Jürgen HardtCDU/CSU - Regierungserklärung der BKn zur Lage in Afghanistan, Bundeswehreinsatz zur Evakuierung aus Afghanistan
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die CDU/CSU-Fraktion ist für Aufklärung der Sachverhalte, a) was in den letzten Wochen und Monaten geschehen ist und b) was dieser Einsatz für uns insgesamt bedeutet.
(Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Frau Baerbock hat uns ja aufgefordert, dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zuzustimmen. Einen solchen Antrag gibt es nicht.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten heute dem Antrag auf ein Löschmoratorium zustimmen können! Warum haben Sie gegen das Löschmoratorium gestimmt?)
Ich finde es auch gut, dass es ihn nicht gibt; denn dieser Deutsche Bundestag wird ja in zwei Monaten durch einen neuen Deutschen Bundestag ersetzt werden.
(Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Dann können Sie das ja machen!)
Ich glaube, dass die Kolleginnen und Kollegen, die dann gewählt sind – dazu sollten dann die das Wort ergreifen, die tatsächlich am 26. September eine Stimme bekommen –, dann auch diese notwendigen Schritte unternehmen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann gegen das Löschmoratorium gestimmt?)
Wir im Auswärtigen Ausschuss haben uns in zwei Sondersitzungen mit der Situation befasst.
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. Wer möchte sie stellen?
Bitte sehr.
Danke schön, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Hardt, wenn Sie der Rede meiner Kollegin Baerbock zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass sie nicht gefordert hat, dass Sie jetzt der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmen sollen, sondern sehr konkret – –
(Zuruf von der FDP: Doch!)
– Nein. Der Antrag liegt, wie Sie sagen, nicht vor, weil wir hier über die nächste Legislaturperiode sprechen.
Aber sehr konkret lag im Auswärtigen Ausschuss, dem Sie ja auch angehören, heute ein Antrag für ein Löschmoratorium vor. Wir wissen aus vergangenen Untersuchungsausschüssen, dass Dinge schnell vergessen werden oder verschwinden oder gelöscht werden. Und diesen Antrag hat Ihre Fraktion abgelehnt. Warum?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich jetzt mal gespannt!)
Liebe Frau Kollegin Brugger, ich stelle erstens fest, dass ich Frau Baerbock schon so verstanden habe. Aber mit der Klarstellung jetzt ist das ja dann auch geklärt.
Wir haben zweitens diesem Antrag heute nicht zustimmen können, weil wir doch den Schaufenstercharakter nicht so glücklich fanden.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Absicherung! Das wissen Sie auch! Das haben wir schon einmal zusammen gemacht! Es ging um Aktensicherung!)
Wir wissen, dass wir in Deutschland in Archivgesetzen und anderen Gesetzen klare Regelungen haben, damit so etwas natürlich nicht passiert. In diesem Augenblick sollten wir uns konkret der Frage widmen, wie wir jetzt diesen Einsatz gut über die Bühne bringen. Und dann wird genügend Zeit sein, ohne Schaum vor dem Mund auch die Fragen möglicher Fehler und Versäumnisse zu klären.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei NSU haben Sie dem Löschmoratorium doch auch zugestimmt! – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ich finde es total interessant, dass Sie, wenn ich auf die Frage Ihrer Kollegin antworte, mich ständig so unterbrechen, dass mich kaum einer verstehen kann; aber das ist jetzt meine persönliche Meinung.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann auch noch eine Frage stellen!)
Ich würde jetzt gerne im Text fortfahren. – Wir haben im Auswärtigen Ausschuss natürlich ein total schweres Herz angesichts dessen, was wir im Augenblick erfahren, und ich glaube, ich spreche für alle Kollegen – –
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Herr Hardt, Sie wollten ja nicht, dass ich einen Zwischenruf mache; deshalb vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage akzeptieren.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass eine Fraktion ein Löschmoratorium beantragt. Deshalb hat es uns heute so sehr verwundert, dass weder die SPD noch die CDU/CSU bereit war, einem solchen Löschmoratorium zuzustimmen. Wir haben das alle gemeinsam schon einmal, in einer anderen schwierigen Lage, im Deutschen Bundestag beschlossen. Also tun Sie doch jetzt bitte nicht so, als sei das etwas ganz Besonderes, etwas Extremes, etwas vom Himmel Gefallenes!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat er ja gar nicht! Hat keiner gesagt!)
Viele der Kolleginnen und Kollegen erinnern sich daran, dass wir das zur Beweissicherung und zur Untermauerung des Aufklärungswillens schon einmal im Parlament gemacht haben, und zwar gemeinsam. Deshalb müssen Sie sich, wenn Sie überall sagen: „Wir werden das aufklären“, natürlich daran messen lassen, dass Sie heute dem Löschmoratorium nicht zugestimmt haben. Damit könnten wir Akten und Vorgänge sichern.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wo denn?)
Das haben Sie heute abgelehnt. Warum?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Liebe Frau Kollegin, wir haben so abgestimmt, wie wir abgestimmt haben, weil wir davon überzeugt sind, dass die gesetzliche Grundlage in Deutschland, wie offizielle Stellen mit Akten umzugehen haben, völlig ausreicht,
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
um sicherzustellen, dass in Zukunft diese Sachverhalte aufgeklärt werden können, wenn entsprechender Bedarf ist. Deswegen sind wir der Meinung, dass man einen solchen Beschluss in diesem Zusammenhang nicht fassen muss. – Das wäre meine Antwort.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! – Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Wir im Auswärtigen Ausschuss sind tief betroffen von dem, was wir hören, und den Bildern, die wir ertragen müssen. Ich glaube für die Kolleginnen und Kollegen sind es die schwersten Stunden ihrer parlamentarischen Arbeit. Jeder von uns hat ja Anrufe und E-Mails bekommen von Angehörigen von Afghanen, die um Hilfe bitten. Man versucht, etwas zu bewegen; aber wir wissen alle, dass uns ein Stück weit die Hände gebunden sind, die Situation vor Ort von Deutschland aus zu entschärfen.
Die Amerikaner leiten die Evakuierungsmission in Kabul. Sie machen einen hervorragenden Job – 6 000 amerikanische Soldaten, die uns Deutschen bei diesem Einsatz helfen. Deutschland hat die erfolgreiche Luftbrücke nach Taschkent eingerichtet. Es ist der Heldenleistung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz in Taschkent und natürlich auch in Kabul, aber auch in Deutschland in den Stäben zu verdanken, dass das so gut gelingt. Ich wünsche, dass sie alle heil – heil an Leib, aber auch an Seele – von diesem Einsatz zurückkommen. Es ist eine enorm herausfordernde Aufgabe.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir alle waren davon ausgegangen, dass die afghanische Regierung dem Druck der Taliban standhält.
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein, nicht wir alle! Sie! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie!)
Und wir haben feststellen müssen, dass Afghanistan in kürzester Zeit kampflos übergeben wurde. Wir haben zu Anfang die Frage gestellt: Warum kämpfen afghanische Soldaten nicht? Ich glaube, es ist auch interessant, die Frage zu klären, welche Rolle die Regierung gespielt hat, ob es nicht doch große Verbände der afghanischen Streitkräfte gegeben hat,
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Welche Regierung?)
die bereit und in der Lage gewesen wären, zu kämpfen, die aber von der politischen Führung in Kabul daran gehindert wurden.
Deswegen bin ich dafür, dass wir uns der Frage widmen, warum denn die Mitglieder der afghanischen Regierung sehr schnell und komfortabel das Land verlassen haben, der ein oder andere möglicherweise auch mit Geld auf Konten oder in den Taschen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja, weil sie korrupt sind!)
Möglicherweise haben sie ja die Situation etwas anders eingeschätzt und vorhergesehen, als sie uns das haben weismachen wollen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Einfach reingefallen!)
Deswegen bin ich auch dafür, dass es eine internationale Untersuchung zur der Frage gibt, welche Verantwortung die afghanische Regierung trägt.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie tragen die Verantwortung!)
Man ist schnell dabei, zu sagen, dass wir, der Westen, jetzt die Menschen in Afghanistan im Stich ließen. In erster Linie hat die afghanische Regierung die Menschen im Stich gelassen,
(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie haben damit angefangen!)
weil sie 20 Jahre lang das Land nicht auf Vordermann gebracht hat, sondern im Gegenteil das Land zur eigenen Bereicherung und zum Füllen der eigenen Taschen genutzt hat.
Ich finde die Angriffe gegen den Bundesnachrichtendienst und andere Dienste schwierig, weil wir feststellen müssen, dass es eine einheitliche Fehleinschätzung gegeben hat. Möglicherweise ist ja doch etwas dran an der Vermutung, dass hinter den Kulissen zwischen Regierung und Taliban Absprachen gelaufen sind, die diese Situation so haben kommen lassen.
Zum Thema Ortskräfte ist viel gesagt worden. Ich bin dafür, dass wir die Frage weiter beleuchten und untersuchen.
Zur aktuellen Evakuierungsmission möchte ich nur anmerken: Die Zahl der Personen, die jetzt zur Evakuierung anstehen, ist viel größer als die Zahl, von der wir noch vor wenigen Wochen ausgegangen sind, weil wir der Meinung waren, dass zum Beispiel die gesamte zivile Entwicklungshilfe weiterlaufen würde. Es haben viele Organisationen nicht daran gedacht, ihre Menschen jetzt zurückzuführen. Es hat im Übrigen auch einige Hunderte Deutsche, wenn nicht sogar Tausende Deutsche gegeben, die in den letzten Wochen und Monaten aus privaten Gründen nach Afghanistan gereist sind, weil auch sie die Lage so eingeschätzt haben, dass sie reisen können. Sie müssen jetzt leider zurückgeführt werden, was entsprechend schwierig ist.
Über die aktuelle Bewertung der Ereignisse hinaus sind aber folgende Fragen für uns von zentraler Bedeutung: Warum haben wir es geschafft, den Terror in Afghanistan wirksam zu bekämpfen, sind aber gescheitert bei der Herstellung von Resilienz des afghanischen Staatssystems gegen solche Übergriffe von Islamisten, in diesem Fall der Taliban? Warum hat es nicht geklappt, Regierung, Zivilgesellschaft, Militär usw. usf. den Rücken so zu stärken, dass sie widerstehen können? Diese Frage ist ganz entscheidend für die Bewertung unserer zukünftigen Auslandseinsätze; Mali ist schon genannt worden.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Haben Sie eine Antwort?)
Deswegen bin ich dringend dafür, dass wir diese Frage im nächsten Deutschen Bundestag klären, und zwar in der Form, dass wir fragen: Was können wir aus Afghanistan für die Zukunft lernen, damit wir so etwas in zukünftigen Einsätzen vermeiden?
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Aydan Özoğuz, SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7531854 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 238 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung der BKn zur Lage in Afghanistan, Bundeswehreinsatz zur Evakuierung aus Afghanistan |