Katrin BuddeSPD - Arbeitsmarkt Ost
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation ist in dem Antrag ja richtig beschrieben. Es ist gar nicht gut, dass 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung in den meisten Bereichen Ostdeutschlands immer noch diese dramatischen Lohnunterschiede bestehen.
Warum ist das aber so? Die Antwort darauf ist so klar wie einfach: Wir hatten keinen Strukturwandel – den hatten wir nur in ganz, ganz wenigen Bereichen –, sondern wir hatten Strukturbrüche. Auf Basis von Strukturbrüchen und einer weitgehenden Deindustrialisierung hat sich ein Arbeitsmarkt entwickelt, der von der Basis her schon sehr viel schlechter war. Das hat sich durch die 30 Jahre gezogen. Man sieht ganz klar heute: schwache Basis, schwächeres Ergebnis.
In der Zeit zwischen 2018 und 2020 sind die Westlöhne im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent gestiegen, die Ostlöhne im Durchschnitt um 20 bis 25 Prozent. Das Problem ist die schwache Basis. Wenn man von einer niedrigen Lohnsumme ausgeht, erreicht man am Ende natürlich auch niedrigere Löhne im Heute und Jetzt. – Das ist das erste Problem.
Das zweite Problem ist, dass wir einen ganz schwierigen Branchenmix in Ostdeutschland haben. Was heißt überhaupt „Mix“? Wir werden dominiert von Dienstleistungsbereichen und von zum Teil verlängerten, wenn auch industriellen Werkbänken; trotzdem sind es Zuarbeiten. Wir haben keine Zentralen, und wir haben nur in ganz wenigen Bereichen richtig starke industrielle Standorte. Man sieht auch, wenn man sich die Branchen mal bundesweit anguckt: Es gibt eine Differenz im jährlichen Durchschnittslohn von 56 000 Euro – 80 000 Euro bei den Finanzdienstleistungen und den Versicherungsdienstleistungen, 26 000 Euro im Gastgewerbe. Da sehen wir, warum sich das im Osten so verschärft: weil wir eine ganz schwierige Wirtschaftsstruktur dort haben.
Das dritte Problem – es ist richtig beschrieben – ist die fehlende Tarifbindung. Die ist im Westen schon mies und auch sehr viel schlechter geworden. Das ist nicht gut für das Aushandlungssystem, das wir in der Bundesrepublik haben, das eigentlich ein sehr vernünftiges Aushandlungssystem ist. Und im Osten ist es noch viel schlimmer. Meine Kollegin Daniela Kolbe hat sehr genau beschrieben, woraus das im Osten resultiert.
Aber man sieht an Inseln auch, dass es anders geht. Wenn ich mir zum Beispiel die ostdeutsche Chemieindustrie, die mitteldeutsche Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt ansehe, dann stelle ich fest: Das ist ein industrieller Strukturwandel, der dort stattgefunden hat. Dort sind leistungsfähige, international wettbewerbsfähige Industriestandorte der chemischen Industrie entstanden, die auch heute noch bestehen und sich gut weiterentwickeln werden, die im Strukturwandel auch einen Vorsprung vor dem Westen haben. Dort gibt es eine hohe Tarifbindung, und die Tarifabschlüsse, die dort vereinbart werden, sind inzwischen wegweisend für die gesamte Bundesrepublik, auch für den Westen, und zwar weil sie das Thema Bildung, das Thema Familienarbeit und vieles andere aus einer anderen Realsituation im Osten, auch was Familien angeht, mit einbeziehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– Ich weiß, ich rede zu schnell. Entschuldigung. – Das heißt, es gibt wirklich gute Beispiele. Aber das Tarifsystem mit der Tarifbindung ist eine der wirklichen grundlegenden Voraussetzungen dafür, dass das funktioniert.
Deshalb ist es gut – Daniela Kolbe hat es vorhin gesagt –, dass es inzwischen eine jüngere Generation gibt, die das einfordert, die das selber macht. Wir sind doch zum Teil selber schuld. Wer ist denn hier noch in einer Gewerkschaft? Ich bin in der IG Metall geblieben. Meine Kinder haben zu ihrem 18. Geburtstag die Verdi-Mitgliedschaft geschenkt bekommen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir brauchen einfach mehr Mitglieder und gute Beispiele.
Im Übrigen muss ich sagen: Diese industriellen Standorte in Sachsen-Anhalt – um hier auch mal mit der Frage aufzuräumen, wer so etwas aufbaut – sind unter einer roten Minderheitsregierung und einer rot-grünen Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurden, geschaffen worden.
(Beifall des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Hier stimmen also diese ganzen Allgemeinplätze wie „gut“ und „schlecht“ in der Beurteilung nicht immer.
Also: Was brauchen wir? Wir brauchen eine gute aktive Wirtschaftspolitik, eine aktive Industriepolitik; Strukturwandel hat bisher selten funktioniert. Wir brauchen ein Tariftreuegesetz auch auf Bundesebene – ja. Wir brauchen verbindliche Regelungen in den Förderrichtlinien des Bundes. Übrigens gab es die in Sachsen-Anhalt, bis die schwarz-gelben Brüder und Schwestern sie wieder rausgestrichen haben, nachdem sie die Wahl gewonnen hatten. Und wir brauchen natürlich auch die Erhöhung des Mindestlohnes. Aber die Voraussetzung dafür, das alles hinzukriegen, ist leider nicht die Annahme Ihres Antrags, sondern sind andere politische Mehrheiten. Wir werden sehen, ob das klappt.
(Beifall bei der SPD)
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nun der Kollege Albert H. Weiler das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7517161 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 225 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsmarkt Ost |