kann auch aus Deutschland sein – will, der mit Viktor Orban zusammenarbeitet: So einen brauchen wir an der Spitze der EU-Kommission nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was ist denn nun eigentlich der nächste Schritt? Wer mit Viktor Orban auf europäischer Ebene zusammenarbeitet, der ist nicht mehr weit davon entfernt, auch in Deutschland Koalitionen mit der AfD zu bilden.

(Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] – Florian Hahn [CDU/CSU]: Ach Gott!)

Es besteht kein Unterschied zwischen dem, was Viktor Orban in Ungarn macht, und den Positionen, die wir hier aus dem Hause immer wieder hören.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie stimmen öfters mit der AfD!)

Deshalb wäre es eigentlich notwendig, dass Sie vor der Europawahl deutlich machen, dass dieser Viktor Orban mit seiner Partei aus Ihrer europäischen Parteifamilie austritt. Wer das nicht tut, wird den Rechten leider den Weg bereiten.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie stimmen doch die ganze Zeit zusammen!)

Wir Linke im Bundestag begrüßen es, dass die Parlamente von Deutschland und Frankreich ihre Partnerschaft vertiefen. Ja, ich glaube, das könnte Impulse geben, wenn es darum geht, wie man die europäischen Standards verbessern kann, etwa bei Mindestlöhnen oder auch bei der Mindestbesteuerung von Konzernen, bei der digitalen Infrastruktur, dem ökologischen Umbau der Wirtschaft, der Abrüstung oder Entspannungspolitik mit anderen Ländern. Das wären alles schöne Themen, die man zwischen unseren Parlamenten diskutieren kann. Wir werden uns auch in den parlamentarischen Versammlungen über die Kontakte in den Ausschüssen mit unseren französischen Kollegen auf genau solche Themen verständigen.

Das Problem ist aber – das sage ich auch ganz deutlich –: Den Aachener Vertrag, den Nachfolgevertrag des Élysée-Vertrags, werden wir Linke ablehnen;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

denn man hat überhaupt nicht verstanden, warum Europa in einer tiefen Krise ist.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie haben es nicht verstanden! Sie haben den Vertrag nicht verstanden!)

Da steht zum Beispiel in der Präambel etwas vom Bestreben in Richtung auf eine soziale und wirtschaftliche Aufwärtskonvergenz. Aber wenn man sich dann den Vertrag anschaut, dann sieht man: Da steht über soziale Politik überhaupt nichts. Man hat überhaupt nicht verstanden, was notwendig wäre, um in Europa den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Ein großes Kapitel aber ist das Thema „Aufrüstung, gemeinsame Verteidigung, Auslandseinsätze“ usw. Wer das Friedensprojekt Europa immer wieder in Sonntagsreden betont, sollte aufhören, das Gegenteil in einen Vertrag hineinzuschreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Alleine aus diesem Grund können wir diesen Vertrag nicht mittragen.

Wir sagen auch ganz deutlich: All diejenigen, die zwischen den Zeilen immer wieder von einer deutsch-französischen Sicherheitspartnerschaft tönen, auch für gemeinsame Einsätze zur Verteidigung, stellen damit den Parlamentsvorbehalt infrage. Wir Linke werden alles dafür tun, dass der Parlamentsvorbehalt in Deutschland erhalten bleibt. Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir werden alles tun, damit sie nicht infrage gestellt wird.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das steht da gar nicht drin! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das steht überhaupt nicht zur Debatte! Erzählen Sie doch den Leuten nicht falsche Dinge!)

Die von Bundeskanzlerin Merkel und Macron im Aachener Vertrag beanspruchte Führungsrolle für die weitere Entwicklung der EU zielt jedoch in die falsche Richtung und wird auch zu Spaltungen in anderen Ländern führen. Ich glaube, das, was wir brauchen, ist, dass die Länder, die nach dem Austritt Großbritanniens noch Mitglied der Europäischen Union sind, zusammenarbeiten. Ich weiß nicht, ob sich Deutschland und Frankreich Gedanken darüber gemacht haben, mit Ländern wie Malta oder Luxemburg oder Portugal oder Spanien zu reden und zu fragen, was diese Länder darüber denken, dass man hier wieder einen Sonderweg gehen will, dass Frankreich und Deutschland vorschreiben wollen, wohin sich die Europäische Union entwickeln sollte.

Bei aller Partnerschaft mit Frankreich wird die Linke dafür sorgen, dass wir keinen Deut weniger mit anderen Partnerländern der Europäischen Union zusammenarbeiten; denn die EU wird nur gelingen, wenn jeder seine Rechte und seine Möglichkeiten hat, nicht nur Deutschland und Frankreich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Leider ist auch der Aachener Vertrag keine Antwort auf die soziale Krise. Wie gesagt – ich habe es erwähnt –, wir werden Europa nur retten können, wenn wir einen Neustart organisieren. Wir brauchen ein solidarisches Europa. Wir brauchen Impulse für den sozialen Zusammenhalt. Es ist ja nicht von ungefähr so, dass in Frankreich so viele Menschen auf die Straße gehen. Weil es auch Herr Gauland angesprochen hat: Ja, wir solidarisieren uns mit dem sozialen Protest in Frankreich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer gegen Lohnabbau und Sozialabbau ist, weil Hartz IV und die Agenda 2010 auch in Frankreich eingeführt werden sollen, der hat dann, wenn er auf die Straße geht, unsere Solidarität.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber natürlich distanzieren wir uns, wenn derjenige dafür Gewalt instrumentalisiert.

Achten Sie bitte auf die Redezeit.

Aber grundsätzlich ist das, was die Gelbwesten an sozialem Protest auf die Straße bringen, vollkommen richtig.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Gewalt auch, oder was?)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7317786
Wahlperiode 19
Sitzung 74
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Zustand der EU - Deutsch-Französische Sonderwege
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