Christian LindnerFDP - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat an uns alle appelliert, in Zeiten der Pandemie weiter umsichtig zu sein. Sie hat in ihren Ausführungen dargelegt, dass Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sei. Das verdankt sich ja gerade der großen Mehrheit unseres Landes, der großen Mehrheit verantwortungsbewusster Menschen, die auch in Zeiten der Pandemie mit ihrer Freiheit umsichtig umzugehen verstehen.
Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, war es richtig, dass Sie heute angemessene Worte gefunden haben. In der politischen Diskussion in den vergangenen Wochen hat man gelegentlich davon gehört, es müssten die Zügel angezogen werden oder man müsste mit brachialen Maßnahmen auf die Menschen zugehen. So umsichtig, wie die Bevölkerung in den vergangenen Monaten mit der Pandemie umgegangen ist, und insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Menschen in unserem Land Grundrechtsträger sind, deren Freiheit garantiert ist, ist Ihre Ausdrucksweise heute angemessener. Wir sollten nie vergessen, dass nicht der Staat den Menschen Freiheit gewährt, sondern dass die Menschen nur Einschränkungen ihrer Freiheit akzeptieren, wenn sie vernünftig und verhältnismäßig sind.
(Beifall bei der FDP)
Ein zweiter Lockdown muss verhindert werden. Sie haben gesagt, Deutschland sei bisher vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen. Nichtsdestotrotz hat diese Krise großen Schaden angerichtet. Wie viele Familien hat unser Staat im Stich gelassen, als Kitas und Schulen geschlossen haben! Wie viele ältere Menschen sind in Pflegeeinrichtungen vereinsamt, weil ihre Angehörigen nicht mehr zu Besuch kommen konnten! Und wie viele Millionen Menschen fürchten bis heute um ihre wirtschaftliche Existenz! Deshalb trägt jeder Einzelne Verantwortung. Aber auch die staatliche Verantwortungsgemeinschaft ist gefordert, jetzt, in diesem Herbst und Winter, Maßnahmen zu ergreifen, dass sich ein Stillstand dieses Landes nicht wiederholen muss.
Sie haben gestern dazu mit den Ministerpräsidenten beraten. Wie bereiten wir uns auf diesen Herbst vor? Sicherlich helfen uns Überschlagsrechnungen zu dramatisch steigenden Zahlen alleine nicht. Was uns fehlt, sind konkrete Maßnahmen. Und auch heute, nach Ihrer Konferenz mit den Ministerpräsidenten, muss der Präsident der Bundesärztekammer beklagen, dass wir vor dem Herbst immer noch nicht über eine nationale Teststrategie verfügen, die die Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in Lehrberufen schnell und günstig mit einem Test versorgt – so heute Klaus Reinhardt.
(Beifall bei der FDP)
Grundrechtseingriffe brauchen einen faktischen Anlass. Freiheitseinschränkungen kann man nicht alleine mit der Annahme einer drastischen Steigerung von Neuinfektionen begründen. Zudem müssen schließlich auch die Kapazitäten des Gesundheitswesens berücksichtigt werden. Die Zahl der Neuinfektionen allein ist kein Indikator. Uns fehlen deshalb beispielsweise Ampelmodelle, wie sie von Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen worden sind. Das muss nicht unbedingt mit Grün als einer Farbe sein, die für „Entwarnung“ steht, sondern nach rheinland-pfälzischem Vorbild kann das auch eine andere Farbgebung sein.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Rot muss dabei sein!)
Aber eine solche transparente Beschreibung der Situation vor Ort fehlt uns.
Freiheitseinschränkungen müssen geeignet und verhältnismäßig sein. Große Zweifel haben wir deshalb an der im Land Berlin verhängten Maskenpflicht in Büros; denn das sind nicht die Orte, wo es vor allen Dingen zu Neuinfektionen in diesem Land kommt.
(Beifall bei der FDP)
Wir sind erleichtert, Frau Bundeskanzlerin, dass es entgegen den ursprünglichen Absichten Ihrer Regierung nicht zu einer Beschränkung privater Treffen in privaten Wohnungen kommt. Hier haben Landesregierungen zu Recht widersprochen; denn auch in Zeiten einer Pandemie gilt die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung.
(Beifall bei der FDP)
Es ist richtig, dass weiter ein regionaler Ansatz verfolgt wird. Frau Merkel, Sie haben ja gerade in Ihrer Darlegung auch hervorgehoben, wie leistungsfähig unsere föderale Ordnung ist. Man kann gegenwärtig auch nicht mehr davon ausgehen, dass momentan, an diesem Tag unser öffentliches Gesundheitswesen mit der Pandemie überfordert ist. Das aber war der Grund, warum wir seinerzeit eine pandemische Notlage nationaler Tragweite in diesem Deutschen Bundestag festgestellt haben. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür bestehen nun nicht mehr. Deshalb sollte Ihre Regierung die Sonderbefugnisse in die Hände der ersten Gewalt zurückgeben. Sonst sollte der Deutsche Bundestag sie sich nehmen, weil es auch eine Frage der parlamentarischen Selbstachtung ist.
(Beifall bei der FDP und der AfD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesfinanzminister hat einen Haushaltsentwurf mit 96 Milliarden Euro neuen Schulden vorgelegt. In diesem und im nächsten Jahr zusammen wird der deutsche Staat im Bundeshaushalt sich mit 314 Milliarden Euro neu verschulden. So viele Schulden hat Deutschland noch nie aufgenommen in so kurzer Zeit. Hinzu kommen ja noch die zusätzlichen Haftungsverpflichtungen, die unser Land in der Europäischen Union übernimmt.
Es war richtig, dass während der ersten Phase der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ein Sicherheitsnetz für Beschäftigung und Betriebe gespannt worden ist. Dem haben wir uns auch nicht verweigert. Übrigens fehlen dort immer noch wichtige Elemente. Wo zum Beispiel ist ein spezifisch gezieltes Programm zur Unterstützung von Soloselbstständigen, Freelancern und Kulturschaffenden?
(Beifall bei der FDP)
Warum gibt es bis heute nicht die Möglichkeit der vollen Anrechnung der Verluste dieses Jahres auf die Steuerschuld der Jahre 2019 und 2018? Ein viel besseres Instrument als manche Soforthilfe, die Sie ausgezahlt haben!
(Beifall bei der FDP)
Also: Es war richtig, ein Sicherheitsnetz für Beschäftigung und für Betriebe zu spannen, selbst wenn es noch immer Lücken aufweist. Dass aber Sie, Herr Scholz, auch im nächsten Jahr, 2021, weiter auf Rekordschulden setzen und wiederum die Schuldenbremse missachten, das hat mit Nothilfe nichts mehr zu tun.
(Beifall bei der FDP)
Wir sehen nämlich die ersten Erholungssignale. Und vor allen Dingen haben Sie dem Bundeshaushalt bereits vor Corona erhebliche Lasten aufgebürdet. Allein die Leistungsausweitungen in der Rentenkasse machen 20 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr aus. Es ist nicht ein Virus, das den Haushalt ruiniert. Es ist eine seit vielen Jahren falsche Politik, die die Staatsfinanzen ruiniert hat.
(Beifall bei der FDP)
In den vergangenen fünf Jahren sind die Sozialausgaben stärker gewachsen als die Wirtschaft – mit einer Ausnahme. Selbst im vergangenen Jahr bei Rekordbeschäftigung und Niedrigarbeitslosigkeit hat dieser Staat zum ersten Mal mehr als 1 Billion Euro an Sozialausgaben geleistet. Um es konkret zu machen: Hubertus Heil gibt am Tag mehr Geld aus, als Ihre Regierung, Frau Merkel, in einem ganzen Jahr in Gigabitnetze investiert.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Für die Rentnerinnen und Rentner!)
Und das ist eine Schieflage Ihrer Politik.
(Zurufe von der LINKEN)
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin für einen treffsicheren Sozialstaat,
(Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Zurufe von der LINKEN)
der die Menschen in Not nicht im Stich lässt.
(Beifall bei der FDP)
Aber zu einem Sozialstaat gehört eben auch, dass er seine Möglichkeiten nutzt, um dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen in die Notlage kommen, ihn in Anspruch nehmen zu müssen.
(Beifall bei der FDP)
Und genau dort, bei diesen Investitionen in sozialen Aufstieg, leistet die Regierung kein hinreichendes Engagement; denn ausgerechnet bei Bildung und Forschung wird sich der Anteil der staatlichen Ausgaben in den nächsten Jahren reduzieren. In diesen Zeiten die Mittel für Bildung und Forschung nicht zu verstärken, ist das Gegenteil der notwendigen sozialen Vorsorge, die unser Land bräuchte.
(Beifall bei der FDP)
Und, Frau Merkel, Sie haben hier eben geradezu wie eine interessierte Beobachterin beschrieben, nach 15 Jahren im Amt der Bundeskanzlerin, wie unsere Situation im Bereich der Schulen ist. Wir, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, mussten ja sozusagen mit harten politischen Bandagen kämpfen, um eine Änderung des Grundgesetzes zu erreichen, damit der Bund überhaupt in der Lage ist, Systemadministratoren in der Bildung zu finanzieren. Das war gegen den Widerstand der Unionsparteien und zumal der CSU. Jetzt kommt es dazu, Gott sei Dank.
Nur kann doch kein Zweifel bestehen, dass selbst die Maßnahmen, die Sie jetzt beschlossen haben, nicht ausreichen, um unser Bildungssystem auf den Stand der Zeit zu bringen. Wo sind denn die digitalen Lernplattformen? Wo ist die Weiterbildungsinitiative? Und vor allen Dingen: Wie sorgen Sie dafür, dass die Gelder überhaupt im Alltag der Schulen ankommen? Die Mittel des Digitalpakts fließen überhaupt gar nicht ab, weil sich unser Land in eine Art der Selbstverbürokratisierung, in eine Selbstfesselung selbst bei zentralen Aufgaben, verstrickt hat.
(Beifall bei der FDP)
Viel mehr wäre hier nötig – Sparen nicht.
Frau Bundeskanzlerin, wir haben am Arbeitsmarkt eine Situation, die nicht allein mit der Pandemie erklärbar ist. Die IG Metall geht von 300 000 potenziell verlorengehenden Arbeitsplätzen in der Metall- und Elektrobranche aus: gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze.
300 000 Arbeitsplätze, die verlorengehen, betreffen 300 000 Familien, die sich morgen fragen, wovon sie leben sollen.
(Zuruf von der LINKEN: Die wollen Sie ja im Regen stehen lassen!)
Das ist Kaufkraftverlust in Regionen.
Der Ford-Chef hat sich heute im Handelsblatt geäußert. Und das, Frau Merkel, was er gesagt hat, hörte sich gar nicht nach coronabedingten Einbrüchen an. Das klang ganz anders. Er hat beklagt, dass es gerade in seinem Segment der Fahrzeugindustrie nicht Corona ist, das den Absatz gefährdet,
(Zuruf von der LINKEN: Sondern die FDP!)
sondern dass es die Klimapolitik und die Fixierung auf batterieelektrische Antriebe sind, die dazu geführt haben, dass in seinem Unternehmen Arbeitsplatzabbau und Strukturbruch bevorstehen.
Markus Söder reiht sich da ein. Auch Herr Söder fordert jetzt für das Jahr 2035 das Verbot des Verbrennungsmotors. Sinnvoll für die Beschäftigung in Deutschland wäre es, nicht den Klimawandel zu leugnen, wie manche das hier im Haus tun, aber mit Technologieoffenheit für Verbrenner mit synthetischem Kraftstoff, für batterieelektrischen Antrieb und für Wasserstoff die Weichen zu stellen, damit sich im marktwirtschaftlichen Prozess die Zukunftsantriebe herausbilden können.
(Beifall bei der FDP)
Nichts davon passiert. Ich sehe mit Interesse, was Markus Söder da macht; mir kommt das bekannt vor. Gerade am vergangenen Wochenende gab es – herzliche Gratulation an die Kollegin Dörner von den Grünen – eine Oberbürgermeisterwahl in Bonn. Sechs Jahre gab es in Bonn einen schwarzen Oberbürgermeister, der mit seiner Ratsmehrheit Jamaika überwiegend grüne Politik gemacht hat, und jetzt nun in der Stichwahl hat sich die grüne Kandidatin natürlich gegen den CDU-Kandidaten durchgesetzt, weil man im Zweifel das Original gewählt hat. Im früher von bürgerlichen Mehrheiten geführten Bonn gibt es nun, Frau Merkel, eine grün-rot-rote Mehrheit mit grüner Bürgermeisterin. – Viele Grüße an Markus Söder, wenn das die Strategie der Union sein sollte.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, NRW tut weh! Ich bin zufrieden! Sehr sogar!)
Also, Frau Merkel, die Arbeitsplatzverluste, die wir gegenwärtig in der Volkswirtschaft haben, sind nicht alleine mit Corona erklärbar, sondern ganz im Gegenteil: Falsche Grundentscheidungen der vergangenen Jahre werden jetzt mit Subventionen und Kurzarbeit überdeckt, um noch über den Wahltermin 2021 zu kommen.
(Beifall bei der FDP)
Besser wären faire Rahmenbedingungen.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Mehrwertsteuersenkungen!)
Es kann ja überhaupt gar kein Zweifel daran bestehen, dass wir Zielkonflikte haben, etwa zwischen dem Klimaschutz und der Beschäftigung. Diese Zielkonflikte kann man auch nicht leugnen, vielmehr müssen wir eine Politik formulieren, die die unterschiedlichen Ziele, nämlich einerseits Beschäftigung und Klimafreundlichkeit andererseits, verbindet. Da sind wir alle gefordert. Dafür brauchen wir faire Rahmenbedingungen und vor allen Dingen Einsicht in das physikalisch Mögliche. Da brauchen wir eine Umkehr.
Herr Wirtschaftsminister Altmaier hat einen Entwurf für ein EEG 2021 vorgelegt. Bis 2030, Herr Altmaier, gehen Sie unverändert von einem Strombedarf von 580 Terawattstunden im Jahr aus. Wie ist es denn eigentlich mit der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte? Wie passt es eigentlich, dass Sie bei der Stahlproduktion ausschließlich auf Grünen Wasserstoff setzen, der aus dem Strom kommt, wir aber gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aussteigen? Ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz, Herr Altmaier, macht nicht nur die Energie in Deutschland teuer und damit Arbeitsplätze weniger wettbewerbsfähig; Sie sorgen auch dafür, dass Herr Scholz uns nicht nur eine Haushaltslücke hinterlässt, sondern Sie der nächsten Regierung auch noch eine Stromlücke für die nächsten Jahre.
(Beifall bei der FDP)
Das werden wir durch ein anderes, ein marktwirtschaftliches System aufarbeiten müssen.
Apropos Energiesicherheit. Wir steigen aus der Kernenergie aus, wir steigen aus der Kohle aus, und ich habe gelesen: Letztlich wollen Bündnis 90/Die Grünen nun auch quasi sofort aus dem Gas aussteigen.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– So lese ich zumindest den Gastbeitrag, den Ihre Parteivorsitzende gestern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verfasst hat. Sie wendet sich gegen Nord Stream 2. Wir werden allerdings nicht nur aus Energieträgern aussteigen können; wir werden übergangsweise auch noch andere Energieträger brauchen. Tatsächlich: Bei Nord Stream 2 ist ein Moratorium nötig,
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach?!)
aber nicht aus energiepolitischen Gründen, sondern weil wir nicht tolerieren können, dass in Europa Anschläge mit Gift, das vom Völkerrecht verboten ist, unternommen werden.
(Beifall bei der FDP)
Wir sollten aber nicht dauerhaft aus einer wichtigen Infrastruktur aussteigen, sondern wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das in Europa durch Verabredungen mit Transitstaaten und der Ukraine möglich ist. Wir sollten dafür sorgen, dass wir, wenn wir noch über längere Zeit Gas nutzen, andere Technologien, wie etwa die Speicherung von CO
Auf Russland sollten wir nicht mit dem dauerhaften Stopp eines Infrastrukturprojekts reagieren, zumindest so lange nicht, wie wir Hoffnung haben dürfen, dass dereinst eine demokratische Regierung dort auf wirtschaftliche Prosperität angewiesen ist. Was wir tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen und Frau Merkel, ist, dass wir den Ankündigungen, die Sie gerade hier geäußert haben, Taten folgen lassen, indem der Deutsche Bundestag Magnitskij-Gesetzgebung einführt, damit wir nicht ganze Bevölkerungen mit Sanktionen treffen, sondern sie zielgerichtet auf diejenigen konzentrieren können, wie etwa die Unterstützer von Putin, die auch Verantwortung für Menschenrechtsverletzung tragen. Das wäre ein Zugang.
(Beifall bei der FDP)
Und, Frau Bundeskanzlerin, wenn Anton Börner, der jetzt neuer Präsident des BGA wird, ein entschiedeneres Auftreten gegenüber Russland und China fordert, wenn das der Außenhandel fordert, dann sollte das für Sie eine Verpflichtung sein. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie am heutigen Tag, da Joshua Wong in Hongkong vor Gericht steht, diesen Namen auch hier aussprechen. Denn wir können eines vor allen Dingen für die demokratische Opposition in Hongkong, in China, in Belarus und Russland tun: Wir können dafür sorgen, dass sie nicht in Vergessenheit geraten und dass diese Regierungen nicht Bürger- und Menschenrechte einschränken können, ohne dass wir darauf zu sprechen kommen.
(Beifall bei der FDP)
Der chinesische Außenminister hat bei seinem Besuch in Europa gesagt, wer dies anspreche, der müsse einen Preis zahlen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte trotz aller Exportorientierung klarmachen: Bei Menschenrechten und den Rechten der demokratischen Opposition sind wir bereit, diesen Preis zu zahlen.
(Beifall bei der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Scholz hinterlässt einen Haushalt mit 42,5 Milliarden Euro Handlungsbedarf ab 2022. Daran wird sich doch ein neuer politischer Aushandlungsprozess, eine Richtungsauseinandersetzung festmachen. Herr Scholz spricht jetzt schon von Steuererhöhungen, bezeichnenderweise übrigens nicht – das war zumindest nicht Ihr erstes Argument, Herr Scholz – zur Deckung von laufenden Einnahmen. Vielmehr haben Sie gewissermaßen aus Gerechtigkeitsgründen gefordert, dass bestimmte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus verteilungspolitischen Gründen einen größeren Beitrag leisten müssen. Ihnen sei gesagt: Die 25 Prozent der obersten Leister der Einkommensteuer bringen 75 Prozent des Aufkommens auf. Das ist bereits Umverteilung „at its best“. Und wer ist das? Es sind die Familienbetriebe.
(Widerspruch bei der SPD)
Es sind die Freiberufler. Es ist das Handwerksunternehmen, für das die Einkommensteuer die betriebliche Steuer ist. Denen Steuererhöhungen in einer Wirtschaftskrise anzukündigen, das ist nicht das beste Konjunkturprogramm, das wir uns vorstellen können, sondern ganz im Gegenteil: Das kostet Beschäftigung.
(Beifall bei der FDP)
Wenn Sie hier sagen, die Coronahelden brauchen keinen Orden, sondern ein gutes Gehalt, dann ist Ihnen zuzustimmen. Wenn sich Verdi mit der Forderung von 4,8 Prozent mehr Lohn durchsetzt, Herr Scholz, dann bemühen Sie doch bitte einmal den Lohnsteuerrechner des BMF im Internet. Dann stellen Sie fest: Von der Gehaltserhöhung der Coronahelden, die Sie gefordert haben, bleibt die Hälfte beim Fiskus.
(Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])
Diese Menschen können sich von salbungsvollen Worten im Parlament nichts kaufen. Wer den Menschen, die in wichtigen Berufen mit kleinen Einkommen arbeiten, wirklichen Respekt zollen will, der sorgt für eine Änderung des Lohnsteuertarifs durch einen Respekttarif.
(Beifall bei der FDP)
Die zweite Frage – Herr Präsident, ich habe die Uhr im Blick – wird sein: Wie halten wir es mit den Schulden? Von der Fraktion der Grünen war gestern nicht nur die Forderung nach Steuererhöhungen zu hören, sondern auch, dass die öffentliche Verschuldung zu einer neuen Staatsphilosophie verklärt wird. Es geht gar nicht mehr um die Schuldenbremse, sondern es ist quasi eine höhere Einsicht in die Staatsphilosophie, auf Dauer mehr Schulden zu machen. Das reduziert die Resilienz unseres Staates für zukünftige Krisen. Es ist nicht gesichert, dass wir uns auf den Kapitalmärkten auf Dauer zu Niedrigzinsen werden verschulden können. Vor allen Dingen besteht die Gefahr von Inflationsszenarien, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn von Deutschland geht ein Signal nach Europa aus. Wenn wir nicht wieder zur haushaltspolitischen Solidität zurückkehren, ist das ein Signal für Europa insgesamt.
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie sollten mal ein Semester Volkswirtschaftslehre machen!)
Frankreich hat bereits angekündigt, dass es bis 2025 die Maastricht-Kriterien nicht einhalten will. Sie wollen den Stabilitätspakt dauerhaft verändern. Wenn Deutschland nicht zu einer Politik der Schuldenbremse zurückkehrt, dann ist die überdehnte Schuldenpolitik von heute bereits der Anfang der europäischen Schuldenkrise von morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Also: Einen klaren Kurs zurück zur Schuldenbremse, eine Trendwende, raus aus der Belastung, hin zur Entlastung. Wir brauchen eine haushaltspolitische Wende, wie wir sie 2009 schon einmal hatten. Während der Finanzkrise ist nicht nur eine neue Verschuldung gemacht worden, sondern es gab auch ein hartes Ringen über jede einzelne Ausgabe im Haushalt. Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie wir in der damaligen Koalitionsrunde im Kanzleramt zusammensaßen
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr erfolgreich!)
und die Politik der schwarzen Null eingeleitet haben. Da war nicht alles richtig. Ich erinnere mich noch, dass ein CSU-Verteidigungsminister mit federndem Gang in den Koalitionsausschuss kam und erklärte, seinen Sparbeitrag werde er dadurch erbringen, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird.
(Thomas Hitschler [SPD]: Sie haben zugestimmt!)
Ich muss sagen: Das war ein Fehler; denn die Aussetzung der Wehrpflicht kann niemals ein Sparprogramm sein. Aber diese haushaltspolitische Linie war grundsätzlich richtig.
(Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])
Heute dagegen haben wir einen Bundesfinanzminister, der geradezu dazu ermuntert, mehr auszugeben. Bei der Grundrente gibt es einen Beschluss ohne Gegenfinanzierung; denn die Finanztransaktionsteuer ist bislang noch nicht beschlossen. Jeder Haushalt bietet Spielräume: Haushaltsreste, Subventionen, Asylrücklage. Herr Brinkhaus hat gestern hier gesprochen und den Haushaltsplan von Olaf Scholz in Bausch und Bogen abgelehnt.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hat er das wirklich gemacht?)
– Das haben Sie gemacht, Herr Brinkhaus.
(Beifall bei der FDP)
Aber hier geht es nicht um Fensterreden, hier geht es auch nicht um den Haushaltsentwurf von Herrn Scholz. Wenn dieser Haushalt beschlossen wird, dann ist es auch der Haushalt der CDU/CSU mit allen Löchern, mit allen Mehrausgaben. Mit diesem Bundeshaushalt wird jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland mit 1 200 Euro zusätzlichen Schulden belastet. Allein durch die Auflösung der Asylrücklage könnte diese Mehrbelastung um die Hälfte reduziert werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Dies zu unterlassen, wäre nicht nur ökonomisch unklug, es wäre ein schwerer Bruch der Generationengerechtigkeit. Es wäre der Totenschein für die Schuldenbremse.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Jetzt erhält das Wort der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Rolf Mützenich.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 179 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |