19.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 13

Nils SchmidSPD - Vereinbarte Debatte - 60 Jahre deutsch-französischer Freundschaftsvertrag

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden: Der Élysée-Vertrag hat eine Vorgeschichte der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich auf Basis von Städtepartnerschaften, von Schüleraustauschen. Aber das Wunder der Aussöhnung, sehr verehrte Damen und Herren, begann schon während des Krieges. Umso erstaunlicher und großartiger ist die Leistung unserer französischen Freunde, durch die wir dies gemeinsam erreichen konnten.

Léon Blum, der frühere sozialistische Ministerpräsident Frankreichs, war in den Jahren 1942 bis 1944 als politische Geisel in Buchenwald festgehalten worden. Sein Mitgefangener Georges Mandel wurde im Sommer 1944 nach Frankreich ausgeliefert und dort von der Milice hingerichtet. Daraufhin musste Léon Blum ein ähnliches Schicksal befürchten. Er hat am 31. Juli 1944 einen Brief an seinen Sohn geschrieben, sein politisches Testament, und es war ein Plädoyer für die Aussöhnung mit Deutschland. Es war ein Plädoyer dafür, nicht die Deutschen insgesamt für die Verbrechen und die Vernichtung durch die Nationalsozialisten in Haftung zu nehmen, sondern er hat ausdrücklich darauf hingewiesen: Unsere beiden Nationen müssen wieder zueinanderfinden. – Es ist gerade diese Aussöhnungsleistung, die der Ursprung des Wunders dieser deutsch-französischen Freundschaft ist. Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder daran erinnern; denn das soll uns Kraft geben für das weitere Miteinander und auch für das größere Miteinander in Europa.

Wir haben mit dem Aachener Vertrag den Élysée-Vertrag erfolgreich weiterentwickelt. Wir haben die europäische Dimension der deutsch-französischen Freundschaft betont. Wir haben eine konkrete Projektliste auf den Weg gebracht, die nach und nach abgearbeitet wird. Wir haben die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung eingerichtet, um auch die parlamentarische Dimension dieser Freundschaft zu stärken. Trotz allem Krisengerede, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Die Zusammenarbeit ist so eng wie noch nie zuvor.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch ganz normal und menschlich, dass nach diesem großartigen Auftakt des Aachener Vertrages jetzt die Mühen der Ebene kommen. Es ist leicht, eine Vereinbarung für ein gemeinsames Kampfflugzeug zu treffen. Bloß, wenn es dann konkret wird, wenn die Industrieanteile verhandelt werden müssen, dann gibt es natürlich unterschiedliche Interessen, dann kann es auch mal länger dauern.

Es ist auch eine neue Quelle möglicher Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich sehr virulent geworden. Das ist die Energiepolitik. Jahrzehntelang haben wir einfach beiseitegeschoben, dass wir da grundlegend unterschiedliche Auffassungen haben. Wir haben gesagt: Über den nationalen Energiemix wird auf nationaler Ebene entschieden. – Diesen Luxus können wir uns angesichts der Herausforderungen des grünen Übergangs hin zu erneuerbaren Energien und angesichts der Notwendigkeit, die energiepolitische Souveränität Europas zu stärken, nicht länger leisten. Deshalb ist dieses Thema eben ganz anders und viel brennender zu diskutieren, als wir es vielleicht gewohnt waren.

Aber unter dem Strich ist doch etwas ganz anderes entscheidend. Das ist die Konvergenz zwischen Deutschland und Frankreich in substanziellen Fragen in den vergangenen zwei, drei, vier Jahren. In der Industriepolitik sind wir jetzt beide dafür, dass die EU große Projekte anschiebt, wie die Batteriezellenfertigung und die Unterstützung der künstlichen Intelligenz. Es war Olaf Scholz, der im Wahlkampf und auch jetzt als Bundeskanzler den Begriff und die Konzeption der „europäischen Souveränität“ von Präsident Macron aufgegriffen hat und jetzt aktiv unterstützt. Es ist genau diese Bundesregierung, die jetzt im Rahmen dieser Konzeption – nicht nur, wenn es um Verteidigung und Militär geht, sondern auch, wenn es um Handel, um Technologie, um Wirtschaft, um Fragen der Migration geht – die Handlungsfähigkeit Europas nach innen und nach außen stärken will. Das zeigt doch: Wir sind sehr gut unterwegs.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin überzeugt, dass dieses Jubiläum, das ja mit einem Ministerrat verknüpft ist – wir feiern nicht nur, sondern die beiden Regierungen arbeiten gemeinsam, und zum ersten Mal arbeiten auch die beiden Parlamente gemeinsam –, eine neue Epoche einer noch engeren Zusammenarbeit einläutet. In diesem Sinne freue ich mich, viele von Ihnen am Sonntag wiederzusehen, und sage: Vive la République! Vive l’amitié franco-allemande! Vive l’Europe!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Matthias Moosdorf.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549996
Wahlperiode 20
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - 60 Jahre deutsch-französischer Freundschaftsvertrag
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