08.12.2020 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 197 / Tagesordnungspunkt I.8

Bettina Stark-WatzingerFDP - Bildung und Forschung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kerstin Radomski, heute ist der Tag der Bildung, und heute kam eine neue Studie heraus, nach der ein Viertel der Viertklässler, also ein signifikanter Teil, nur rudimentäre Kenntnisse in Mathematik hat. Deswegen: Ja, Bildung in der Schule ist eigentlich Ländersache,

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nicht „eigentlich“!)

aber wir haben eine Grundgesetzänderung vorgenommen und haben uns dazu entschieden, an bestimmten Stellen auch als Bund aktiv zu werden.

Wir beschließen heute einen Haushalt von 21 Milliarden Euro. Zwischen der Einbringung und dem Ende der Bereinigungssitzung sind 500 Millionen Euro dazugekommen. Das hört sich erst mal toll an, aber am Gesamtetat macht dieser Haushalt 4 Prozent aus. 52 Prozent gehen in den Sozialetat, 4 Prozent in Bildung und Forschung. In Anlehnung an John F. Kennedy sage ich jetzt einfach mal: Es gibt nur eines, was teurer ist als Bildung und Innovation, nämlich keine Bildung und Innovation.

(Beifall bei der FDP)

Die aktuelle bildungspolitische Forschung zeigt das auch. Wenn wir die Bildungsleistung in unserem Land um 25 PISA-Punkte erhöhen würden, könnte unser Bruttoinlandsprodukt auf 15 Billionen Euro, also auf das Fünffache des tatsächlichen Bruttoinlandsprodukts, steigen. Ich denke, das ist ein Anstieg, den auch der Wirtschaftsminister im Augenblick gerne sehen würde.

Doch Bildung ist nicht nur eine Frage des wachsenden Wohlstands in einer Gesellschaft; sie ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, meine Damen und Herren. Und da sieht es in diesem reichen Land doch sehr arm aus. Schauen wir uns die Bildungsgerechtigkeit und soziale Mobilität an: Nur 21 von 100 Kindern aus Nichtakademikerhaushalten gehen an die Universität, 8 schließen ein Masterstudium ab. In Deutschland braucht es zwei bis vier Generationen, bis Kinder aus einkommensschwachen Familien ein Durchschnittseinkommen erzielen können.

(Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aufstiegschancen werden nicht durch staatliche Umverteilung im Sozialministerium geschaffen. Sie werden dort geschaffen, wo der Mensch das Handwerkszeug an die Hand bekommt, um aus eigener Leistung zu wachsen, nämlich durch Bildung, meine Damen und Herren. Dafür zu sorgen, ist auch Ihre Aufgabe, Frau Ministerin.

(Beifall bei der FDP)

Und Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen: In skandinavischen Ländern – dort zeigt es sich – ist Bildung ein viel integralerer Bestandteil von Sozialpolitik. Bildungspolitik wird dort für den Statuserwerb und nicht nur für den Statuserhalt gemacht. Das muss unser Vorbild sein.

Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen. Ein Drittel der Abiturienten, die nicht studieren, geben fehlende finanzielle Voraussetzungen als Grund dafür an, dass sie nicht studieren. Das ist für uns Freie Demokraten ein unerträglicher Zustand.

(Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber Sie wollen das doch mit Krediten ändern!)

Es gibt in diesem Haus, von der Union bis zu den Linken, einen parteiübergreifenden Konsens, dass hier etwas getan werden muss; aber es passiert nichts. Wir haben das elternunabhängige BAföG vorgelegt,

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, das ist doch ein Schmarrn! Das ist doch der Einstieg in die Elitenförderung!)

ein Konzept, das junge Menschen unabhängig davon macht, aus welcher Situation sie kommen, und sie in die Lage versetzt, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Das ist unser Vorschlag, um die soziale Mobilität in unserem Land zu erhöhen. Von Ihnen, liebe Union, gibt es zu diesem Thema nichts. Sie verwalten den Status quo und akzeptieren diese Ungerechtigkeit stillschweigend. Das müssen wir ändern!

(Beifall bei der FDP)

Stillstand bei der Digitalisierung; Rückschritte sehen wir durch Corona. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich Ihnen sage: Nie war digitale Bildung so wichtig wie heute. „… wir machen jetzt Nägeln mit Köpfen“, haben Sie, Frau Ministerin, 2018 hier im Plenum gesagt. Und: „... was im Kinderzimmer Standard ist, muss es im Klassenzimmer doch erst recht sein.“ Realitätscheck in meinem Heimatland Hessen: Für die geplante Anschaffung von Dienstlaptops für alle Lehrer – so hat es Ihr Parteikollege Herr Lorz, der hessische Kultusminister, gesagt – werde wahrscheinlich Ende des Jahres der Startschuss fallen. Fast ein Jahr nach Beginn der Coronakrise!

(René Röspel [SPD]: Das läuft mit der FDP in NRW noch schlechter!)

Es werde an einer Verwaltungsvereinbarung gearbeitet. Es sei voraussichtlich nur noch eine Frage von Wochen, und im Laufe des nächsten Jahres – mehr als ein Jahr nach Corona! – könnten diese Laptops dann verteilt werden. Wann kommen die Laptops, liebe Frau Ministerin? Ich bitte Sie: Geben Sie uns jetzt mal einen Zeitplan.

(Beifall bei der FDP)

Ja, die Kooperation zwischen Bund und Land ist nicht trivial, aber wir haben in unserem Land schon ganz andere Probleme gelöst. Sie stellen in vielen Ländern die Landesregierungen. Also: Packen Sie es an! Der DigitalPakt muss in dieser Legislaturperiode noch richtig zum Laufen kommen.

Wir haben kein finanzielles Problem; wir haben ein Umsetzungsproblem – der Bundesrechnungshof hat dazu viele Berichte auf den Tisch gelegt –: Bei Forschung und Innovation fließen die Mittel nicht ab; für eine Wasserstoffunion ist bisher noch kein einziger Vertrag abgeschlossen.

Für uns Freie Demokraten gilt: Wie sozial ein Staat ist, zeigt sich nicht im Sozialetat, sondern in den Chancen, die er bietet. Und es gilt: Ein Land, das in Innovation, in Forschung investiert, investiert in die eigene Zukunft. Wir haben unsere Konzepte vorgelegt.

Dem Haushalt werden wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Bettina Stark-Watzinger. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Swen Schulz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7488452
Wahlperiode 19
Sitzung 197
Tagesordnungspunkt Bildung und Forschung
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