29.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 57 / Zusatzpunkt 6

Hansjörg DurzCDU/CSU - Lieferketten- und Logistikprobleme durch Energiepreise

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vergangenen Tagen hat die Wirklichkeit erneut eine der Kernforderungen Ihres Antrags überrollt. Sie fordern Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Gaslieferungen durch Russland. Mit dem mutmaßlichen Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines löst sich nicht nur jede Menge Erdgas in der Ostsee und in der Atmosphäre auf; auch Ihre Forderungen lösen sich in Luft auf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Da freuen Sie sich ja wohl, Herr Durz, oder nicht? Klammheimliche Freude! – Bernd Schattner [AfD]: Man könnte sie auch reparieren!)

Doch auch ohne die Vorkommnisse der letzten Tage zeigt dieser Antrag deutlich, wie weit Sie sich von der rationalen Beurteilung der Realität entfernt haben. Auch Sie müssen doch langsam wahrnehmen, dass Putin kein Interesse an Verhandlungen hat. Wenn er daran Interesse hätte: Warum steht dann eine Gasturbine hier in Deutschland, die offensichtlich doch so wichtig für Gaslieferungen ist? Warum liefert er nicht über andere Pipelines, was er ja tun könnte?

(Bernd Schattner [AfD]: Nehmen Sie die Sanktionen zurück! Dann liefert er!)

Und warum droht er sogar mit dem Stopp des Gastransits durch die Ukraine? Die Antwort darauf ist eindeutig: Russland führt einen Energiekrieg, auch gegen uns. Nehmen Sie diese Realität endlich wahr!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Martin Hess [AfD]: Reaktion auf Ihre Sanktionen!)

Ein autoritäres Regime mit Großmachtfantasien halten Sie ganz sicher nicht auf, indem Sie klein beigeben. Im Gegenteil: Mit Forderungen, wie in Ihrem Antrag, stricken Sie mit an der Propaganda des russischen Regimes.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie ruinieren Deutschland!)

Russlands Trolle gibt es nicht nur im Netz, sondern leider auch in diesem Parlament. Wir stimmen gegen Ihren Antrag.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Wie verblendet sind Sie eigentlich? Nehmen Sie mal die Realität zur Kenntnis! 16 Jahre Merkel unterstützt und hier so einen Mist erzählen! Fortsetzung von Merkel!)

Was wir dieser Tage in unserem Land erleben, ist ein Angebotsschock im Energiebereich, wie wir ihn seit 1945 nicht erlebt haben. Aktuell ist Deutschland leider nicht mit einer Bundesregierung gesegnet, die wirklich alles in ihrer Macht Stehende tut, um diese Krise zu überstehen. Stattdessen: ideologische Scheuklappen bei der Atomkraft, ein ewiges Hin und Her bei der Rettung von Energieversorgern und drei Entlastungspakete, bei denen die Unternehmen nicht einmal erwähnt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir erleben eine Regierung, die zu großer Verunsicherung beiträgt. Bestes Beispiel bis zum heutigen Tage war die Gasumlage, die erst zwei Tage vor Inkrafttreten nun final abgeschafft werden soll.

(Stephan Brandner [AfD]: AfD wirkt!)

Ich hätte mir gewünscht, wir hätten uns gewünscht, dass Sie den Menschen schon viel früher Klarheit verschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: So schnell handelt die Regierung!)

Als Leitsatz in dieser Krise hat sich der Bundeskanzler einer Fußballhymne bedient: „You’ll Never Walk Alone“.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Klassischer deutscher Schlager!)

Ursprünglich stammt das Lied aus einem Theaterstück; es sollte den Protagonisten positiv in die Zukunft blicken lassen.

(Falko Mohrs [SPD]: Wusstest du nicht, wie du die zehn Minuten Redezeit vollkriegst? – Weiterer Zuruf von der SPD: Wenn das alles ist, was Sie zu meckern haben, sind wir gut!)

Deshalb singen es die Fans in Liverpool übrigens vor Beginn des Spiels

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Auch in Mainz!)

und nicht erst, wenn die Mannschaft bereits 0 : 3 zu drei hinten liegt. Mir scheint, die Bundesregierung hat den Ernst der Lage lange Zeit überhaupt nicht erkannt. Das Spiel hat nicht nur schon längst begonnen, sondern der Wirtschaftsstandort Deutschland ist auch deutlich in der Defensive.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für Beschäftigte wie Unternehmenslenker klang der Spruch deshalb bisher wie Hohn; denn die Lage spitzt sich von Tag zu Tag mehr zu, und bis zum heutigen Tag hat die Bundesregierung sie ziemlich alleingelassen.

Seit heute wissen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dass die Ampel bereit ist, 200 Milliarden Euro zu stemmen und einen Schutzschirm gegen diese Krise aufzuspannen. Es wurde auch höchste Zeit, dass diese Regierung sich endlich einigt, und dabei möchte sie offensichtlich viel von dem aufnehmen – das war der Pressekonferenz heute so zu entnehmen –, was wir als Opposition seit Monaten fordern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch leider ist nach wie vor völlig unklar, wer ab wann in welcher Höhe wie lange unterstützt wird. Der Bäckermeister weiß noch nicht, ob er kleinere Brötchen backen oder den Ofen eventuell ganz ausmachen muss. Deshalb appelliere ich an Sie: Schaffen Sie so schnell wie möglich Klarheit, nicht nur für den Einzelnen, sondern insbesondere auch für die Unternehmen in diesem Land!

Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie die Krise an der Substanz unserer Volkswirtschaft zehrt, zum Beispiel bei mir im Wahlkreis, in Meitingen. Meitingen hat ein „Herz aus Stahl“, wie jüngst verlautete, und zwar auf einem Protestplakat. Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dort ansässigen Lech-Stahlwerke, die etwa so viel Strom im Jahr verbrauchen wie eine Stadt mit 300 000 Einwohnern, haben vor wenigen Tagen demonstriert. Sie fürchten um ihren Arbeitsplatz, sie fürchten um ihre Familien, sie fürchten um ihre soziale Existenz. Sie rufen nach Unterstützung für die Wirtschaft, und es wird Zeit, dass diese Bundesregierung sie endlich hört.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Während wir Abgeordnete lange im Voraus wissen, wann wir nach Berlin zur Arbeit kommen müssen, wissen das die Beschäftigten der Lech-Stahlwerke derzeit nicht. Der Betrieb muss je nach Strompreis entscheiden, ob produziert wird oder nicht. Die Mitarbeiter, die äußerst solidarisch sind, erfahren nur wenige Tage im Voraus, ob sie zur Arbeit kommen müssen oder nicht, und das ist meist am Wochenende der Fall. Warum können die Lech-Stahlwerke überhaupt noch Löhne zahlen? Sie können die Löhne zahlen, weil ihr Lager vor Monaten noch gut gefüllt war. Im Moment wird der Lagerbestand abgebaut, damit das Unternehmen überhaupt Einnahmen hat. Doch kaum neue Ware wird produziert. So kann kein Unternehmen auf Dauer überleben. Wenn sich nicht bald etwas verändert, hört das Herz aus Stahl in Meitingen auf, zu schlagen. Stellen Sie sich das Weihnachtsfest für die über Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien vor!

Ich erzähle diese Geschichte, damit jeder weiß, wie dringend die Unternehmen in diesem Land Entscheidungen und Klarheit benötigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist die Bundesregierung, die schnell entscheiden muss, wie die angekündigten Preisbremsen aussehen sollen, und damit auch entscheiden muss, ob die derzeitige Energiekrise zur Zeitenwende für die deutsche Industrie wird, möglicherweise hin zu einem deindustrialisierten Deutschland – wo wird dann produziert, wie sehen dann die Wertschöpfungsketten bei uns aus,

(Stephan Brandner [AfD]: Sie schüren Ängste, Herr Durz, und instrumentalisieren die Ängste der Bürger!)

und nach welchen Standards wird produziert? –, oder ob sie die angekündigten Instrumente so ausgestaltet, dass Deutschland die Probleme bei der Wurzel packt und damit einer Wirtschaft den Weg ebnet, die nicht nur einen Beitrag zum Wohlstand dieses Landes, sondern übrigens auch zum Klimaschutz leisten kann, weil sie innovativer, weil sie erfindungsreicher ist als in anderen Teilen der Welt. Heute Morgen haben wir hier im Deutschen Bundestag über Nachhaltigkeit debattiert. Die Lech-Stahlwerke produzieren ihren Stahl aus Schrott und sind damit das größte Recyclingunternehmen in Bayern. Für den Kampf gegen die Klimakrise brauchen wir innovative Unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In Meitingen kommt es derweil zu Koalitionen, auf die vor wenigen Wochen noch kaum jemand gekommen wäre. Seite an Seite demonstrieren Betriebsrat und die Unternehmensleitung, die IG Metall und der Bürgermeister. Sie wissen, dass die Bundesregierung nicht zaubern kann, aber sie haben zwei ganz klare Forderungen:

Erstens. Diese Bundesregierung muss wirklich alles tun, was möglich ist, um diese Krise zu überwinden, und das heißt in einer Knappheitssituation, zuallererst das Angebot auszuweiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Niemand versteht, warum noch immer so viel Gas verstromt wird. Niemand versteht, warum in Krisenzeiten Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Niemand versteht, warum die Bundesregierung sieben Monate gebraucht hat, um den Deckel für Biogas aufzuheben. Niemand versteht, warum von den verfügbaren Kohlekraftwerken erst zwei wieder am Netz sind. Und niemand versteht, warum die Bundesregierung europäische Solidarität einfordert, aber selbst nicht alles unternimmt, um alle Kapazitäten ans Netz zu bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

„Jede Kilowattstunde zählt“, diese Parole von Minister Habeck muss endlich zur Maxime der Politik dieser Regierung werden. Wichtig wäre ein Wumms beim Anschalten von Kraftwerken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Demonstranten in Meitingen haben noch einen zweiten Wunsch an die Bundesregierung. Sie wollen, dass eingehalten wird, was versprochen wurde. So hat Olaf Scholz einen Industriestrompreis angekündigt.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja, 4 Cent!)

Bis zum heutigen Tage wurden jedoch drei Entlastungspakete geschnürt, ohne auch nur ein Mal die Unternehmen zu entlasten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er kann sich nicht mehr erinnern, sagt er!)

Schaffen Sie endlich Klarheit, und zwar schnell, für die Unternehmen und deren Mitarbeiter, und damit ein Fundament dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bewahrt wird und in Meitingen auch in Zukunft das Herz aus Stahl schlägt!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Prima Rede! Mal im Gesamtzusammenhang!)

Jetzt hat Dieter Janecek das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546576
Wahlperiode 20
Sitzung 57
Tagesordnungspunkt Lieferketten- und Logistikprobleme durch Energiepreise
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