17.03.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 21 / Tagesordnungspunkt 17

Bengt BergtSPD - Einführung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Bürgerinnen und Bürger! Lassen Sie mich zu Beginn kurz etwas zur Situation in der Ukraine sagen. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig und menschenverachtend, und zwar nicht nur gegenüber den unzähligen ukrainischen Opfern, sondern auch gegenüber den zahlreichen russischen Soldatinnen und Soldaten und vor allem deren Familien, die ihre Kinder lebend nicht wiedersehen. Der Mann, der das alles zu verantworten hat, ist Putin. Dieser Mann gehört nicht an einen pervers langen Tisch im Kreml, dieser Mann gehört auf die Anklagebank nach Den Haag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Mann hat nicht nur die Sicherheitslage in Europa auf den Kopf gestellt, sondern auch die Versorgungssicherheit eines ganzen Kontinents infrage gestellt. Es ist zurzeit die allerwichtigste Aufgabe, für Frieden in Europa zu sorgen. Das tut die Regierung gerade mit aller Macht. Dafür gilt ihr unser Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unser Auftrag ist es hierbei, auch unsere Versorgungspolitik neu zu ordnen. Unsere Aufgabe ist jetzt die Gewährleistung von Sicherheit, Stabilität und sozialem Frieden – für ganz Europa, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Bitte fassen Sie es angesichts dieser fürchterlichen Berichte, die wir aus der Ukraine jeden Tag erhalten, nicht als zynisch auf, wenn wir uns jetzt hier über das Gasspeichergesetz unterhalten müssen. Das hat leider einen guten Grund. Dazu ein kurzer Rückblick:

Seit 1998 funktioniert der Gasmarkt nach den gleichen Regeln. Vereinfacht gesagt: Im Sommer ist das Gas günstig, im Winter ist das Gas teuer. Im Sommer wird gekauft, im Winter verkauft, Geld gemacht; kein Problem, alles gut, der Markt läuft.

Bereits im Juni 2021 aber waren die Preise auf einem Allzeithoch, begründet durch das Wiederanspringen der Wirtschaft, Corona, die Frachtkrise; die weltweite Nachfrage war hoch, jeder hat es mitbekommen. Die Förderkapazitäten hatten noch nicht nachgezogen. Aber der Markt hat noch immer funktioniert: Im Sommer wurde gekauft, gespeichert, im Winter wurde verkauft, Geld verdient; so fair, so gut, kein Problem.

Aber es gab schon erste Anzeichen, dass der höhere Preis im Sommer das Einspeichern unattraktiv macht. Letztes Jahr fiel zusätzlich auf, dass der Speicher in Rehden, der allein 17 Prozent unserer Speicherkapazitäten ausmacht, fast leer war. Dieser Speicher gehört astora, einer Gazprom-Tochter. Und die Firmen, die dort eingespeichert haben, gehören auch Gazprom. Das war nach dem Gesetz alles legal, es war unbundelt. Das heißt, der Speicher war zwar gebucht, aber er war nicht befüllt. Das Ziel dahinter – das ist jetzt offensichtlich – war, Druck hinsichtlich der Zulassung von Nord Stream 2 auszuüben.

Mit genau diesen 17 Prozent zu wenig im Speicher sind wir durch den Winter unterwegs gewesen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind durstig und rennen in den Supermarkt, aber dort, wo sonst die Getränke stehen, steht nur Leergut, und vor dem Regel befindet sich eine Kette, sodass keiner volle Flaschen einräumen kann. Das ist die Situation, meine Damen und Herren; so sah es aus. Diese Sorge um Knappheit hat den Weg für die grenzenlosen Spekulationen und Preisaufschläge von 500 bis 600 Prozent möglich gemacht, obwohl wir genug hatten. Es gab keine Knappheit – gibt es übrigens immer noch nicht –; es wird nur kräftig mit der Angst Geld verdient.

Mit dem endgültigen Ausbruch des Wahnsinns, dem Überfall auf die Ukraine, stand der Markt dann vollständig Kopf. Der Bedarf war hoch, die Menge zwar auch, trotzdem war der Preis hoch. Das heißt, die Geschäftsgrundlage dieses ganzen Marktes war nicht mehr existent. Der Markt regelt aber nur, wenn sich alle an die Regeln halten.

Das führt zum wichtigsten Punkt: Wir brauchen Regeln mit dem Ziel, durch die Vorgabe und Einhaltung von Mindestfüllständen Versorgungssicherheit herzustellen. Wir brauchen die Möglichkeit, Gas auf den Markt zu bringen, wenn es nötig ist, damit wir nicht sehenden Auges in die nächste Krise laufen. Und wir wollen uns ja unabhängig machen von russischem Gas. Dazu müssen wir in der Lage sein, zu puffern, wenn es einmal zu Engpässen kommt. Das ist ein superkomplexes Thema. Wir müssen schnell handeln; denn der nächste Winter steht planungsmäßig schon vor der Tür.

In den Markt einzugreifen, ist sehr schwierig, weil der Markt durchliberalisiert ist. Das heißt, der Staat hat keine eigenen Speicher, hat kein eigenes Gas und hat auch keinen Zugriff auf die Speicher. Der Markt regelt also so lange, bis sich jemand nicht mehr an die Regeln hält. Das bringt uns zum Kern der Sache, zu den neuen Regeln:

Die erste neue Regel ist: Wir werden konkrete Speichervorgaben machen. Wir werden, um bei der Analogie zu bleiben, zu bestimmten Zeitpunkten vorgeben, wie viele Flaschen im Regal stehen sollen. Dazu gibt es regelmäßige Berichte zu den Füllständen und den Prognosen.

Dann kommt die zweite neue Regel. Wir regeln eine erzwingbare Bereitstellung ungenutzter Kapazitäten. Das heißt: „Du hast keinen Platz im Regal? Gut, wir stellen dir ein Regal.“

Dann die dritte neue Regel: Wir schreiben strategische Einlagerungsmengen aus, als Option für eine marktbasierte Befüllung von Speicherkapazitäten. Das heißt, wir legen einen Preis fest für die Limo, die im Regal stehen soll.

Bei der vierten neuen Regel machen wir marktbasiert das Gleiche, aber wir legen noch ein Zückerli obendrauf und sagen: „Okay, die Limo ist gerade knapp, wir zahlen dir ein bisschen mehr; wir brauchen die Limo, wir haben Durst.“

Dann kommt aber die fünfte neue Regel, und das ist die wichtigste: Wenn das Wirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur sagen: „Es wird Speicherplatz gebucht, wir brauchen unbedingt neue Vorräte“, dann wird physisches Gas gekauft und eingespeichert, und wir halten es, auch bis zum Ende der Heizsaison, geben es dann heraus, wenn es nötig ist. Das heißt, wir kaufen jetzt die Limo selbst, wir stellen das Regal, und wir haben die Kette vor dem Regal weggenommen. Dann behalten wir aber auch das Regal und verkaufen die Limo selbst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Ganze wird kontrolliert vom Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur. Das heißt, die parlamentarische Kontrolle ist gewährleistet. Wir wissen, dass das Chancen bietet, aber auch Risiken hat und dass wir da noch zu tun haben. Wir werden das regelmäßig kontrollieren und evaluieren. Das ist wichtig. Wir müssen aufpassen, dass da nichts schiefläuft. Denn der ganze Markt ist momentan wie ein Knallbonbon: Da ist die Regulierung auf der einen Seite, da ist der Markt auf der anderen Seite, und wenn wir an beiden Seiten zu sehr ziehen, knallt es vielleicht. Dann haben wir das Problem, dass wir das Erdgas rationieren müssen. Das müssen wir verhindern: für unsere Infrastruktur und für unsere Firmen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Dr. Jonas Geissler [CDU/CSU])

Steffen Kotré spricht jetzt für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7534406
Wahlperiode 20
Sitzung 21
Tagesordnungspunkt Einführung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen
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